Sternekoch Caminada im Interview«Heute können sich die Chefs nicht mehr erlauben, rumzuschreien»
Andreas Caminada zählt zu den besten Gastronomen der Welt. Bald wird der einst schüchterne Bündner in zwei Kochshows zu sehen sein. Im Interview erzählt er von seiner Leidenschaft und was in der Gastroszene falsch läuft.
Andreas Caminada, sind Sie abergläubisch?
Bei einem Marienkäfer oder einem vierblättrigen Kleeblatt sehe ich durchaus ein positives Zeichen und freue mich darüber.
Heute ist Freitag, der 13., und …
Oh! Das war mir nicht bewusst.
Wir haben wirklich Pech, sitzen bei Wind, Kälte und Regen an der «Schweizer Familie»-Feuerstelle Reischen im bündnerischen Zillis. Wie wetterfest sind Sie?
Ich habe mich darauf eingestellt, draussen zu sein, und darum die richtigen Kleider angezogen. Ausserdem wärmen mich die Flammen. So lässt es sich bequem ein Weilchen aushalten.
Sie haben sich von der SF-Crew klassische Grilladen gewünscht. Was kommt bei Ihnen daheim auf den Rost?
Alles Mögliche: vom Spiesschen über das Schweinsfilet bis zur Dorade – und viel Gemüse aus dem eigenen Garten.
2010 kürte Sie der «Guide Michelin» mit 33 Jahren zum jüngsten 3-Sterne-Koch. Heute sind Sie eine Marke: Sie besitzen acht Restaurants, sind Mitinhaber des Schlosses Schauenstein, sammeln Kunst und unterhalten Partnerschaften mit unterschiedlichen Labels. Bräteln Sie trotzdem mit Ihrer Ehefrau Sarah sowie den Söhnen Finn und Cla mal eine Wurst in der Natur?
Natürlich! In den Herbstferien erkunden wir gemeinsam unsere Bergwelt. Ich liebe die magische Aussicht. Auf einer Wanderung oder einer Velotour mit meiner Familie habe ich meistens etwas für die Grillstellen dabei. Ich bin zwar kein Weltmeister im Bräteln, stehe aber gerne am offenen Feuer.
Und vor der Fernsehkamera?
Tatsächlich weniger gern. Ist ein TV-Format spannend, sage ich dazu aber nicht Nein. Ich mag die Herausforderung, Neues auszuprobieren.
Sie sind Aushängeschild zweier Kochshows: Ende Oktober startet die neue Staffel von «Master Chef Schweiz» und Anfang 2025 «Dinner Club». Brauchen Sie das Rampenlicht?
Früher hasste ich es nur schon, vor die Gäste zu treten, um sie zu begrüssen und mich vorzustellen. Nach und nach gewöhnte ich mich daran, verlor die Schüchternheit, wurde gelassener. Das ist das Schöne am Älterwerden. Inzwischen ist es ganz selbstverständlich, dass ich mich präsentiere. Die TV-Sendungen sind Chance und Verpflichtung in einem. Mit mehreren Unternehmen ist es wichtig, dass ich mich nicht verstecke, sondern an die Öffentlichkeit gehe. Ob ich die Aufmerksamkeit vermissen würde, kann ich erst sagen, wenn sie nicht mehr da wäre. Sicher ist: Hauptsächlich bin ich Koch.
Kommen Sie noch dazu, Rezepte zu entwickeln und selbst zu kochen?
Ich verbringe täglich mindestens zwei Stunden in meiner Küche. Neue Menüs zu erschaffen, kreativ und innovativ zu sein, die Ausrichtung unseres Restaurants zu bestimmen und abends Leute zu empfangen, sind meine zentralen Aufgaben. Seit anderthalb Jahren habe ich mit Küchenchef Marcel Skibba einen verlässlichen Partner und Mitinhaber. Unser Team ist toll. Und nicht zu vergessen: Meine Frau Sarah kümmert sich um die Finanzen sowie das Backoffice aller Betriebe und hält mir den Rücken frei. Ohne sie und meine Crew gäbe es keine Shows mit mir. «Schloss Schauenstein» hat immer oberste Priorität.
Bei «Master Chef Schweiz» motivieren Sie Hobbyköchinnen und -köche, ihre Passion auszuleben. Wodurch wurde die Leidenschaft bei Ihnen geweckt?
Wahrscheinlich durch die Ausflüge mit der Organisation Jugend + Sport. Einmal schauten wir hinter die Kulissen eines Hotels, unter anderem besichtigten wir die Küche. Dort trugen alle weisse Kochmützen und -jacken. Ich war fasziniert von den Abläufen, dem Zusammenspiel. Also ging ich mit 13 nach Laax in eine Schnupperlehre und spürte: Das ist es! Die Atmosphäre, die familiäre Stimmung. Ich war begeistert.
Überlegten Sie sich später hin und wieder, alles hinzuschmeissen?
Nein! Nach der Ausbildung war ich jedoch wie viele ein wenig ratlos, wohin es mich zieht. Ich entschied mich für einen Sprachaufenthalt im kanadischen Vancouver. Mein Gastvater war ein Delikatessenhändler und nahm mich in gehobene Restaurants mit. Da wurde mir klar, dass ich genau dahin möchte. Ich bin ein Getriebener, bin stets motiviert geblieben und habe Spass an dem, was ich tue. In kaum einem Beruf sind die Möglichkeiten derart vielfältig wie in meinem.
Sie schwärmen von Ihrer Branche. Dabei fehlen der Gastronomie qualifiziertes Personal und Nachwuchs. Die langen Tage und unregelmässigen Einsatzzeiten schrecken viele Jugendliche ab.
