Die Hoffnung auf «Merzcron»Sie ticken gleich, mögen dieselbe Kunst: Bringen Macron und Merz eine neue Bromance für Europa?
Mit Olaf Scholz konnte es Emmanuel Macron nicht, mit Friedrich Merz dagegen schon. Politisch denken sie ähnlich, kommen beide aus der Wirtschaft, und sie mögen die Disruption. Es läuft der Versuch eines Neustarts des deutsch-französischen Motors.

Für Emmanuel Macron ist Friedrich Merz ein Glücksfall. Fast ein Traumpartner. Das verkörperte Versprechen auf eine neue Idylle in den Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland und, in logischer Konsequenz, für Europa. Zumindest potenziell. Man weiss ja, wie schnell es in der Politik geht, in der heutigen Weltpolitik zumal. Idyllen verblühen auch mal, ehe man sich versieht.
Aber zunächst ist da in Paris und besonders im Palais de l’Élysée diese Hoffnung, dass Berlin mit Merz als Kanzler auf einen Schlag viel näher rückt. Politisch – und menschlich.
Diese spezielle Chemie
In jedem Hintergrundgespräch für die Presse seit den deutschen Parlamentswahlen beschwören Macrons Berater diese spezielle Chemie zwischen den zwei Männern, wie ein Mantra tragen sie es vor. Ein plötzlicher Klimawandel.
Man muss auch sagen, dass mit Olaf Scholz Eiszeit war. Macron konnte es nicht mit dem kühlen Norddeutschen. In einem leichten Moment, bei Macrons Besuch in Hamburg, ass man Fischbrötchen, so etwas vergisst man nicht in Frankreich. Der Präsident verzog das Gesicht beim Verzehr. Macron und Scholz versuchten gar nicht, ihre Missliebe zu überspielen. Zu unterschiedlich waren sie, in allem.

Macron und Merz hingegen mögen sich, das zeigen sie auch gern. Sie denken ähnlich über Europa und die Welt, sie sind beide Wirtschaftsliberale. Sie ticken als Typen ähnlich, ihr Gestus soll auch mal disruptiv sein. Ihre Karrieren gleichen sich, sie waren beide in der Privatwirtschaft, oder wie Politiker mit solchen Laufbahnen sagen: Sie haben gearbeitet. Macron war Privatbanker, Merz Berater und Netzwerker in der Finanzwelt. Sie mögen dieselbe Kunst, beide haben eine Schwäche für Anselm Kiefer.
In Paris erzählt man sich jetzt auch, dass Merz zwar ein fester Transatlantiker sei, klar, aber eben gleichzeitig «frankophil», und dass das Treiben von Donald Trump seinen Transatlantismus schwäche und seine Zuneigung zu Frankreich gleichzeitig stärke. Auf seinem Schreibtisch steht ein Foto, auf dem man Konrad Adenauer und Charles de Gaulle zusammen in der Kathedrale von Reims sieht – wenn das mal keine Ansage ist.

Er hätte da auch ein Foto von François Mitterrand und Helmut Kohl hinstellen können, vielleicht das berühmte: 1984 in Verdun, Hand in Hand. In der Nachkriegsgeschichte der beiden Länder gab es immer wieder Duos an der Spitze, die sich gut leiden konnten, selbst über vermeintlich unüberbrückbare ideologische Differenzen hinweg.

Auch Jacques Chirac und Gerhard Schröder funktionierten ganz gut miteinander, nicht selten zu Bier und Kalbskopf. Im Vergleich zu Macron & Scholz waren eigentlich alle früheren Gespanne recht harmonisch, und Merkel & Macron war beinahe eine Romanze.

