«Zürichsee-Stonehenge»Mysteriöse Steinhügel vor Männedorf werfen Fragen auf
Dienten die künstlichen Aufschüttungen auf dem Seegrund einem kultischen Zweck? Zürcher Forschende haben eine andere Theorie.

- Archäologen entdeckten im See vor Männedorf eine regelmässige Reihe kreisrunder Steinhügel. Fachleute vermuten darin eher Fischereieinrichtungen als kultische Stätten oder Grabanlagen.
- Die Strukturen weisen Durchmesser von fünf bis sieben Metern auf.
- Mangels geeigneter Datierungsmethoden bleibt das Alter der Steinformationen vorerst unbekannt.
«Zürichsee, 60 Meter vor Leuenhaab: undatierte Steinhaufen»: So wird der spezielle Fund vor Männedorf im aktuellen Jahresbericht der Kantonsarchäologie und der Stadtarchäologie Zürich beschrieben.
Laut dem Bericht zeichnet sich im neuen, verbesserten digitalen Geländemodell des Zürichsees vor der Pfahlbaufundstelle Männedorf-Leuenhaab eine «regelmässige Reihe hügelartiger Strukturen im Abstand von circa 20 Metern ab». Ähnliche Steinhügel seien in jüngerer Vergangenheit auch am Boden- und Zugersee festgestellt worden.
Zürichsee: Kreisrund, Durchmesser 5 bis 7 Meter
Die Steinhügel auf dem Seegrund vor Männedorf zogen sofort das Interesse der Zürcher Archäologinnen und Archäologen auf sich. Eine Tauchequipe der Unterwasserarchäologie untersuchte die Formationen in rund vier Meter Seetiefe näher. «Die kreisrunden Strukturen mit Durchmessern von 5 bis 7 Metern bestehen aus kantigen Steinen (Gesteinsart unbestimmt) und sind im Zentrum rund 50 Zentimeter mächtig», heisst es im Bericht.
Neben einem der Hügel wurde eine Reihe dünner Holzpfähle registriert, die Richtung Seebecken verläuft. Wahrscheinlich handelt es sich um Tannenstickel. Ob zwischen den Holzpfählen und dem Steinhaufen ein Zusammenhang besteht, ist laut dem Bericht ungewiss. Aktuell sei weder die Datierung noch die Interpretation der Strukturen möglich.

Ähnliche Steinformationen wurden 2015 auch vor Uttwil TG auf dem Grund des Bodensees entdeckt: rund 170 Steinhügel in regelmässigen Abständen in einer Reihe in Ufernähe, viereinhalb Meter unter Wasser.
Bodensee: Vermutlich aus der Jungsteinzeit
Die Formationen sollen nach neuesten Erkenntnissen in der Jungsteinzeit, vor etwa 5500 Jahren entstanden sein. Zuerst waren die Archäologen davon ausgegangen, dass sie aus der Bronzezeit stammen und etwa 3000 Jahre alt sind. Einig sind sich die Forschenden, dass die Hügel von Menschenhand aufgeschüttet wurden.
Welche Funktion die prähistorischen Bauwerke hatten, ist bis heute unklar. Es kursieren verschiedene Theorien, etwa dass sie als Wehranlagen, Grabhügel, Totenkultstätte oder astronomischer Kalender gedient haben könnten. In diesem Zusammenhang machte auch der Begriff «Stonehenge vom Bodensee» die Runde.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Niels Bleicher von der Unterwasserarchäologie im Stadtzürcher Amt für Städtebau hat sich mit den mysteriösen Steinhügeln auf dem Seegrund genauer befasst. «Die Fachwelt ringt noch damit, eine belastbare Deutung zu liefern», sagt er. Ein allfälliger kultischer Hintergrund der Steinhügel sei zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich.
Dienten die Hügel der Fischerei?
Für deutlich naheliegender hält der Archäologe eine andere Theorie. Demnach könnte es sich bei den Steinhügeln vor Männedorf um neolithische, bronze- oder neuzeitliche Fischereieinrichtungen handeln.
Bleicher stützt sich dabei auf einen im November 2024 erschienenen Fachbericht der Unterwasser- und Dendroarchäologie. Darin stellt die Archäologin Eda Gross von der Universität Basel die Steinhaufen im Bodensee und vor Männedorf in einen Zusammenhang mit anderen menschengemachten Installationen zur Fischbestandsförderung und zum Fischfang sowohl in der Pfahlbau- wie in der Neuzeit.

