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Personalmangel in der Gastronomie
Ausgerechnet in der Sommersaison verkürzen Restaurants ihre Öffnungszeiten

Inhaberin Sandra Brunner im Restaurant Calanda. Eigentlich ein lebendiger Betrieb, aber es fehlt an Personal. 

Der malerische Arcas, die imposante Kathedrale, das verwunschene Bärenloch: Chur, das auch gerne als älteste Stadt der Schweiz bezeichnet wird, besticht durch verschiedene Sehenswürdigkeiten. Mitten in der Altstadt liegt das familiengeführte Restaurant Calanda, gleichermassen beliebt bei Einheimischen und Touristen.

Als Wochenhit wird das Calandas Cherry Cordon bleu präsentiert, und im Biergarten lässt sich gut mit einem kühlen Bier vom Fass die Sommerhitze vergessen machen. Doch wer das Calanda derzeit besuchen will, kann dies nur an fünf statt sieben Tagen die Woche. «Unser Gastro-Herz schmerzt – gehofft haben wir, dass wir im Juni wieder regulär öffnen können», steht auf der Website.

«Wir müssen unser bestehendes Personal schonen, sonst verlieren wir dieses am Schluss auch noch.»

Sandra Brunner, Restaurant Calanda Chur

Doch auch im Juli bleibt es bei den verminderten Öffnungszeiten. «Uns bleibt gar nichts anderes übrig. Wir müssen unser bestehendes Personal schonen, sonst verlieren wir dieses am Schluss auch noch», sagt Inhaberin Sandra Brunner. Das Calanda sei ein lebendiger, pulsierender Betrieb. Sie habe nie gedacht, dass sie einmal in die Lage komme, keine Mitarbeitenden mehr zu finden. (Mehr zum Schweizer Fachkräftemangel erfahren Sie in diesem Interview mit einem Demografen.)

Doch einige der bestehenden Angestellten seien in ihre Heimat nach Deutschland oder Portugal zurückgekehrt. Und die Zahl der Bewerbungen für die derzeit drei offenen Vollzeitstellen im Service und zwei Stellen in der Küche würde nahezu gegen null gehen. «Die Gäste fragen mich oft verwundert, warum wir denn noch niemanden gefunden hätten», sagt Brunner.

Die wenigen Bewerbungen, die überhaupt einträfen, seien oftmals von Ungelernten, die nur zu einem sehr reduzierten Pensum oder nur befristet die Stelle antreten könnten. «Dies ist aber leider mit einem hohen Aufwand für uns verbunden und für unsere Probleme nur ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Brunner. 

Gekürzte Öffnungszeiten

Wie dem Calanda in Chur geht es derzeit vielen Restaurants in der Schweiz. Knapp zwei Drittel der Betriebe sind gemäss einer Mitgliederumfrage des Branchenverbands Gastrosuisse personell unterbesetzt. Etwas weniger als die Hälfte von ihnen haben deshalb die täglichen Öffnungszeiten gekürzt. Jeder vierte Betrieb schränkt sogar das Speisen- und Getränkeangebot ein oder hat wie das Calanda in Chur an weniger Tagen als üblich geöffnet. 

Im Restaurant Sommergarten in der Badi Schüpfheim mitten im Luzerner Entlebuch beispielsweise kann Doris Felder doch nicht wie angekündigt zusätzlich eine Menükarte am Abend anbieten. Dafür bräuchte sie noch einen Koch oder eine Köchin, erzählt sie, doch es finde sich einfach niemand. «Für diese Saison haben wir die Hoffnung aufgegeben.» Was nächstes Jahr sei, wisse sie noch nicht.

Wer Anfang Juli den Solothurner Hausberg Weissenstein besuchte, fand an der Tür des dortigen Hotels Kurhaus die Information, dass der erst vor wenigen Jahren für 24 Millionen Franken erneuerte und erweiterte Betrieb an vier Tagen Ende Juni und Anfang Juli geschlossen habe. «Dies ist eine Notmassnahme, um dem aktuellen Mitarbeitermangel entgegenzuwirken», stand auf dem Zettel. Derzeit hat der Betrieb nun aber wieder normal geöffnet. 

Madeleine Tresch im Restaurant und Hotel Tiefenbach kurz vor dem Furkapass. Für die Laufkundschaft öffnet sie ihr Restaurant derzeit fast gar nicht.

Nicht so im Hotel und Restaurant Tiefenbach, einem beliebten Anlaufpunkt bei Wanderern oberhalb von Realp im Kanton Uri. Derzeit läuft der gesamte Betrieb des Restaurants, das am Weg zur Furka-Passhöhe liegt, auf Sparflamme.

