Interview über Wirtschaftsmodelle«Was wäre, wenn wir alle nur noch 50 Prozent arbeiten würden?»
Ion Karagounis forscht im Dienste der Umwelt an neuen Wirtschaftsmodellen. Seine Zukunftsvisionen für die Arbeitswelt klingen nach der jungen Gen Z.
Herr Karagounis, Sie befassen sich beim WWF mit neuen Wirtschaftsmodellen. Ist das nicht ein Widerspruch – Umweltschutz und Wirtschaft?
Es ist zwar in Mode, heute von Win-win-Lösungen zu sprechen, aber ehrlicherweise muss man sagen, ja, heute ist es oft noch ein Widerspruch. Es gibt aber Bereiche, wo Umweltschutz und Wirtschaft bereits gut Hand in Hand gehen.
Welche denn?
Überall, wo es um Technologien geht. Heute konzentrieren wir uns aber oft nur darauf, die technische Effizienz zu verbessern, zum Beispiel bei Autos. Wir ersetzen Benziner durch Elektroautos, fahren aber weiter Auto wie bisher. In Zukunft werden wir zusätzlich viel stärker in Systemen denken: Wie kommen wir von A nach B? Welche Rolle spielen Zug und Velo? Und noch weiter: Wie gestalten wir Wohnorte, in denen wir in nächster Nähe alles erreichen, was wir brauchen?
Sie haben am diesjährigen New Work Festival in Zürich einen Vortrag gehalten. Was hat Ihre Arbeit mit New Work zu tun?
New Work geht davon aus, dass sich unsere Art zu arbeiten in Zukunft radikal verändern wird. Das betrifft auch unseren Umgang mit Umweltproblemen. Um sie zu lösen, brauchen wir Innovation und neue Arbeitsmodelle.
Was wäre zum Beispiel ein solches neues Arbeitsmodell?
Ein Zukunftsmodell könnte sein, dass wir alle weniger arbeiten und mehr für das Gemeinwohl leisten.
«Wenn ich einen Nachmittag im Garten sitze, belaste ich die Umwelt weniger, als wenn ich ein neues Produkt herstelle.»
Dann ist die Generation Z also gar nicht faul, wie es ihr oft nachgesagt wird, sondern denkt in einem zukunftstragenden Arbeitsmodell?
Ja, das kann man so sagen. Es ist halt so: Wenn ich einen Nachmittag im Garten sitze oder eine gemeinnützige Leistung erbringe, belaste ich die Umwelt weniger, als wenn ich ein neues Produkt herstelle oder shoppen gehe. Am New Work Festival habe ich die Teilnehmenden zu einem Gedankenexperiment eingeladen: Was wäre, wenn wir alle nur noch 50 Prozent arbeiten würden?
Wie waren die Reaktionen?
Anfänglich positiv, doch dann kamen immer mehr Befürchtungen auf. Habe ich dann noch genug Geld?
Wie würde das mit Altersvorsorge und Krankenkasse funktionieren, wenn wir alle nur noch 50 Prozent arbeiten würden?
Die naheliegende Rechnung ist, dass weniger Geld zu gekürzten Renten führt. Doch das Problem lässt sich auch mit Gestaltungswillen und Fantasie lösen.
«Man könnte für alle eine minimale Altersrente einführen. Geld dafür ist in der Schweiz genug vorhanden.»
Welche fantasievolle Lösung schwebt Ihnen vor?
Als Erstes könnte man Personen steuerlich entlasten. Zweitens könnte man für alle Menschen eine minimale Altersrente einführen, unabhängig davon, wie viel sie früher verdient haben. Geld dafür ist in der Schweiz genug vorhanden. Man müsste sich überlegen: Wofür geben wir es aus? Es gäbe genügend Manövriermasse.
Zum Beispiel?