Jetzt also «Merzcron». Und bei aller gebührenden Vorsicht in dieser volatilen Welt ist es wahrscheinlich nicht verkehrt, die Aussichten für ein funktionierendes «couple franco-allemand», wie die Franzosen sagen, ein deutsch-französisches Paar also, als hoch einzustufen.
Dafür gibt es gute Gründe. Zunächst einen äusseren: Die beiden können nicht anders. Trump drängt sie zum Handeln: mit seinem Versuch, die Ukraine für einen schnellen Deal mit Wladimir Putin zu opfern; mit seiner erratischen Zollpolitik; mit seinem illiberalen Gebaren auch. Europa muss reagieren, es hat keine Wahl.
Die Metapher vom Motor – auch ein Klassiker
Macron und Merz werden deshalb bemüht sein, den alten Motor ihrer Beziehung so schnell wie möglich wieder anzuwerfen, damit Europa Schub bekommt. Auch die Metapher des Motors ist ein Klassiker. Macron ist seit den verlorenen Parlamentswahlen 2024 nur diese internationale Bühne geblieben: Aussenpolitik ist seine exklusive Kompetenzzone.
Merz wiederum, so hört man, will einen grossen Teil seiner Anstrengung Europa und der Welt widmen. Man wird die Bühne also idealerweise zu zweit bespielen, Paris und Berlin in Harmonie, und alle anderen drum herum.
Es hilft, dass beide sehr überzeugte Europäer sind. Merz war Europaabgeordneter, bevor er in den Bundestag gewählt wurde. Macron hielt grosse Reden auf Europa, in denen er manche Wahrheit vorwegnahm, die sich mit dem Wegdriften der USA erst recht materialisieren und nun sogar ein bisschen prophetisch anmuten – etwa zur Notwendigkeit einer europäischen Verteidigung, einer strategischen Autonomie des alten Kontinents.
Sieht er sich etwa als Napoleon?
Allein, in Berlin erlebten viele das grosse Reden des Franzosen wie eine napoleoneske Anwandlung, eine Art Grössenwahn, und bremsten ihn. Natürlich, Macrons beredtes Reden stand oft in keinem Verhältnis zu seinen Taten und der tatsächlichen Grösse Frankreichs. Aber seine Analyse der Lage war nicht selten richtig.
In Merz wird er in manchen zentralen Punkten nun bald einen möglichen Alliierten haben. Die Frage ist nur, ob der neue Kanzler dann auch die politische Kraft hat, sich damit daheim durchzusetzen – gegen seine sozialdemokratischen Koalitionspartner. Ein französischer Präsident hat es da leichter: Er muss etwas nur wollen und sagen, dann bekommt er es.
Macron warf Scholz wiederholt vor, zu zögerlich zu handeln, wenn es um die Verteidigung der Ukraine gehe. Der deutsche Kanzler stellte sich gegen die Lieferung von Marschflugkörpern des Typs Taurus und gegen die Entsendung westlicher Bodentruppen zur Sicherung eines möglichen Waffenstillstands. Scholz sagte jeweils, Europa dürfe den Konflikt mit Putin nicht eskalieren. Macrons Kritik war natürlich ungebührlich. Die deutsche Hilfe für die Ukrainer war und ist noch immer deutlich grösser als die französische.
Frankreich hätte gern, wenn die Deutschen Rafale kaufen statt F-35
Merz ist offener in beiden Fragen: sowohl beim Taurus als auch bei den Bodentruppen. Selbst die Debatte über ein deutsches Plätzchen unter dem französischen Atomschirm, früher immer ein absolutes Tabu, scheint mit Merz plötzlich nicht mehr so tabu zu sein.
Die Zeiten sind auch andere, alte Gewissheiten brechen weg, auf Washington ist nicht mehr einfach so Verlass. Paris hofft auch, dass die Deutschen in Zukunft für ihre Armee mehr europäisch einkaufen statt amerikanisch, will heissen: französisch. Etwa den Kampfjet Rafale statt der F-35.
In Paris verspricht man sich auch einiges von Merz’ Lockerung der Schuldenbremse, und das ist kein Wunder. Frankreich hat enorm hohe Staatsschulden, so hohe wie noch nie. Wenn nun auch die Deutschen ihr strenges Gebot des vernünftigen Haushaltens aufgeben, sinkt vielleicht der Druck auf Paris.
Wichtig ist das, wenn es darum geht, den Verteidigungsetat zu erhöhen, national und europäisch. Die Franzosen sähen es bekanntlich gern, wenn die 27 Länder der EU gemeinsame Schulden machen würden, etwa für die Aufrüstung. Bisher war Deutschland immer entschieden dagegen. Was ist mit Merz: Lockert er auch dieses Dogma?
Gehen die Interessen wirklich zusammen – etwa im Freihandel?
Mit Scholz hatte sich Macron auch über Energiefragen gestritten, über Frankreichs Atomkraft. Und über ein Freihandelsabkommen mit den Ländern in Lateinamerika, dem Mercosur. Die Franzosen wollen ihre Landwirtschaft gegen eine Konkurrenz aus Übersee schützen, zum Beispiel ihre Fleischindustrie, während die Deutschen für ihre Autos und Maschinen auf einen leichteren Zugang zu einem grossen Absatzmarkt hoffen.
Geht das zusammen? Findet man in diesen handelspolitisch so konfusen Zeiten einen gemeinsamen Weg, der den einen hilft und den anderen nicht schadet?
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Viel Zeit ist nicht. Macron hat noch zwei Jahre, im Frühling 2027 endet seine Präsidentschaft. Und was dann kommt, was für ein «couple», weiss niemand. Aber zwei Jahre sind auch nicht nichts.
Merz wird am 7. Mai in Paris erwartet. Er werde «sofort» nach Paris reisen, sagte er, kaum stand der Koalitionsvertrag. Am 8. Mai werden Macron und Merz unter dem Triumphbogen dann einen Kranz niederlegen, zum 80. Gedenktag des Kriegsendes.
Das erste offizielle Treffen wird also gleich auch einen bedeutenden symbolischen Rahmen haben. Merz war schon kurz nach dem Wahlsieg im Élysée, für ein dreistündiges Dinner, von dem wenig an die Öffentlichkeit gelangte. Nur, dass sie sich auf Englisch unterhalten hätten, das können beide gut, und dass das Treffen blendend verlief.
Merz schrieb danach auf X: «Vielen Dank, lieber Emmanuel Macron, für Deine Freundschaft und Dein Vertrauen in die deutsch-französischen Beziehungen. Zusammen können unsere Länder Grosses für Europa erreichen.» Dazu ein Foto, das die beiden im Palais zeigt, Goldbordüren, Kamin, Kronleuchter, Macrons rechte Hand auf Merz’ linker Schulter. Wie alte Freunde.
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