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Parteitag der US-Demokraten
Kamala Harris hält ihre grosse Rede – und bleibt politisch vage

US Vice President and 2024 Democratic presidential candidate Kamala Harris speaks on the fourth and last day of the Democratic National Convention (DNC) at the United Center in Chicago, Illinois, on August 22, 2024. Vice President Kamala Harris will formally accept the party’s nomination for president today at the DNC which ran from August 19-22 in Chicago. (Photo by ANDREW CABALLERO-REYNOLDS / AFP)
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Der bedeutendste Abend im Leben von Kamala Harris beginnt mit der Frage, ob nur Pink für sie singen wird oder auch Beyoncé und sogar Taylor Swift. Tweets und Gerüchte machen die Runde vor ihrer Rede als Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten. Es ist der vierte und letzte Abend dieses fulminanten Parteitags in Chicago, gut zehn Wochen vor dem Wahlduell mit Donald Trump. Ein Medienereignis der Superlative, ausgerichtet auf eine Frau, deren Namen die meisten Amerikaner noch vor vier Wochen nicht korrekt aussprechen konnten, wovon noch die Rede sein wird.

In den Stunden zuvor singt erst mal Pink, und es spricht auch Harris’ Schwester Maya. Nach vielen Reden steht sie endlich auch selbst auf der blauen Bühne im United Center. Kamala Harris (59), die erste Präsidentin der USA werden will. Erste Vizepräsidentin mit afroamerikanischen und asiatischen Wurzeln ist sie schon. Zu ihrem Auftritt wird «Freedom» von Beyoncé gespielt, aus der Konserve. Es dauert drei Minuten, bevor die Hauptrednerin zu Wort kommt, weil Tausende Delegierte und Gäste im Saal hartnäckig jubeln, sie schreien «Kamala» und, natürlich, «USA».

Sie muss entsprechend oft «thank you» sagen. Sie bedankt sich ausführlich, auch bei ihrem Mann Doug zum zehnten Hochzeitstag, bei Joe Biden, ihrem Chef, der ihr gerade noch den Weg zur Kandidatur geräumt hat, der aber schon in die Ferien abgereist ist, bei ihrem Vizekandidaten Tim Walz. So geht das los, es folgt ein persönlicher Streifzug durch ihre Jugend als Kind einer Biologin und eines Ökonomen, die aus Indien und Jamaika in die USA gekommen waren.

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Unwahrscheinliche Wendungen seien ihr nicht fremd, sagt sie, sie sei furchtlos erzogen worden. «Lauf, Kamala, lauf», habe ihr Vater immer gesagt, das war lange bevor der Film «Forrest Gump» gedreht wurde. Sie erzählt vom Elternhaus in Kalifornien, wo Aretha Franklin gespielt wurde, John Coltrane, Miles Davis, alles schwarze Superstars. Sie berichtet von ihrer Karriere als Strafverfolgerin, und bald sagt sie den formell wichtigsten Satz der ganzen Veranstaltung: «Im Namen aller, deren Geschichte nur in der grossartigsten Nation der Welt geschrieben werden kann: Ich nehme ihre Nominierung zur Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika an.»

Harris verspricht Einsatz für die Mittelklasse und die Nato

Da tobt die Audienz, die nicht nur bei dem gemächlichen Einstieg weitaus weniger euphorisch reagierte als etwa beim flammenden Beitrag von Michelle Obama an Tag zwei. Bis zum Schluss verdichtet sich der Auftritt von Harris dann doch zu einem eindringlichen Vortrag mit einigen Emotionen, die grosse Vorstellung eine Bewerberin, über deren genaues politisches Programm allerdings immer noch der eine oder andere rätseln wird.

Sie verspricht Einsatz für die Mittelklasse ebenso wie Einsatz für die Verteidigungsallianz Nato, die Trump nicht mehr so wichtig zu sein scheint. Sie will sich für eine Rückkehr des landesweiten Rechts auf Abtreibungen einsetzen, für Grenzsicherheit und trotzdem auch für Immigranten, für einen Waffenstillstand in Gaza und dennoch für Israel. «Vom Gerichtsraum bis ins Weisse Haus, das war mein Lebenswerk», bald soll für die Vizepräsidentin das grösste Kapitel dazukommen, der Weg ins Oval Office.

