Neue Art der LehreDiese Gastro-Lehrlinge wechseln alle sechs Monate das Restaurant
Beim Ausbildungskonzept Roast & Host sollen Jugendliche Vielfalt erleben und Schutz erhalten vor Missbrauch als billige Arbeitskraft. Was sagen die Jungen, was die Wirte? Unterwegs in Zürich.
Der Kanton Graubünden ist ein Ausflugs- und Ferienkanton. Wo, wenn nicht hier zwischen Bergen und Seen gönnt man sich einen Besuch in einem Restaurant. Sich in Graubünden zum Koch oder zur Köchin ausbilden lassen wollen jedoch immer weniger. Innert zehn Jahren hat sich die Anzahl neuer Jungköchinnen und -köche halbiert.
Tätigkeiten in der Gastronomie haben in der Schweiz generell an Attraktivität verloren – was die Lehre betrifft, aber auch die Zeit danach. «Rund 30 Prozent der Lernenden hören während der Lehre auf, und rund 30 Prozent steigen danach aus dem Beruf aus», sagt Florian Ilmer.
Ilmer, ein Gastronom, der eigentlich Berufsschullehrer werden wollte, steht an diesem Dienstag Mitte August im Zürcher Niederdorf vor einer Gruppe von elf Jugendlichen, die gerade ihre neue Ausbildung in der Gastronomie gestartet haben oder demnächst starten werden.
Roast & Host will Gastrolehre attraktiver machen
Sie lernen an diesem Tag all ihre neuen Lehrbetriebe kennen, denn sie absolvieren ihre Lehre nicht in einem, sondern in bis zu sechs verschiedenen Restaurants und wechseln dabei halbjährlich oder jährlich den Arbeitsstandort. So sollen sie die Vielfalt der Branche kennen lernen, um «für später zu wissen, welcher Bereich der Gastronomie ihnen am meisten zusagt», sagt Gastronom Ilmer.
Roast & Host heisst dieses neue Modell, das die Jugendlichen hier in Zürich testen. Geht es nach dem Initianten, dem Präsidenten des städtischen Gastroverbands Nicolas Kern, könnte dieses zum neuen Standard werden. «Die klassische Koch- oder Servicelehre hat an Beliebtheit eingebüsst. Das komplett neue Modell Roast & Host ist die Antwort darauf», steht auf der Website des Projekts.
Der angehenden Köchin gefällt die Abwechslung
Fabiana Texeira jedenfalls gefällt es. Die 20-Jährige erzählt gerne von ihrem Beruf, von der Faszination, neue Aromen zu kreieren, neue Gerichte auszuprobieren. Doch im Betrieb, in dem sie ihre Lehre gestartet hatte, erlebte sie davon nach eigenem Bekunden wenig. Sie verstehe es ja, dass sie nicht durchgehend eng betreut werden könne. «Doch manchmal die Möglichkeit zu haben, etwas von dem, was ich in den Kursen an der Berufsschule gelernt habe, auch ausprobieren zu können, wäre schon wichtig», sagt sie. Eine Fortsetzung der Lehre dort habe für sie deshalb keinen Sinn gemacht.
Nun setzt sie die Ausbildung in einem Partnerbetrieb von Roast & Host fort. Ganz anders sei es, sagt sie und schwärmt davon, was sie hier bereits alles gelernt hat.
Hört man Florian Ilmer zu, erhält man den Eindruck, dass die herkömmliche Gastrolehre in einer Art Teufelskreis feststeckt. Wegen des Fachkräftemangels in der Branche fehlen Lehrmeister und Lehrmeisterinnen in den Betrieben, etliche Betriebe bilden deshalb gar nicht mehr aus, oder die Jugendlichen werden teils als billige Arbeitskraft missbraucht. Statt eine «Branche der Vielfalt» zu erleben, würden die Jugendlichen monotone Arbeiten verrichten und dabei schnell das Interesse am einstigen Traumjob verlieren.
