Oberster Beizer im Interview«Lehrpersonen sagten meiner Tochter, sie solle nicht in die Gastronomie gehen»
Beat Imhof will das Image der Gastroberufe verbessern – weniger rau sollen sie werden. Das soll auch in den Schulen honoriert werden.
- Beat Imhof sieht im Umgang in der Küche ein Problem fürs Image der Branche.
- Der Präsident von Gastro Suisse findet, eine Frauenförderung sei nicht nötig.
- Seiner eigenen Tochter wurde ein Beruf in der Gastronomie nicht empfohlen.
- Mit den Gewerkschaften will er sich wieder an einen Tisch setzen.
Beat Imhof trat als Erneuerer an, als er letzten Juni in Neuenburg überraschend zum Nachfolger von Casimir Platzer als Präsident von Gastro Suisse gewählt wurde. Fast ein halbes Jahr danach hat der ehemalige Geschäftsführer des Casinotheaters Winterthur im Traditionsrestaurant Jack’s Brasserie in Bern Platz genommen, hier hatte er seine erste Stelle nach der Lehre. Der 52-Jährige blickt auf eine abwechslungsreiche Karriere als Küchenchef zurück. Im Grand Hotel in Oslo bekochte er Friedensnobelpreisträger und Queen Elizabeth II. Neuerdings ist er häufig im Bundeshaus, um zu lobbyieren, am Tag des Interviews übernachtet er deshalb bei seinen Eltern südlich von Bern.
Herr Imhof, lassen Sie uns mit einem Spiel starten: Sie sagen uns, wie Sie zu aktuellen Aufregern in der Gastronomie stehen. Würden Sie Gästen beispielsweise einen Wein mit Zapfen verrechnen?
Sicher nicht, es ist ja nicht der Fehler des Gastes. Und als Gast würde ich mir gut überlegen, ob ich ein Restaurant, das Zapfenwein verrechnet, nochmals besuche.
Das gäbe auch eine schlechte Bewertung.
Genau, deshalb sage ich immer, das Gute auf Google oder Tripadvisor und das Schlechte persönlich.
Würden Sie einen Zuschlag berechnen, wenn der Gast seine Stoffserviette in die Sauce legt?
Nein, solche Dinge sind einfach kleinlich. In einem guten Moment kann man den Gästen ja sagen, dass es ziemlich anspruchsvoll ist, so eine Serviette wieder sauber zu bekommen.
Wie viel würden Sie für das Hahnenwasser berechnen?
Das soll dann etwas kosten, wenn sich jemand am Nachmittag an einen Tisch setzt, zwei Stunden an einem Kaffee nippt und danach ein Glas Hahnenwasser bestellt. Gästen, die gut konsumieren, würde ich das nie verrechnen.
Zum eigentlichen Interview: Warum ist es so schwierig, Lehrstellen in der Gastronomie zu besetzen?
Am Lohn liegt es nicht, wir zahlen gute Löhne, die vergleichbar sind mit jenen in Handwerksberufen. Der Grund ist eher das Image. Die Leute, das wissen wir aus Befragungen, haben nach der Covidkrise wegen der fehlenden Vereinbarkeit des Berufs mit ihrem Privatleben die Branche verlassen. Es gab keinen Tag, an dem wegen positiver Testresultate nicht Dienstpläne umgestellt werden mussten. Die grössten Herausforderungen haben wir heute im Servicebereich, in der Küche verzeichnen wir leicht steigende Zahlen bei den Lehreintritten.
Die Stellen könnten mit einer Viertagewoche attraktiver gestaltet werden.
Ich kenne nur wenige Betriebe, die das Viertagemodell erfolgreich praktizieren. Viele, die das ausprobiert haben, kommen wieder davon weg. In der Küche ist das Konzept noch eher möglich, weil man die Produktionszeiten auf den Nachmittag verlegen kann. Aber im Service ist am Nachmittag wenig los, die Marge in der Restauration ist so klein, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann. Tatsache ist, dass die Mitarbeiterkosten der absolut grösste Kostenblock in der Gastronomie sind. Schafft man die Lohnkosten unter 50 Prozent der Betriebskosten zu halten, ist das je nach Konzept schon sehr gut. Arbeitet das Team nur an vier Tagen, muss in der gleichen Zeitspanne die gleiche Arbeitslast geschafft werden. Das erhöht den Druck wahnsinnig.
