Leitartikel zu den US-WahlenHarris ist eine Kandidatin, Trump eine Gefahr
Es geht bei diesem Wahlkampf nicht um politische Programme, sondern darum, das Comeback von Donald Trump im Weissen Haus zu verhindern. Wie man zu Kamala Harris steht, wird zur Nebensache.
Harris gegen Trump ist der politische Boxmatch des Jahres, der Jahrzehnte prägen könnte: schwarze Frau gegen alten weissen Mann, ehemalige Staatsanwältin gegen kürzlich verurteilten Straftäter, aktuelle amerikanische Vizepräsidentin gegen früheren US-Präsidenten. Donald Trump kandidiert für die Republikaner, Kamala Harris für die Demokraten, inzwischen auch offiziell. Die Gegensätze könnten grösser nicht sein.
Rhetorisch sind beide bereits zum Angriff übergegangen. So weit, so gut, in amerikanischen Wahlkämpfen ging es schon immer hart zu und her. Die Kandidaten respektierten jedoch die amerikanische Verfassung, selbst erbitterte politische Gegner bewahrten sich ein Minimum an Anstand. Und bei der Amtseinführung am 20. Januar vor dem Capitol gab man sich wieder die Hand. Das war der minimale gemeinsame Nenner.
Demokratische Kernkompetenz fehlt
Das war einmal. Donald Trump foutiert sich um diesen traditionellen, überparteilichen Konsens, seit er im politischen Ring steht. Der Kampf um die Macht in den USA ist deshalb ein ungleicher: Harris kämpft nach den bewährten demokratischen Regeln, Trump ignoriert sie. Harris würde eine Niederlage akzeptieren, bei Trump ist das unwahrscheinlich. Den Ausgang der Wahl dürfte er nur anerkennen, wenn er gewinnt. Das zeigte sich bei den Wahlen 2020. Die Fähigkeit zu verlieren, ist eine demokratische Kernkompetenz, die Trump abgeht.
Ungeachtet dieser Asymmetrie zwischen Trump und Harris hat sich ein irritierender Both-Sideism breitgemacht, neudeutsch für die Tendenz, beide Kandidaten als gleichwertig zu behandeln, als «Hans was Heiri» sozusagen. Das ist fatal, diese Wahlen sind die wegweisende Auseinandersetzung zwischen einer Demokratin und einem Möchtegernautokraten.
Dazu passt, dass Trump starke Männer in undemokratischen Regimes bewundert, darunter Wladimir Putin, Viktor Orban aus Ungarn oder den Nordkoreaner Kim Jong-un. Auch für den kommunistischen Diktator Xi Jinping findet Trump warme Worte. Trotzdem bezeichnet beispielsweise die für ihren Auslandteil gerühmte NZZ Kamala Harris als das aussenpolitisch «grössere Risiko als Trump».
Trump lässt sich nicht «entteufeln»
Die Republikaner und die mit ihnen verbündeten Medien bemühen sich, Trumps Demokratiedefizit zu kaschieren. Sie stellen ihn als gewöhnlichen Kandidaten dar, der sich in einem Wettstreit mit seiner politischen Gegnerin misst, legal, demokratisch, alles ganz normal also. Trumps Team umwirbt so die Unentschlossenen und Wechselwählerinnen und -wähler, die den Urnengang am 5. November entscheiden dürften.
Kurz nach dem missglückten Attentat auf Trump bot der republikanische Parteitag die ideale Gelegenheit, den Berserker als Staatsmann zu präsentieren. Das Ansinnen scheiterte, als Trump bei seiner Inthronisierungsrede als offizieller Kandidat nach einer Viertelstunde vom vorgefertigten Manuskript abwich. Da war er wieder ganz der Alte, er wiederholte sogar die Lüge, die Wahl 2020 sei gestohlen worden. Trump lässt sich nicht «entteufeln», wie das bei der disziplinierten französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen ansatzweise gelang. Er lässt sich nicht einmal einhegen, wie der Auftritt in Milwaukee gezeigt hat.
Anders als bei seinem Lieblingsgetränk Coca-Cola gibt es von Donald Trump keine Light-Version, sondern nur das Original. Dazu gehören der Putschversuch, als er einen Mob animierte, das Capitol zu stürmen, seine Lügen, Diffamierungen und die rassistische Entgleisung neulich oder die Ankündigung, nach der Wiederwahl für einen Tag als Diktator zu regieren. Kommt es dann zur «sofortigen Massendeportation», die seine Fans beim Parteitag auf Kartonschildern gefordert haben? Betroffen wären 12 Millionen illegale Migranten. 12 Millionen Menschen, die über die gesamten USA verteilt sind. Wie soll das gehen? In einer Demokratie?
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Besonders beunruhigend ist Trumps kürzliches mehrdeutiges Geraune, nach dieser Wahl müsse nicht mehr gewählt werden, denn dann seien alle Probleme gelöst. «Gehen Sie wählen, nur dieses eine Mal. In vier Jahren müsst Ihr nicht mehr wählen. Wir werden es so gut hinbekommen, dass ihr nicht mehr wählen müsst», sagte Trump vor Anhängern in Florida. Schon während seiner Präsidentschaft sprach er immer mal wieder von seiner dritten oder vierten Amtszeit. Angeblich im Scherz. Und wenn nicht? Liebäugelt Trump mit einer Verfassungsänderung à la Putin oder Hugo Chávez, dem verstorbenen venezolanischen Autokraten, um seine Amtszeit zu verlängern?
Es ist offensichtlich: Trump ist nicht nur Präsidentschaftskandidat, sondern eine Gefahr für die amerikanische Demokratie – und damit für die Demokratie weltweit. Er lässt sich nicht vergleichen mit John McCain oder Mitt Romney, die als letzte Republikaner für das Präsidentenamt kandidiert hatten, bevor 2015 das Trump-Zeitalter begann. Es geht bei diesem Wahlkampf nicht um politische Programme, sondern darum, ein Comeback von Donald Trump im Weissen Haus zu verhindern. Egal, wie man zu Kamala Harris steht, ob man ihre Pläne zur Aussen-, Innen- und Wirtschaftspolitik gutheisst oder nicht – man kann ihr nur viel Glück wünschen im Boxkampf für die Demokratie.
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