In vielen Seen in Norddeutschland, vereinzelt aber auch in Kärnten und im Schwarzwald seien steinbesetzte, leicht erhöhte Strukturen als Barsch- oder Wallerberge bezeichnet und mit erhöhter Fischpräsenz (insbesondere für Barsche) in Verbindung gebracht worden, schreibt Gross.
Die Steinschüttungen, auch Welsburgen genannt, zogen zuerst kleinere Fische an, die diese als Laichplatz nutzten. Den kleinen Fischen folgten grössere, etwa Welse. Sie verweist zudem auf den sogenannten Rötelblätz, eine künstliche Laichhilfe für den Zuger Rötel im Zugersee, der heute noch alle paar Jahre von Kähnen aus bekiest werde.
Stonehenge? Wohl eher nicht
Für Eda Gross ist ein Zusammenhang der rätselhaften Steinhügel mit Fischerei am plausibelsten. Interpretationen als kultische Anlagen, astronomische Kalender oder Grabanlagen hält sie für wenig glaubhaft. Dazu fehlten schlicht Belege. Doch auch wenn sich die spektakuläre These eines Stonehenge an Schweizer Seen nicht bewahrheiten dürfte, seien die Steinhügel interessant genug. Die Archäologin sieht darin Zeugen eines profunden ökologischen Wissens zur weitsichtigen Förderung der Fischbestände und «grossartige Leistungen für vorausschauendes Econiche-Engineering». Darunter wird die aktive Gestaltung und Veränderung ökologischer Nischen durch Lebewesen zur Optimierung der eigenen Lebens- und Ernährungsgrundlagen verstanden.

Niels Bleicher hält Eda Gross’ These von den Fischförderungsanlagen für gut belegt. Auch er weist darauf hin, dass es im Fall der Männedorfer Steinhügel bislang keinerlei Belege für einen kultischen Hintergrund gebe. So seien auf dem Seegrund rund um die Hügel weder Keramik noch Knochen noch Statussymbole wie Steinbeile oder Metallgegenstände gefunden worden, die als Opfergaben gedient haben könnten. Die Vorstellung, dass unsere Vorfahren dort in einer grossen Prozession mit Booten Steine für ein Bestattungsritual aufgeschichtet hätten, hält er für zu abenteuerlich. Bleicher zitiert ein unter Archäologen geläufiges Bonmot: «Und fällt dir keine Deutung ein, dann muss es wohl der Ritus sein.»
Datierung kaum möglich
Das Hauptproblem bei den Steinhaufen vor Männedorf bleibt laut Bleicher, dass sie kaum zu datieren seien. Dazu fehle eine wissenschaftlich zuverlässige Methode. Weil das Alter nicht feststehe, sei es auch nicht möglich, die Bedeutung und den archäologischen Stellenwert zu beurteilen. Andernfalls könnten die Steinformationen womöglich wichtige Hinweise zur Ökonomie vor dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht liefern.

Trotz vieler offener Fragen sind derzeit im Zusammenhang mit den Steinhügeln vor Männedorf keine weiteren archäologischen Untersuchungen geplant, wie Bleicher sagt. Die Strukturen seien nicht akut bedroht, dies etwa im Gegensatz zu Pfahlbausiedlungen. Zudem gebe es auch keinen denkmalpflegerischen Auftrag und kein aktuelles Forschungsprojekt. «Wir können den Steinhügeln leider nicht höchste Priorität einräumen, aber wir behalten sie auf dem Schirm», versichert der Archäologe.
Fehler gefunden?Jetzt melden.