«Frauen brauchen gute Vorgesetzte, die sie unterstützen.»
Warum arbeiten so wenig Frauen in der Küche?
Frauen haben in der Küche mindestens gleichviel Talent wie Männer, eher sogar mehr. Ich bin beispielsweise überzeugt, dass viele Frauen ein besseres Gefühl fürs Abschmecken haben. Ich muss jetzt aufpassen, was ich sage, das ist ein heikles Thema. Um befördert zu werden, müssen sich Frauen leider immer noch ein Stück weit mehr beweisen als Männer. Es braucht genau deshalb gute Vorgesetzte, die sie unterstützen. Wir haben aber kein spezifisches Integrationsprogramm für Frauen, und ich glaube auch nicht, dass es das braucht. Denn der Frauenanteil insgesamt in der Branche ist hoch.
Im Kanton Zürich gibt es die neue Lehre Roast&Host, bei der die Lernenden zwischen den Betrieben wechseln, so soll die Lehre spannender werden. Wie ist dieses Projekt angelaufen?
Fürs Jahr 2025 wird es schon mindestens 11 Lehreintritte mehr als dieses Jahr geben. Mehrere Kantone sind daran interessiert, dieses Lehrmodell auch einzuführen. Dieses Projekt muss man nun langfristig beobachten. Denn die Wechsel sind für die Lernenden nicht nur einfach, kaum hat man sich eingelebt, wechselt man schon wieder in eine neue Umgebung.
Auch harsche Arbeitskultur ist immer wieder Thema in der Gastronomie. Woran liegt das?
Das rührt daher, dass alle um 12 Uhr gleichzeitig essen wollen. Ein Restaurant ist immer noch ein relativ hierarchischer Betrieb. In der Hektik kann man nichts ausdiskutieren, und das endet in zackigen Direktiven. Das liegt einfach in der Natur der Sache und ist völlig legitim. Solche Ansagen kann man aber auch anständig machen, anstatt zu schreien oder mit Angst regieren.
Hat die Branche deshalb ein Imageproblem?
Das Image ist eines unserer grossen Themen. Wir wollen alles dafür tun, damit wir wieder viele junge Menschen für unsere Branche begeistern können. Früher war es ein langer Weg, bis jemand zum Küchenchef aufgestiegen ist. Heute ist es möglich, schon bald nach der Ausbildung in den Kader aufzusteigen und Führungserfahrung zu sammeln. Das macht Gastroberufe doch attraktiv.
Auch ein guter Gesamtarbeitsvertrag trägt zu einem guten Image bei. Unter Ihrem Vorgänger Casimir Platzer wurden die Verhandlungen für einen neuen GAV blockiert. Wie geht es dem GAV?
Dem geht es … gut. Für mich gibt es keinen anderen Weg, als sich möglichst rasch wieder mit den Gewerkschaften an den Verhandlungstisch zu setzen. Damit meine ich nicht, dass wir jede ihrer Forderungen unreflektiert aufnehmen sollen. Der GAV aber sorgt für Stabilität in der Branche, und wenn wir nicht verhandeln, können auch wir nichts verbessern. Da sind wir beim Thema Image. Ich bin der Überzeugung, dass die jetzige Situation für unser Image schlecht ist.
Wann sollen die Verhandlungen wieder aufgenommen werden?
Mein erklärtes Ziel ist 2025. Wir sind in einem Mitarbeitermarkt, das ist uns allen klar. Mit Blockaden gibt es nichts zu gewinnen.
Seit Monaten tobt in der Schweiz die Diskussion um Abgaben aufs Trinkgeld. Da dieses nun vermehrt digital eingenommen wird und somit registriert ist, sind sich Gastronomen unsicher, ob sie darauf Abgaben schulden. Der Bundesrat hat kürzlich eine Motion zur Ablehnung empfohlen, die eine generelle Steuerbefreiung des Trinkgelds verlangte. Wie gehen Sie mit der verunsicherten Branche um?
