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Das Leben von Kamala Harris
«Jetzt rede ich»

In this undated photo released to AFP, Courtesy of Kamala Harris, on November 16, 2020, shows a young Kamala Harris posing for a photo. Kamala Harris is poised to become the first female vice president of the United States. The 56-year-old Harris, a senator, former prosecutor and the running mate of President-elect Joe Biden, will notch a slew of firsts when she is sworn in on January 20: as the first US female vice president and the first Black in that position, as well as the first person of South Asian descent. (Photo by Handout / various sources / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO /  Courtesy of Kamala Harris/ HANDOUT" - NO MARKETING - NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
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Sie waren jung, sie waren in Kalifornien. Und er hatte dieses Auto. Ein offener MG, gelb. Mit seinem Cabrio fuhren sie nach San Francisco, zur Golden Gate Bridge. Irgendwo assen sie Lunch und hatten ansonsten kein Ziel. Die Sonne schien, der Wind wehte ihnen um die Ohren. «Ein Tag wie heute, klar und schön», sagt Derreck Johnson und schaut nach draussen. «Wir verstanden uns auf Anhieb.» So ging sie los, seine Freundschaft mit Kamala Harris.

Derreck Johnson, kahler Kopf, Stoppelbart, sanfte Stimme, empfängt am Eingang seines Lokals. «Home of Chicken & Waffles» in Oakland, auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco. Es riecht nach Brathuhn und Waffeln. Amerikanischer Soulfood. Johnson ist Ende September 60 Jahre alt geworden, Kamala Harris am 20. Oktober, beide sehen jünger aus. Natürlich haben sie telefoniert, wie an jedem Geburtstag. So gut kennen sie sich, dass sie ihn «Cousin» nennt und er sie «Cousine», dabei sind sie gar nicht verwandt.

Die Schreckensszenarien mit Donald Trump

Am 5. November könnte Kamala Harris zur Präsidentin gewählt werden. Als erste schwarze Frau. Weil sie gegen Donald Trump antritt, ruhen auf ihr grosse Hoffnungen. Seine Kritiker prophezeien Schreckensszenarien: Er könnte die USA ins Chaos stürzen. Das Land könnte sich von Verbündeten abwenden, von der Ukraine, von der Nato, und sich dafür autoritären Herrschern wie Wladimir Putin anbiedern.

Kamala Harris ist die Einzige, der die Rettung der Welt vor Donald Trump noch gelingen kann.

Wer aber ist diese Frau, die als Vizepräsidentin so blass war, dass man sie schon fast vergessen hatte, ehe sie Ende Juli für Joe Biden einsprang? Wer sich an den Stationen ihres Lebens entlangbewegt, stellt schnell fest, dass sie keineswegs aus dem Nirgendwo kam. Die Präsidentschaft wäre der nächste logische Schritt ihrer Karriere. Ob dieser letzte Schritt aber gelingt, das ist die grosse Frage.

Daher also kurz vor der Wahl eine Reise durch die USA und dabei durch eine Lebensgeschichte, von der Kamala Harris selbst sagt, sie könne «nur in der grossartigsten Nation der Welt geschrieben werden».

Chicago und die Figur der Hoffnung

Die Reise beginnt in Chicago. Beim Parteitag der Demokraten, wo Kamala Harris zur Figur der Hoffnung aufsteigt. «Kamala», rufen mehrere Tausend Zuschauer. Im dunklen Kostüm betritt Harris die Bühne, mit strahlendem Lachen. «Der Weg, der mich in den letzten Wochen hierhergeführt hat, war zweifellos unerwartet», sagt sie. «Aber unwahrscheinliche Reisen sind mir nicht fremd.»

(FILES) US Vice President and 2024 Democratic presidential candidate Kamala Harris waves as she arrives to speak on the fourth and last day of the Democratic National Convention (DNC) at the United Center in Chicago, Illinois, on August 22, 2024. Kamala Harris and Donald Trump are entering the final one-month sprint to the most dramatic US presidential election in modern history, with both candidates warning the fate of a divided nation hangs on a result that is still too close to call. (Photo by Robyn Beck / AFP)

Im Publikum in Chicago sass auch Derreck Johnson, ihr Jugendfreund. Er war 2011 dabei, als Harris Generalstaatsanwältin von Kalifornien wurde. 2017, als sie zur Senatorin vereidigt wurde. 2021, als sie den Eid schwor als Vizepräsidentin von Joe Biden, vor dem Capitol, das kurz zuvor Trumps Horden gestürmt hatten, um den demokratischen Machtwechsel zu verhindern.