Dies sei die Chance, «einen neuen Weg in die Zukunft einzuschlagen», verspricht Harris, sie werde «die Präsidentin für alle Amerikaner sein». Man könne sich immer darauf verlassen, «dass ich das Land über die Partei und mich selbst stelle. Dass ich Amerikas Grundprinzipien heilighalte. Von der Rechtsstaatlichkeit. Zu freien und fairen Wahlen. Bis hin zur friedlichen Machtübergabe.»

US Second Gentleman Douglas Emhoff (L) hugs US Vice President and 2024 Democratic presidential candidate Kamala Harris after speaking on the fourth and last day of the Democratic National Convention (DNC) at the United Center in Chicago, Illinois, on August 22, 2024. Vice President Kamala Harris will formally accept the party’s nomination for president today at the DNC which ran from August 19-22 in Chicago. (Photo by SAUL LOEB / AFP)

Solche Sätze hört man von Aspiranten öfter. Aber hier geht es um den Kampf gegen Donald Trump, der Wahlen im Zweifel nur dann anerkennt, wenn er sie gewinnt. Trump, sagt Kamala Harris, sei ein in vielfacher Hinsicht unseriöser Mann. Doch die Folgen, ihn wieder im Weissen Haus zu haben, seien extrem ernst. So ernst, dass Harris mehr Zeit damit verbringt, über Donald Trumps politisches Programm zu reden als über ihr eigenes, dass sie die Pläne des Gegners im Detail erklärt, während ihre eigenen im wolkigen Wohlfühlbereich bleiben.

Die Warnungen vor Trump waren auch von vielen anderen Stimmen von dieser Parteibühne zu hören. In Kamala Harris’ Fassung wirken sie an diesem Abend zu verhalten. Weniger humorvoll, aber auch weniger spitz als die Pointen bei den Wahlrallys der vergangenen Wochen, wo sie als beinharte frühere Staatsanwältin auftrat. Sie habe Sexualstraftäter hinter Gitter gebracht, sie kenne Typen wie Donald Trump.

Vier Tage und diverse Reden lang war die Veranstaltung auf dieses Finale hingesteuert. Einen Gipfel hatte sie schon am Dienstagabend erreicht, als die Obamas auftraten. Es war eine Ekstase, wie sie in dieser Halle vielleicht mal Michael Jordan ausgelöst hatte, der fliegende Basketballer der Heimmannschaft Chicago Bulls mit seinen Rekordwürfen. Das Ehepaar Obama war für Kamala Harris ein besonders kundiger Beistand und vielleicht auch eine Gefahr: Sind die zwei überhaupt zu toppen von der Frau, deren Stern hier am hellsten leuchten soll?

Bill Clinton über Harris: «The president of joy»

Nun muss man festhalten: Sind sie bis auf weiteres nicht. Doch Michelle Obama entdeckte bei der neuen Kandidatin «die ansteckende Macht der Hoffnung», ein Rezept gegen Trump mit seinen «hässlichen, frauenfeindlichen, rassistischen Lügen als Ersatz für echte Ideen und Lösungen». Barack Obama sprach von einem neuen Kapitel, «Amerika ist bereit für eine bessere Geschichte. Wir sind bereit für eine Präsidentin Kamala Harris.»

Das war auch ein etwas vergifteter Gruss an Joe Biden, der sich vorher mit verhaltener Begeisterung für die Nominierte verabschiedet hat und danach in die Ferien geflogen war. Bill Clinton, inzwischen 78, erkannte in Bidens Erbin mit heiserer Stimme «the president of joy», die Präsidentin der Freude. Die eindeutig legendäre Talkmasterin Oprah Winfrey nannte sie bei ihrem Überraschungsauftritt am Mittwoch «das Beste Amerikas», die Amerikaner sollten «Optimismus statt Zynismus» wählen.

US singer-songwriter Pink (C) and her daughter Willow (L) perform on the fourth and last day of the Democratic National Convention (DNC) at the United Center in Chicago, Illinois, on August 22, 2024. Vice President Kamala Harris will formally accept the party’s nomination for president today at the DNC which ran from August 19-22 in Chicago. (Photo by SAUL LOEB / AFP)

Es gab nun auch die eine oder andere Warnung führender Demokraten, angesichts der Stimmung nicht übermütig zu werden und fleissig weiterzuwerben. «Do something», rief Michelle Obama, tut etwas. «Das wird ein schwieriger Kampf», prophezeite Barack Obama. «Lasst uns an die Arbeit gehen.»