Lehrlinge bekommen mehr Ferien und 13. Monatslohn
350’000 Franken hat Gastro Zürich deshalb in die Hand genommen, um das Projekt zu lancieren. Statt in den einzelnen Restaurants werden die Jugendlichen beim dafür gegründeten Ausbildungsverband Roast & Host angestellt, geleitet von Florian Ilmer. Der Ausbildungsverband akquiriert die beteiligten Restaurants, an die er die Lernenden dann sozusagen vermittelt und vermietet.
Hauptverantwortung trägt aber der Ausbildungsverbund. Dieser garantiert unter anderem einen 13. Monatslohn und sechs Wochen Ferien. Zudem kümmert er sich um die Kontrolle der beteiligten Restaurants. «Uns ist es wichtig, die Restaurants halbjährlich zu besuchen und zu überprüfen, dass die Ausbildung ernst genommen wird», sagt Ilmer. «So wird die Qualität der Lehre sichergestellt. Und da wir uns auch um die Administration kümmern, können auch kleine Restaurants, die es sich sonst nicht leisten könnten, eine Lehre anbieten.»
Einer der Roast-&-Host-Lernenden ist der 16-jährige Rostyslav Kyslov aus Charkiw in der Ukraine, der diesen Sommer die Sekundarschule abgeschlossen hat. Er koche gerne, entsprechend naheliegend sei es gewesen, eine Lehre als Koch zu absolvieren. Er freue sich darauf, während der Ausbildung Einblick in gleich mehrere Restaurants zu bekommen, erzählt er.
Doch was ist, wenn einem Teilnehmenden ein Restaurant so gut gefällt, dass er gar nicht mehr weiter rotieren will? Dann finde man schon eine Lösung, sagt Ilmer. «Fühlt sich einer der Lernenden in einem Restaurant sehr wohl, bemühen wir uns darum, dass dieses den Jugendlichen fix als Lehrling übernimmt.»
Wird Roast & Host zum schweizweiten Modell?
Inzwischen ist die Roast-&-Host-Gruppe im Restaurant Weisser Wind angekommen. Das traditionelle Zunftrestaurant ist eines der beteiligten Betriebe und stellt eine Lehrstelle zur Verfügung. In der grossen Küche beschreibt Geschäftsführer Samuel Knill gerade, wie hektisch der Betrieb sein kann – etwa dann, wenn in Zürich wieder einmal der grosse Zunftanlass Sechseläuten stattfindet und das Restaurant mitsamt den Sälen voll ist.
12 Lernende und 18 Betriebe beteiligen sich an der ersten Durchf¨ührung der Lehre. «Die Resonanz ist bisher gut, wir erhielten insgesamt 35 Bewerbungen, das wäre für den Anfang sogar zu viel gewesen», sagt Ilmer. Ziel sei es, im Sommer 2026 aber schon 50 Lernende aufzunehmen, das Bewerbungsfenster werde jetzt geöffnet.
Bereits hätten andere Kantone Interesse gezeigt, das Konzept zu übernehmen. «Dort wartet man aber wohl erst mal ab, ob das Konzept überhaupt funktioniert, bevor man selbst das Risiko eingeht», sagt Ilmer.
Wie steht der nationale Verband Gastro Suisse zum neuen Ausbildungskonzept? Dort hat seit kurzem mit Beat Imhof ein neuer Präsident das Sagen, der sich im Wahlkampf als Modernisierer präsentiert und angekündigt hat, dabei speziell auch auf gute Ideen aus den kantonalen Sektionen zu setzen.
Gastro Suisse finde Roast & Host ein sehr spannendes Projekt, schreibt Imhof auf Anfrage. Doch auch hier heisst die Devise anscheinend, erst einmal abzuwarten: «Wir beobachten, wie das ankommt. Wenn es ein Erfolg wird, werden wir uns überlegen, was wir als Verband unternehmen.»
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