Kommentar zu PilotprojektDie 4-Tage-Woche hat ihre Tücken
Weniger arbeiten – und gleich viel verdienen: Ein Versuch befeuert den Traum einer Viertagewoche in der Schweiz. Es gilt, das Kleingedruckte zu beachten.
Es geht los: Noch dieses Jahr wird in der Schweiz die Viertagewoche getestet. Verwandte Pilotversuche im nahen Ausland fanden international viel Beachtung. In der Ankündigung der Berner Fachhochschule Wirtschaft und der Non-Profit-Organisation «4 Days Week Global» heisst es, die Viertagewoche verspreche nicht nur eine bessere Work-Life-Balance, sondern auch mögliche Vorteile für die Unternehmen – darunter eine höhere Produktivität und weniger Abgänge.
Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Tatsache ist, dass einige Firmen in der Schweiz das Modell bereits aus eigener Initiative eingeführt haben und von seinen Vorzügen schwärmen. Es gibt aber auch solche, die das Experiment schnell wieder abgebrochen haben, weil sich in der Umsetzung Probleme ergaben. Diese Fälle schaffen es seltener in die Schlagzeilen.
Insofern ist es zu begrüssen, dass sich nun ein Forschungsteam aus einer wissenschaftlichen Perspektive der Frage nähert. 10 bis 50 Firmen sollen ihren Mitarbeitenden ein halbes Jahr lang einen Tag mehr Freizeit pro Woche gewähren – und das bei vollem Lohn. Die Studie untersucht unter anderem, wie sich die Arbeitszeitreduktion auf die Mitarbeitenden und die Produktivität des Unternehmens auswirkt.
Klar ist, dass es nicht möglich sein wird, aus den Ergebnissen eine Handlungsanleitung für alle Firmen abzuleiten. Ein Busunternehmen hat andere Voraussetzungen als eine Werbeagentur, ein Spital andere als eine Bank. Während es denkbar ist, dass ausgeruhte und motivierte Mitarbeitende in manchen Berufen in kürzerer Zeit gleich viel leisten wie bisher, braucht es in anderen Jobs mehr Stellenprozente, um wegfallende Schichten auszugleichen.
Das heisst nicht, dass diese Branchen von vornherein aus den Überlegungen ausgeschlossen werden sollten. Im Gegenteil: Der Fachkräftemangel ist etwa in der Pflege oder in der Gastronomie ein Problem. Falls eine Viertagewoche dabei helfen kann, die Abwanderung von Personal zu stoppen, ist sie auch dort eine Option. Allerdings ist die Umsetzung in diesen Fällen kaum kostenneutral zu haben.
Am anderen Ende der Skala gibt es Firmen, die ihren Mitarbeitenden problemlos ein verlängertes Wochenende gewähren können. Dies jedoch nicht unbedingt, weil die Viertagewoche die Produktivität erhöht – sondern schlicht, weil die entsprechenden Unternehmen in den Jahren davor erfolgreich gewirtschaftet haben.
In all diesen Fällen gilt es, auch auf das Kleingedruckte zu achten. Manche Firmen, die sich heute mit ihrer Umstellung auf die Viertagewoche brüsten, haben die Wochenarbeitszeit effektiv nur um zwei, drei Stunden reduziert – sie lassen das Personal an den verbleibenden vier Tagen deutlich länger arbeiten. Dies mag für die Mitarbeitenden je nach persönlicher Situation attraktiv sein, es kann aber auch zur Belastung werden.
Eine nüchterne Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen der Viertagewoche wäre für unsere Gesellschaft ein Gewinn. Für viele Menschen ist es eine Herausforderung, in Zeiten ständiger Erreichbarkeit eine gesunde Work-Life-Balance zu wahren. Antworten darauf sind nötig. Wer jedoch erwartet, dass das Konzept die Probleme der modernen Arbeitswelt auf einen Schlag löst, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht.
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