Sollte Derreck Johnson erneut eine Einladung erhalten zur Amtseinführung von Harris, am 20. Januar 2025, es wäre ein historischer Tag. Sie würde nicht nur als erste Frau ins Weisse Haus einziehen, sondern auch als erste Amerikanerin mit asiatischen und afroamerikanischen Wurzeln, als Tochter von Immigranten aus Indien und Jamaika, mit einem jüdischen Mann, dem ersten First Gentleman.

«Freedom», brüllte Kamala Harris im Kinderwagen

Die Anfänge dieser Geschichte sind ganz im Westen der USA zu finden. In Oakland, Kalifornien, wurde Kamala Harris 1964 geboren. In Berkeley nebenan wuchs sie auf, nahe der Uni, an der ihre Mutter Shyamala Krebsforschung betrieb. Ihr Vater Donald ist Ökonom, heute emeritierter Professor der Stanford University.

Berkeley war ein Hort von Hippies, Künstlern und Intellektuellen, Ort des Kampfes für Bürgerrechte und gegen Rassismus. Im Kinderwagen sei die kleine Kamala auf Demos geschoben worden, erzählt Harris in ihrer Autobiografie «The Truths We Hold». «Was willst du?», habe ihre Mutter gefragt – «Fweedom!», habe sie gebrüllt, das «r» fiel ihr noch schwer. Nun begleitet der Song «Freedom» von Beyoncé die Wahlkämpferin Harris.

Kamala, «Comma-la» ausgesprochen, Betonung auf Silbe eins, bedeutet «Lotusblume». Die indische Nationalpflanze, Symbol für die Reinheit, die sich aus dem Schlamm erhebt. Ihre Eltern trennten sich früh, ihre Mutter erzog sie und ihre Schwester Maya weitgehend allein, 2009 erlag sie einem Krebsleiden. «Meine Mutter, Shyamala Gopalan Harris, war eine Naturgewalt und die grösste Quelle der Inspiration in meinem Leben», schreibt Harris. Einer ihrer Lieblingssätze: «Lass dir von niemandem sagen, wer du bist. Du sagst ihnen, wer du bist.»

In this undated photo released to AFP, Courtesy of Kamala Harris, on November 16, 2020, shows a young Kamala Harris (C) posing for a photo with her family in Jamacia. Kamala Harris is poised to become the first female vice president of the United States. The 56-year-old Harris, a senator, former prosecutor and the running mate of President-elect Joe Biden, will notch a slew of firsts when she is sworn in on January 20: as the first US female vice president and the first Black in that position, as well as the first person of South Asian descent. (Photo by Handout / Courtesy of Kamala Harris / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO /  Courtesy of Kamala Harris/ HANDOUT" - NO MARKETING - NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS

Als Harris 1969 eingeschult wurde, war das erst das zweite Schuljahr, in dem das Ende der Rassentrennung umgesetzt wurde. Manchmal erinnert sie im Wahlkampf daran, wie sie in den Schulbus stieg, in dem hauptsächlich weisse Kinder sassen. Ansonsten spricht sie lieber von ihrer Herkunft aus der Mittelklasse. Donald Trump schimpft sie ja «Kommunistin» oder «Genossin Kamala». Berkeley gilt Konservativen als Synonym für öko und woke, und aus Oakland kamen die Black Panthers, die sehr linke afroamerikanische Bürgerrechtsgruppe.

Schon in Oakland so etwas wie ein Star

Dort betritt an einem Septembervormittag Nancy O’Malley ein Restaurant, sie ist Anfang siebzig, trägt eine schwarz umrandete Brille und hat graublondes Haar. Bis zu ihrer Pensionierung war sie mehr als 30 Jahre lang im Gerichtsgebäude von Oakland tätig, zuletzt als Bezirksstaatsanwältin. Sie hat den scharfen, analytischen Verstand von Kamala Harris in der täglichen Arbeit kennen gelernt. Harris war Mitte zwanzig, als sie als Assistentin des Bezirksstaatsanwalts anfing. Sie machte Eindruck, selbstbewusst, wortgewandt, geschickt. «Sie hatte ein bisschen was von einem Star», sagt O’Malley. «Nein, nicht Star, aber sie hatte definitiv etwas.»

Das lag auch daran, dass die Neue bald mit dem 30 Jahre älteren Willie Brown liiert war, Sprecher des kalifornischen Parlaments, danach Bürgermeister von San Francisco und einer der einflussreichsten Demokraten Kaliforniens. Über ihn wurde sie Teil der High Society und lernte reiche Gönner kennen. Sie landete in den Klatschspalten, nachdem Clint Eastwood ihr Champagner übers Kleid gegossen hatte.

