Christentum und MissbrauchDie zwiespältige Botschaft von Ostern
Alles wird grossartig, doch der Weg dorthin führt durch Schmerz und Leid. Das hat Jesus Christus uns gelehrt – kommt Ihnen das auch anderweitig bekannt vor?

Die ersten Menschen, die Jesus nach seinem Tod verehrten, bildeten ihren Heiland niemals am Kreuz ab. Die Kreuzigung, die grausamste aller Hinrichtungsmethoden im Römischen Reich, sorgte auch in den wachsenden Gemeinden der Urchristen noch lange für Furcht und Beklemmung – so sehr, dass bis zu den ersten Darstellungen des gekreuzigten Christus über zweihundert Jahre vergehen sollten.
Die Passionsgeschichte, die an einem Freitag vor zwei Jahrtausenden ihren Anfang nahm, entfaltet bis zum heutigen Tag eine ungeheure Kraft. Das hängt zweifellos auch damit zusammen, dass in ihr ein Kontrast von maximaler Dramatik angelegt ist. Jesus Christus wird am Jüngsten Tag als König des Himmels wiederkehren, er wird der Welt und den Gläubigen das Paradies bescheren, doch damit das geschehen kann, muss er erst den schlimmsten aller Tode sterben.
Und nicht bloss er allein. «Das Blut der Christen ist ein Samenkorn», schrieb der Kirchenvater Tertullian im 2. Jahrhundert. Bis zum sogenannten Toleranzedikt des Jahres 311 blieb die christliche Religion verboten. Ihre Gläubigen, geleitet von der Hoffnung auf ewiges Seelenheil, wurden zu Tausenden getötet. Gleichwohl wurde sie stärker und stärker.
Blut, Schweiss und Tränen
Heute ist das Christentum die mächtigste Weltreligion – und auch wenn es im Normalfall nicht mehr um Tod und Folter geht, prägt «Leiden für eine höhere Sache» als Prinzip doch unser Denken und unsere Ethik. Manche Branchen haben daraus sogar ihr Geschäftsmodell gezimmert. «Krafttraining macht keinen Spass, aber es macht glücklich», lautet ein Sinnspruch des Fitnessunternehmers Werner Kieser. Will heissen: Wer ein gutes Leben ohne Rückenschmerzen will, muss sich dafür beim Gewichtestemmen quälen.
Weniger harmlose Ausprägungen dieses Prinzips liefert die Politik. Am radikalsten waren zu allen Zeiten die Revolutionäre, von Frankreich 1789 bis Russland 1917: Am Ende ihrer Verheissungen wartete stets eine utopische Gesellschaft mit idealen Verhältnissen, doch auf dem Weg dorthin musste die Bevölkerung bereit sein, eine Zeit des Schreckens und der – wortwörtlich – rollenden Köpfe zu durchleben. Auf der anderen Seite wird der britische Kriegspremier Winston Churchill bis heute für seine Rede bewundert, in der er seinen Landsleuten «nichts ausser Blut, Schweiss und Tränen» verspricht – in einer geradezu plakativ an die Passionsgeschichte gemahnenden Bildsprache.
Blut, Schweiss und Tränen fordert die Politik von den Leuten heute noch, auch in der Schweiz. Die FDP will den Staat verschlanken, Subventionen und Zuwendungen kürzen, Beamte entlassen; schmerzhaft für die unmittelbar Betroffenen, aber am Ende wartet der Lohn in Form einer prosperierenden Wirtschaft voller Chancen für alle. Die Linke verlangt höhere Steuern, Gebühren und Lohnabzüge, doch winkt dafür am Ende die Rundumversorgung mit Kitas, Velo-Schnellstrecken und voll ausgebauten Sozialversicherungen in sämtlichen Lebenslagen.
Donald Trump als Messias
Am schrillsten ist mal wieder alles bei Donald Trump. Seinem Land verspricht der US-Präsident nicht weniger als ein «goldenes Zeitalter». Als nach seinen Zollankündigungen die Börsen tauchten und Experten in aller Welt vor einer Rezession warnten, beschwor er sein Volk in den sozialen Medien: «Haltet durch, es wird nicht leicht, aber das Endergebnis wird historisch!» Jobs, Unternehmen und Geschäfte würden in die USA zurückkehren «wie nie zuvor».

Seid bereit für kurzfristige Schmerzen, folgt mir durch das Tal der Tränen, und ich führe euch zum Licht: Es überrascht nicht, dass diese messianische Botschaft gerade in den USA zündet, wo Religion eine viel wichtigere Rolle als in Europa spielt. Das nach dem Attentat vom letzten Sommer entstandene Foto, das den blutenden, aber ungebrochenen (wiederauferstandenen?) Trump mit zum Himmel erhobener Faust zeigt, liefert dazu die passende Illustration. Er selbst soll danach so beseelt von seinem Auftrag gewesen sein, dass er seine Pläne nochmals verschärfte.
Wenn ein Leben lebenswert wird
Politische Messiasse und vermeintliche Erlöser sind in der Weltgeschichte selten rühmlich in Erinnerung geblieben. Die Passionsgeschichte wirkt vor diesem Hintergrund zwiespältig. Ihre Botschaft, ihre erzählerische Wucht kann missbraucht werden.
Und doch spendet sie Millionen Menschen Trost. Vielen hilft sie, den eigenen Sorgen und Leiden eine Art Zweck abzugewinnen. Für manche wird dadurch ein Leben, an dem sie sonst verzweifeln würden, erst lebenswert. Und für viele andere ist es einfach nur Anlass zu einem schönen Familienfest.
In diesem Sinn darf man sich, ob gläubig oder nicht, frohe Ostern wünschen – ganz ohne politischen Messias.
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