Das ist schade. Denn unsere Szene ist megacool. Du bist Teil einer Gemeinschaft, einer Big Family, die dir so viel Freude bereitet. Du begegnest Menschen aus verschiedenen Kulturen, darfst kreativ sein und erhältst überall auf der Welt einen Job. Diese Vorteile müssen wir Gastronomen den jungen Talenten aufzeigen und sie fördern.
Deshalb haben Sie und Sarah 2015 eine Stiftung gegründet. Was bewirken Sie mit der Fundaziun Uccelin konkret?
Wir setzen ein Zeichen für unsere Branche und geben etwas von unserem Erfolg zurück. Leute, die das Handwerk lieben und nicht älter als 35 sind, sollen ihren Horizont erweitern können. Dazu vernetzt unsere Stiftung Stipendiatinnen oder Stipendiaten mit unseren siebzig Partnerfirmen, die auf allen Kontinenten vertreten sind. Während fünf Monaten erhalten die Talente Einblick in die grosse Koch- und Servicewelt. Im Endeffekt sorgen wir mit unserem Programm für qualifiziertes Personal – über unser eigenes Unternehmen hinaus.
Angeblich sind Sie ein ruhiger, ausgeglichener Boss – und ein strenger. Wann geraten Sie in Rage?
Ich flippe nie aus. Ich mache höchstens ab und zu eine Ansage. Zum Beispiel, wenn ich merke, dass mehr Konzentration nötig ist, damit wir die hohen Ansprüche erfüllen – unsere und die der Gäste. Dann werde ich ein bisschen forscher, aber nicht laut oder gar primitiv.
In vielen Küchen herrscht allerdings ein rauer Umgangston.
Früher war das so. Doch heute können sich die Chefs nicht mehr erlauben, rumzuschreien. Sonst läuft ihnen das Personal davon. Anstand und Respekt schaffen ein gutes Betriebsklima. Ich bin mit meinen Mitarbeitenden auf Augenhöhe.
Auf dem Land müssen viele Beizen schliessen. Woran liegt es?
An den Gästen.
Inwiefern?
Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Vereine kämpfen mit Nachwuchsproblemen und sterben aus. Man trifft sich nicht mehr automatisch regelmässig im Stammlokal. Wirtinnen und Wirte müssen sich nach den Bedürfnissen ihres Publikums richten, Öffnungszeiten anpassen, professionell arbeiten. Jene, die nichts Aussergewöhnliches, kein Erlebnis bieten – oder wenigstens ein super Menü –, haben Mühe, ihre Plätze zu besetzen. Zu viele glauben zudem, ohne Ausbildung ein Restaurant eröffnen zu können. Meist ist das ein Trugschluss, der viel Geld kostet.
Ihr «Schloss Schauenstein» gehört weltweit zu den 50 besten Restaurants. 19 «Gault Millau»-Punkte, drei «Michelin»-Sterne – was bedeuten Ihnen diese Bewertungen?
Sie sind eine Genugtuung, eine Wertschätzung. Ein Ansporn für das Team und mich, unsere Qualität stetig zu hinterfragen. Durch den Druck, sie zu halten, bleiben wir dynamisch und entwickeln uns weiter.
Fühlen Sie sich wie ein Star?
Nein. Ich weiss, was ich für solche Auszeichnungen leiste. Und dass ich sie nicht alleine verdiene. Am Ende zählen der Ort, das Restaurant, die Gerichte auf dem Teller. Daran sind viele Leute beteiligt. Schön ist, wenn die Gäste unseren Einsatz realisieren und würdigen. Einen Grund, abzuheben, gibt es nicht. Meine Eltern, meine Freunde, mein Umfeld und die Zeit mit meiner Familie halten mich auf dem Boden.
Wie viele Stunden am Tag sehen Sie Ihre Söhne?
Mehr, als manche vielleicht vermuten. Wir treffen uns in der Regel jeden Mittag und Abend zum Essen. Bis um 20 Uhr die Arbeit wieder losgeht, spiele ich häufig mit ihnen.
Sie sind tatsächlich oft für Ihre Kinder da.
Sie sind manchmal anderer Meinung. Ich hingegen bin überzeugt: Sie können sich nicht beklagen.
Mit welchem Menü überraschen Sie die beiden, wenn es schnell und vegetarisch sein soll?
Spätzlipfanne, Risotto, Blumenkohl aus dem Ofen oder Gemüseauflauf. Hauptsache, es ist frisch. Wir ernähren uns grundsätzlich einfach und gesund. Ausserdem lege ich Wert darauf, dass die Buben daheim essen und nicht zu typischen Gastro-Kindern werden, die im Restaurant herumlungern. Aber sie dürfen gewisse Aufgaben übernehmen, wenn sie Taschengeld möchten. Zum Beispiel Ravioli herstellen.
Erhoffen Sie sich, dass Finn und Cla dereinst in den Familienbetrieb einsteigen?
Ich hoffe lediglich, dass sie wie ich einen Job finden, der sie happy macht. Sei das nun Schreiner oder Architekt. Das ist mir völlig egal. Sollten sie an der Gastroszene interessiert sein, kochen wollen – und können –, unterstütze ich sie natürlich.
Sie haben viel erreicht. Welche Ziele und Träume bleiben da noch?
Einige! Um mich zurückzuziehen und bloss noch im Hintergrund zu wirken, bin ich zu jung und zu neugierig. Ich träume davon, ein Vorbild für die Branche zu sein, die Kulinarik nachhaltig zu prägen, und davon, dank unseres Gemüseanbaus unabhängiger von Produzenten und Lieferanten zu werden.
Was macht Sie glücklich?
Alles, was ich bereits erreicht habe – und meine Familie.
Info zur Feuerstelle
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