Ein neues Motto der Demokraten ist bei genauer Betrachtung eine schöne Erweiterung von Trumps Schlachtruf. «Fight», rief er 2021 vor dem Capitol, zu dem er seine Horden schickte, «fight», rief er mit hochgereckter Faust, nachdem im Juli die Kugel eines Attentäters sein Ohr gestreift hatte. «Kämpft.» Kamala Harris’ Demokraten skandieren nun: «When we fight, we win.» Wenn wir kämpfen, gewinnen wir.

Die Demokraten zelebrieren den Patriotismus

Auch «USA, USA, USA» skandieren sie in der Arena ein ums andere Mal. Etwa, als der Republikaner Adam Kinzinger zu Harris’ Wahl aufruft. Und den Demokraten bescheinigt, genauso patriotisch zu sein, wie seine eigene Partei es einst war. Bevor Trump sie verführte.

In solchen Momenten klingt es im United Center wie im Fiserv-Forum in Milwaukee beim Kongress der Republikaner. Die Bühne in Chicago bleibt dabei blau, in der Farbe der Partei. Die Menge hingegen leuchtet plötzlich in Rot, Weiss und Blau, wenn Tausende kleine Star-Spangled Banners und USA-Schildchen in die Höhe gehen.

Die Demokraten zelebrieren in diesem Wahljahr den Patriotismus noch offensiver, als sie es ohnehin stets tun. Usus ist in diesem Land, dass jeder Sitzungstag mit dem Aufmarsch von Fahnenträgern beginnt, gefolgt vom Treueschwur auf die Flagge und die Republik, für die sie weht, und der Landeshymne. Die Liebe zum Vaterland, an der im besten Land der Welt kein Mangel herrscht, wollen die Demokraten keinesfalls den Republikanern überlassen in diesen entscheidenden Wochen vor dem 5. November.

All die Sprüche und das gesamte Speeddating inklusive Antrittsrede in rot-weiss-blauer Festlaune sollen eine Frau populär machen, die viele Amerikaner bis zuletzt kaum kannten. Unfreiwillig erleichtert Donald Trump den Demokraten die Arbeit. Seit Wochen versucht er, den Namen von Harris fremdartig erscheinen zu lassen, indem er ihren Vornamen falsch betont und verhunzt.

Die Mädchen erklären, wie man «Kamala» sagt

Geschickt kontern die Demokraten in Chicago. Zwei Grossnichten Kamalas erklären Trump – und ganz nebenbei dem Publikum in der Arena – die richtige Betonung des Namens ihrer Tante: «Kama», Betonung auf der ersten Silbe, wie beim Komma auf Englisch, «dann sagst du la, wie bei la-la-la.» Und nun alle im Chor, «Kama-la, Kama-la, Kama-la». Die kleinen Mädchen Leela und Amara, die den 78-jährigen Wüterich belehren: entwaffnend, unangreifbar, unbezahlbar.

Tochter von Immigranten aus Jamaika und Indien, Juristin, früher Staatsanwältin, dann Senatorin, derzeit Vizepräsidentin – viel mehr wussten viele Wähler bisher nicht über die 59-jährige Kalifornierin. «Ich weiss bis heute nicht, woran sie glaubt», zitiert die «New York Times» Melina Abdullah, Begleiterin des unabhängigen (und chancenlosen) Kandidaten Cornel West, der sich ebenfalls in den Gängen des Parteitags der politischen Rivalin herumtrieb.

Beyoncé zum Letzten

Nie zuvor musste sich eine Kandidatin in so kurzer Zeit bekannt machen. Mitarbeiter beschreiben sie als zäh, pragmatisch und stets vorbereitet. Sie habe dazugelernt seit ihrem missglückten Wahlkampf 2020, als sie schon vor den Vorwahlen ausschied, Biden machte sie dann zu seiner Stellvertreterin. Zu ihren Beratern gehören inzwischen vormalige Ratgeber des Präsidenten und auch von Barack Obama. Die gesamte Kampagnenorganisation hat sie von Joe Biden übernommen, inklusive Führungsriege, der sie einige eigene Vertraute zur Seite stellte. Auch die Spendenkassen erbte Kamala Harris von ihrem Chef, nunmehr vor allem eine lahme Ente.

Und dann, am Donnerstagabend gegen 23.15 Uhr, war diese Democratic National Convention und das Fest der Kamala Harris plötzlich vorbei. Von der Hallendecke schwebten die rot-weiss-blauen Luftballons ins Parkett herab, wo sie laut zerplatzten. Beyoncé sang noch mal «Freedom». Wieder nur vom Band.