«Wir haben uns entschlossen, uns auf den Hotelbetrieb zu konzentrieren», sagt Gastgeberin Madeleine Tresch. Sie begründet das mit dem Mangel an geeignetem Personal. Das Restaurant ist zwar geöffnet, doch Speisen gibt es für externe Gäste nur nach Möglichkeit – etwa, wenn sich eine grössere Reisegruppe angekündigt hat und Tresch alles vorbereiten kann.

Überhöhte Lohnforderungen 

Angefangen habe die Misere vor zwei Jahren, sagt Madeleine Tresch. «Jahrelang hatten wir verschiedene Pärchen aus Portugal und Italien angestellt.» Doch dann hätten diese fast zeitgleich Kinder bekommen und seien in die Heimat zurückgekehrt.

Eine Küchenchefin aus Slowenien wiederum habe zurückkehren müssen, weil auch im familieneigenen Restaurant in ihrer Heimat Personalmangel geherrscht habe. Seit zwei Jahren sei es fast unmöglich, geeignetes Personal zu finden. 14 Zusagen habe sie von Angestellten aus dem Ausland bekommen, angereist sei davon aber niemand. «Fragen Sie mich nicht, wieso, ich weiss es auch nicht», sagt Tresch.

Was aber nicht gehe, so Tresch, sei, einer ungelernten Küchenhilfe einen Lohn von 5200 Franken brutto zu zahlen.

Dabei sei es ja nicht so, dass sie und ihr Mann Hansruedi Tresch nicht versuchen würden, den Arbeitsplatz möglichst attraktiv zu machen. «Wir bieten unseren Angestellten einen Schlafplatz, Paare können gemeinsam arbeiten, die Zimmerstunden versuchen wir möglichst zu umgehen, und wir ziehen nur geringe Beträge fürs Personalessen ab.» Und wenn jemand von den Angestellten wegen einer Hochzeit im Sommer einmal frei brauche, sei das auch nie ein Problem. 

Was aber nicht gehe, so Tresch, sei, einer ungelernten Küchenhilfe einen Lohn von 5200 Franken brutto zu zahlen. Genau solche Löhne würden aber von den wenigen Bewerberinnen und Bewerbern gefordert. «Wer will denn da überhaupt noch eine Ausbildung machen?» Stattdessen versucht sie, zu improvisieren. «Im Service beispielsweise erhalten wir Unterstützung von einem 67-jährigen Senior, für die ich sehr dankbar bin.» 

Weniger ausländische Arbeitskräfte

Doch was verursacht den Personalmangel? War es wirklich die Corona-Pandemie? Sandra Brunner vom Restaurant Calanda glaubt dies nicht. Die aktuelle Lage habe sich schon länger abgezeichnet, Corona habe die Entwicklung einfach beschleunigt.

So sieht es auch der selbstständige Gastroberater Peter Herzog, der früher selber mehrere Restaurants geleitet hat. Länder wie Portugal hätten in den letzten fünf Jahren touristisch enorm aufgerüstet. Dortige Restaurants würden inzwischen ebenfalls anständige Löhne zahlen. Ganze Teams würden deshalb nicht mehr anreisen. «Sie bleiben lieber zu Hause. Dort können sie bei den Eltern wohnen und haben mit den tieferen Lebenskosten unter dem Strich ähnlich viel von ihrem Lohn, wie wenn sie in St. Moritz arbeiten», sagt Herzog.

Auch für jemanden aus Berlin sei eine Anstellung in der Schweizer Gastronomie meist nicht mehr attraktiv. «Wenn der Person keine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden kann und sie sieht, wie teuer die Miete einer Wohnung ist, die sie mit ihrem Lohn von 3900 Franken auch noch bezahlen muss, bleibt sie lieber zu Hause.»

«Etwas weniger Restaurants sind auch nicht schlimm. Das macht die verbleibenden meistens besser.»

Peter Herzog, Gastroberater

Für Herzog ist deshalb klar: An deutlich besseren Löhnen und attraktiveren Arbeitsbedingungen führt kein Weg vorbei. Wer dies nicht bieten könne, habe keine Daseinsberechtigung. «Etwas weniger Restaurants sind auch nicht schlimm. Das macht die verbleibenden meistens besser», sagt er. Bei Saisonbetrieben könne man sich sowieso fragen, wie nachhaltig deren Konzept sei, jedes Jahr einmal komplett zu- und wieder aufzumachen. 

Doch es ist nicht so, dass die vom Personalmangel betroffenen Gastronomen, mit denen diese Redaktion gesprochen hat, nichts unternehmen würden. Einige haben die Viertagewoche eingeführt und die Löhne erhöht, andere verzichten auf die für das Personal unattraktive Zimmerstunde. Doch je nach Betriebsform und Ort heisst es, der Flexibilität seien Grenzen gesetzt. «Wenn am Nachmittag kein einziger Gast in der Gaststube sitzt, macht es einfach keinen Sinn, dann viel Personal im Restaurant zu haben», sagt Sandra Brunner.