Der Bundesrat stützt den Status quo, dass im Normalfall keine Abgaben aufs Trinkgeld geschuldet werden. Was sehr gut ist. Das Problem der Motion war, dass diese sich nur auf die Interessen unserer Branche konzentrierte. Doch was hätte eine gesetzliche Steuerbefreiung für Coiffeusen, Taxifahrer und Co. bedeutet? Es ist uns allen klar, dass es keine Branchenlösung geben wird.
Wie geht es aber weiter?
Das Geschäft wird frühestens in der Frühlingssession im Nationalrat debattiert. Wir als Verband werden uns natürlich für die Steuerbefreiung einsetzen. Solange das Thema mit dem Trinkgeld nicht geregelt ist, haben wir keine vollständige Rechtssicherheit, und es wird für Betriebe schwierig, ein generell bargeldloses Bezahlen einzuführen.
Die Frage ist doch, warum man Trinkgeld bezahlt. Wir Gäste gehen davon aus, dass die Servicekräfte nicht gut genug Lohn bekommen, und bezahlen dieses auch deshalb. Und auf den Lohn schuldet man Abgaben.
Primär wird mit dem Trinkgeld die gute Leistung honoriert. Weil es ein Mitarbeitender geschafft hat, dass es ein stimmiger Abend im Restaurant geworden ist. War die Leistung nicht gut, sind die Gäste weniger grosszügig mit Trinkgeldern.
«Das Menü beim Sternekoch müsste eigentlich noch viel teurer sein.»
Das Konsumverhalten hat sich massiv verändert. Statt Alkohol ist Fitness angesagt. Der Stammtisch ist ausgestorben. Die Stühle in den Restaurants sind früher leer. Die Leute bestellen ihr Essen nach Hause. Was ist los?
Man hört ringsherum, dass sich das Ausgehverhalten geändert hat, aber die Umsätze scheinen zu stimmen. Die Branche läuft. Die Leute wollen essen gehen, sie wollen raus, aber wir Gastronomen müssen einen guten Job machen.
Ganze Teams haben vor kurzem ein Gourmetlokal in Seuzach im Kanton Zürich verlassen. Viele Mehrgangmenüs werden gekürzt. Befindet sich die Spitzengastronomie in einer Krise?
Ein teures Gourmetessen gönnt man sich nur ein-, zweimal im Jahr. Zum Italiener geht man vielleicht zehnmal im Jahr. Damit weiss man auch, wo die Umsätze gemacht werden. Das Menü beim Sternekoch müsste eigentlich noch viel teurer sein, weil ein so grosser Aufwand dahintersteckt. Aber ich glaube nicht, dass die Spitzengastronomie schwieriger ist als andere Bereiche der Branche.
Machen die Fertigessen Ihren Beruf kaputt?
Auch Genussmenschen holen mal ein Sandwich, weil es zeitlich nicht anders geht. Es ist eine eher situative Verpflegung als eine neue Esskultur. Die Essenslieferungen sind ein wachsender Absatzkanal, das ist gut für unsere Branche. Nur noch wenige nehmen sich die Zeit, um zu Hause zu kochen. Das wiederum ist ein Nachteil; weil heute daheim immer weniger gekocht wird und dieses Können über die Generationen nicht mehr so weitergegeben wird, wird bei Kindern weniger das Interesse geweckt, diesen wunderbaren Job zu machen.
Welches ist eines der brennendsten Themen für Sie und Gastro Suisse?
Unser Image aufzupolieren. Dass ich mich beim Verband engagiere, hat einen Auslöser. Als meine Tochter in der Berufswahlphase war, schnupperte sie in den gleichen zwei Berufen wie ich einst, als Koch und im Reisebüro. Ich wollte mit meinem Beruf die Welt entdecken können. In der Schule sagten ihr jedoch Lehrpersonen, dass sie sicher nicht in die Gastronomie gehen soll. Dies, weil sie gute Noten in der Schule habe und mehr aus sich machen könne. Zu wenig wird Schülerinnen und Schülern auf Sekundarniveau A ein Job in der Gastronomie empfohlen. Unsere Berufe bieten fantastische Möglichkeiten, und dass man es damit weit bringen kann, habe ich selbst bewiesen.
Und wofür hat sich Ihre Tochter denn nun entschieden?
Für die Reisebranche – aber sie ist eine sehr gute Köchin.
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