Hart mit den Tätern, fürsorglich mit den Opfern

Nancy O’Malley fiel Harris aber als Strafrechtlerin auf, hart gegenüber Tätern und empathisch mit den Opfern. Sie erzählt von einem mehrfach vergewaltigten, verstörten Mädchen, dem Harris so viel Vertrauen vermittelt habe, dass es gegen seine Peiniger ausgesagt habe. Harris könne «die mitfühlendste und fürsorglichste Person sein, die man sich vorstellen kann». Und sie könne «jemanden ganz schön in den Hintern treten». Das bekamen dann die Angeklagten zu spüren.

In der Regel waren die Täter Männer. «Ich kenne diesen Typ», sagte Harris nach ihrer Nominierung – und meinte Trump, der wegen sexuellen Missbrauchs einer Frau zu Schadenersatz verpflichtet wurde. Ihre Rivalen dagegen werfen ihr noch immer vor, dass sie einst für einen Polizistenmörder nicht die Todesstrafe beantragt hatte.

Kritiker sehen in Harris ein Produkt des linken kalifornischen Klüngels. Dabei hat Harris alle ihre Wahlen gewonnen: je zweimal zur Bezirksstaatsanwältin und Generalstaatsanwältin, je einmal zur Senatorin und Vizepräsidentin. «Sie ist nicht auf ihre Posten gefallen», sagt O’Malley. «Sie wusste immer, dass es einen nächsten Schritt gibt.» Die talentierte Ermittlerin wechselte weiter nach San Francisco, um den Bezirksstaatsanwalt abzulösen.

Kamala Harris gives her victory speech after becoming the first woman and Afro/Indian American  D.A. in California  at her campaign headquarters on 3rd Street  surrounded by friends and family members (L to R0 Bayview/Hunter's point supervisor Sophie Maxwell, Mother, Shyamala Harris, brother-in-law Tony West and sistrer, Maya Harris on 12/10/03 in SanFrancisco .  Kat Wade / The Chronicle  Kamala Harris gives her victory speech at her campaign headquarters in the Bayview District.    Kamala Harris gives her victory speech at her campaign headquarters in San Francisco's Bayview district. (Photo by Kat Wade/San Francisco Chronicle via Getty Images)

2011 ging es für Harris weiter nach Sacramento, als Kaliforniens Generalstaatsanwältin. Sie legte sich an mit Schlepperbanden, Drogendealern und Grossbanken. 2017 zog sie in den US-Senat ein, und 2020 feierte sie mit Joe Biden jenen Wahlsieg, den der Verlierer Trump bis heute leugnet. «We did it, Joe!», rief sie ins Mobiltelefon, als der Triumph vier Tage nach der Wahl feststand; auch da trug sie Joggingklamotten. Ihr Mann Doug Emhoff filmte die Szene, sie ging viral. Kamala Harris war nun Amerikas Nummer zwei.

Sie sah hinunter – und sich selbst als 17-Jährige

Als sie dann im Januar 2021 das erste Mal mit dem Helikopter zu ihrer neuen Residenz als Vizepräsidentin geflogen wurde, dem Naval Observatory in Washington, begann die Marine Two unerwartet in der Luft zu kreisen. «Ein Marinesoldat bat mich, aus dem Fenster zu schauen», erinnerte sich Harris später. «Sie hatten eine Überraschung für mich.»

Unter sich sah sie eine rechteckige Rasenfläche zwischen Backsteingebäuden. Harris erkannte den Ort sofort. Sie schwebte über der Howard University. Dort, an der ehrwürdigen Hochschule der afroamerikanischen Intellektuellen, hatte Harris ab 1982 vier prägende Jahre verbracht.

Als sie aus dem Helikopter hinunterschaute, erzählte sie, «sah ich mich als 17-Jährige über diesen Campus gehen, einen grossen Stapel Bücher unter dem Arm». Diese Erinnerung habe sie «darin bestärkt, dass ich alles sein kann, dass ich alles erreichen kann, selbst wenn es vorher noch niemand geschafft hat». Der amerikanische Traum, Harris bezieht sich immer wieder darauf.

Die Studentin Kamala Harris im Jahrbuch der Howard University, wo sie 1986 mit dem Bachelor of Arts abschloss.