Heute reden wir darüber, dass wir die wichtigsten Autobahnen der Schweiz auf sechs Spuren ausbauen wollen. Aus Klimasicht ist das definitiv der falsche Weg. Dieses Geld wäre in die Altersvorsorge besser investiert.
Wir ermöglichen unsere Altersvorsorge und unser Pflegesystem aber nicht nur durch Geldleistungen, sondern auch durch Arbeitszeit.
Genau deshalb braucht es neue Ansätze: Wir arbeiten künftig weniger fürs Geld und haben dafür mehr Zeit für Arbeit, die wir in die Gemeinschaft stecken. Junge könnten zum Beispiel in Pflegeheimen und Spitälern einen Bürgerdienst absolvieren, wodurch man dort die Kosten senken könnte. Zudem gibt es Zeitmodelle, die vorschlagen, dass man für gemeinnützige Arbeit statt Geld Zeit auf sein Konto bekommen könnte, die später dann wieder als Leistungen beziehbar wäre.
Es bleiben die 50 Prozent Lohn. Was würden Menschen tun, die nicht von der Hälfte ihres Gehalts leben können?
Diese Kritik kommt immer, sobald man davon spricht, dass wir weniger arbeiten sollten. Damit das funktionieren kann, braucht es Reformen, insbesondere auf der Kostenseite. Doch weniger zu arbeiten, muss möglich werden.
«Die Frage ist, wie wir Wohlstand definieren.»
Und wie?
Die Politik hat Möglichkeiten, über die Ausgestaltung des Steuersystems oder über eine andere Finanzierung des Gesundheitssystems wenig verdienende Menschen zu entlasten. Und dank dem Zeitguthaben wäre der Geldbedarf geringer.
Würde es nicht den Fachkräftemangel verstärken, wenn wir weniger arbeiten würden? Zum Beispiel im Gesundheitswesen.
Ich glaube nicht, dass das sein muss. Gerade in dieser Branche verlassen viele den Job, weil sie völlig überlastet sind. Wenn wir diese Berufe attraktiver machen, werden weniger Angestellte den Job wechseln.
Trotz allem – 50 Prozent weniger Lohn würde bedeuten, dass wir uns weniger leisten könnten, dass der Wohlstand schrumpfen würde.
Rein materiell gesehen stimmt das. Die Frage ist jedoch, wie wir Wohlstand definieren. Aus meiner Sicht sollte man sich das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen ansehen, mit neuen Arbeitsmodellen würden sie sich verbessern.
«Aus globaler Sicht geht der Trend zurzeit in die falsche Richtung, aber im Kleinen läuft vieles gut.»
Wieso?
Es gibt viele Untersuchungen dazu, was den Menschen glücklich macht. Ein gewisses gesichertes Einkommen gehört unbestritten dazu. Aber es gibt Komponenten, die viel wichtiger sind. Zum Beispiel, wie viel Zeit wir mit der Familie, mit Freundinnen und Freunden verbringen können, ob wir gesund sind und ob wir einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen.
Welche Art von Arbeit macht überhaupt noch Sinn?
Im Idealfall trägt man mit seiner Arbeit zum Gemeinwohl bei. Auch das ist ein Punkt, den die Generation Z auszeichnet. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit treibt heute viel mehr Leute um als früher. Das merke ich auch bei unseren Praktikantinnen und Praktikanten im WWF, und das freut mich.
Im Gegensatz zur Generation Z blicken Sie recht positiv in die Zukunft. Wie halten Sie daran fest?
Ich habe das bis zu einem gewissen Grad lernen müssen. Auch von Vorgesetzten, die die Gabe hatten, in all den Statistiken und Zahlen zur Umwelt auch die positiven Entwicklungen zu sehen. Aus globaler Sicht geht der Trend zurzeit in die falsche Richtung, aber im Kleinen läuft vieles gut. Wenn ich mit Leuten diskutiere, erlebe ich so viel Offenheit für Neues, dass ich optimistisch durch den Alltag gehe.
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