In ihrer Jugend war Harris herausgestochen als Einwandererkind. Auf dem Campus der Howard University war das ganz anders. In den Studienjahren von Harris, Bachelor of Arts, Class of 1986, waren drei Viertel der Bevölkerung von Washington schwarz. «Ich werde mich immer daran erinnern, wie ich in das Cramton Auditorium ging für den Einführungstag. Der Raum war bis auf den letzten Platz besetzt», schreibt Harris in ihrer Autobiografie. Sie habe sich gefühlt wie im «Paradies»: «Hier waren Hunderte Leute. Und alle sahen so aus wie ich.»

Oder wie Lita Rosario-Richardson, die sie 1982 kennen lernte. Ihre Mutter war alleinerziehend wie die von Harris, auch bei ihr stammte ein Elternteil aus der Karibik. Heute sagt sie, schon damals habe Harris vieles gehabt, was es zumindest im Rückblick logisch erscheinen lasse, dass sie sich nun um das Präsidentenamt bewerbe.

Der Beweis, dass Minder­heiten­förderung funktioniert

Eine Kanzlei mit Aussicht auf Washingtons grüne Umgebung. Lita Rosario-Richardson, silberne Haare, goldener «Love»-Anhänger um den Hals, die Bluse gesprenkelt mit einem Eiffelturm-Motiv, ist Spezialistin für Urheberrecht und Chefin der Entertainment-Abteilung einer Anwaltskanzlei, zu ihren Kunden zählen Grössen wie die Rapperin Missy Elliott. «Ist doch interessant, dass Kamala von der Howard University kommt», sagt sie. «Wir sind der Beweis.» Der Beweis, dass Minderheitenförderung funktioniere. Affirmative Action, wie sie von Trumps konservativer Mehrheit im Supreme Court gerade Stück für Stück abgeschafft wird.

Ihr fiel Kamala Harris auf, weil sie knallhart gegen Männer zu argumentieren wusste: Lita Rosario-Richardson, Mitstudentin von Harris in Howard, heute Anwältin im Musikbusiness.

Howard gehört zu den «Historically Black Colleges and Universities». Die Schule wurde 1867 nach dem Bürgerkrieg vom US-Kongress gegründet, um, so sagt es Rosario-Richardson, «Afroamerikaner bei der Bildung zu unterstützen, weil uns Bildung während der Sklaverei verweigert wurde». Aus ihr gingen mehrere Kämpfer für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner hervor. Charles Houston brachte die Rassentrennungsgesetze zu Fall. Und er bildete Thurgood Marshall aus, 1967 der erste schwarze Richter am Supreme Court. Ihre Namen zählt Kamala Harris heute auf, wenn sie über Vorbilder spricht.

Und immer wieder dieser Rassismus

Im Wahlkampf weicht Harris den Fragen der Identität aus. Und das, obwohl die Themen Herkunft, Diskriminierung, Vielfalt sie so geprägt haben. Es ist das Gegenteil der Kampagne von Hillary Clinton, die als Präsidentschaftskandidatin 2016 das Land zu einer Premiere überreden wollte – und verlor.

Ganz anders Donald Trump. Kaum war Harris Kandidatin, griff er ihre Herkunft an. Stets hat er versucht, die Amerikaner gegeneinander aufzubringen: Ansässige gegen Immigranten, Latinos gegen Schwarze, Christen gegen Muslime. «Es ist immer dieselbe alte Leier», antwortet Harris darauf. Sie kennt das, Rassismus trieb sie schon als Howard-Studentin um. Es waren die Jahre der Proteste gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Harris war mittendrin.

In this November 1982 photo released to AFP, Courtesy of Kamala Harris, on November 16, 2020, shows a young Kamala Harris (R) with Gwen Whitfield at an anti-apartheid protest during her freshman year at Howard University in Washington, DC. Kamala Harris is poised to become the first female vice president of the United States. The 56-year-old Harris, a senator, former prosecutor and the running mate of President-elect Joe Biden, will notch a slew of firsts when she is sworn in on January 20: as the first US female vice president and the first Black in that position, as well as the first person of South Asian descent. (Photo by Handout / Courtesy of Kamala Harris / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO /  Courtesy of Kamala Harris/ HANDOUT" - NO MARKETING - NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS

In Howard führte Harris auch ihren ersten Wahlkampf. Sie gewann – und wurde Klassensprecherin. Dann ergatterte sie einen Nebenjob im Büro des kalifornischen Senators Alan Cranston. «Ich fühlte mich wie der Mittelpunkt des Wandels», sagte sie einmal, «selbst als Praktikantin, die die Post sortierte.» In diesen Jahren beschloss Harris, dass Proteste nicht genügen, dass der Wandel im Inneren des Systems vorangetrieben werden müsste. Sie entschied sich, Staatsanwältin zu werden. «Meine beste Freundin in der Highschool wurde von ihrem Vater missbraucht», sagte sie einmal. «Ich wollte Menschen wie sie schützen.»

Lita Rosario, unten rechts, im Jahrbuch der Howard University. Sie heuerte Kamala Harris für das Debattierteam ihrer Hochschule an, einer ehrwürdigen Institution für afroamerikanische Intellektuelle.

Lita Rosario-Richardson war «schockiert», als Harris ihr davon am Telefon berichtete: «Afroamerikaner sollten doch auf der Seite der Verteidigung stehen, wegen der langen, bitteren Geschichte von Schwarzen und der Polizei und der Kriminaljustiz.» Harris blieb bei ihrer Entscheidung. Sie wusste ja, sich mit Argumenten zu verteidigen, noch so eine Eigenschaft, mit der sie schon in Howard aufgefallen war.

Wo Kamala Harris lernte, Männer zu demontieren

Rosario-Richardson erinnert sich an «hitzige Diskussionen» im Punchout, der Snackbar auf dem Campus. Kamala Harris sei schlagfertig gewesen und habe den Männern in der Runde ihre Meinung gesagt. Rosario-Richardson warb sie für das Debattierteam an, für das Harris in Wettkämpfen gegen die Teams von Georgetown, Harvard, Columbia argumentierte. Reiche, weisse Schulen. Die Gegner: meist Männer. «Wenn du dich mit ihnen misst und gewinnst, gibt dir das grosses Selbstvertrauen», sagt Rosario-Richardson.

Bis heute liegt Harris der rhetorische Angriff. Als Senatorin stellte sie den konservativen Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh bei dessen Anhörung 2018 bloss. «Kennen Sie ein Gesetz, das dem Staat die Macht gibt, Entscheidungen über den Körper von Männern zu fällen?» Eine Anspielung auf die Versuche der Republikaner, das Recht auf Abtreibung abzuschaffen. Kavanaugh druckste herum. Harris wiederholte ihre Frage, langsam, überdeutlich, lächelnd.

Der Videoclip machte sie zu einer Ikone der Frauenrechtlerinnen. 2020 wies sie Vizepräsident Mike Pence zurecht, als der ihr bei der TV-Debatte ins Wort fiel: «I’m speaking» – «jetzt rede ich». Harris-Fans tragen den Spruch auf T-Shirts. Vor dem TV-Duell zwang sie den überrumpelten Donald Trump zum Händedruck und demontierte ihn darauf nach allen Regeln der Redekunst.

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Gebildet, schlagfertig, freundlich, weltoffen. Mit einem Lachen, das den galligen Donald Trump auch deshalb so irritiert, weil es allen zeigt, dass Harris Spass haben kann. Müsste sie diesem Mann nicht längst in den Umfragen enteilt sein?

«Wir hoffen einfach und beten, dass sie es schafft»

Dies aber ist Amerika, und hier ist Umfragen zufolge etwa die Hälfte bis heute der Meinung, unter einem Präsidenten Trump ginge es ihnen besser, das Einkaufen wäre billiger und die Welt friedlicher. Wenn Kamala Harris gewinnen will, braucht sie also Unterstützung. Menschen, die erzählen, was Harris vorhat: dass sie die Kosten für Lebensmittel und Wohnraum senken will, dass sie Familien aus der Mittelschicht entlasten und die Steuern für die Superreichen erhöhen will, dass sie sich einsetzt für das Recht auf Abtreibung und die Demokratie.

In seinem Restaurant in Oakland packt Derreck Johnson ein T-Shirt aus, darauf Kamala Harris, seine «Cousine». Auch er will noch helfen im Wahlkampf, «ich muss etwas tun». Er will mit den Leuten reden, es wird um jede Stimme gehen.

Derreck Johnson hat so viel erlebt mit Kamala Harris. Sie stellte ihn Joe Biden vor, und vor ein paar Monaten besuchte Johnson die Vizepräsidentin in ihrer Residenz in Washington. Sie frühstückten, danach fuhren sie in der gepanzerten Limousine die gesperrte Strasse hinab. «Oh, das gefällt mir», dachte sich Johnson, er hätte ewig so weiterfahren können. Am liebsten gleich zum Weissen Haus. «Wir hoffen einfach und beten, dass sie es schafft», sagt er so kurz vor der Wahl. Und auf einmal klingt er doch auch ein bisschen verzweifelt.

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