Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Bilanz nach drei Jahren Regierung
Olaf Scholz sah die Zeitenwenden, ging sie aber nicht energisch genug an

Der amerikanische Präsident Joe Biden und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Pressekonferenz in der deutschen Bundeskanzlei in Berlin.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Olaf Scholz war exzellent auf das Kanzleramt vorbereitet, scheiterte aber kläglich.
  • Seine Koalition mit Grünen und FDP hielt nur drei Jahre statt der geplanten vier.
  • Scholz unterschätzte die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

In der Geschichte der Bundesrepublik war kaum ein Politiker besser auf das Amt als Kanzler vorbereitet als Olaf Scholz. Er führte die 2-Millionen-Stadt Hamburg, lernte unter Angela Merkel das Regieren, zuletzt als Finanzminister und Vizekanzler. Er rühmte sich selbst als Fachkraft für «ordentliches Regieren» und versprach: «Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch.»

Und doch ist dieser Sozialdemokrat nach drei Jahren als Kanzler so vollständig gescheitert wie wenige vor ihm. Seine Koalition mit Grünen und FDP zerbrach ein Jahr vor der regulären Wahl, sein Ruf ist miserabel, der Unmut gegen ihn und seine Regierung gewaltig. Nur knapp konnte er die Schmach abwenden, von seiner Partei nicht mal mehr als Kanzlerkandidat aufgestellt zu werden. Nun ist er zwar noch Anwärter, aber ohne Chance.

Zum Vergleich: Zuletzt ist in der Bundesrepublik vor vier Jahrzehnten eine Regierung vor der Zeit zerbrochen, die von Helmut Schmidt 1982. Dreijährige Kurz-Kanzlerschaften gab es zuletzt in den 1960er-Jahren mit Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger.

Statt dem versprochenen «Fortschritt» gab es erst mal Krieg

Die Aufgabe, die Scholz zu lösen hatte, war zugegebenermassen historisch schwierig. Eine ideologisch derart auseinanderstrebende Koalition mit drei Partnern hatte es in Deutschland noch nicht gegeben. Die neue Regierung versprach «Fortschritt» – dann überfiel zwei Monate nach Scholz’ Antritt Russland die Ukraine und brachte den Krieg nach Europa zurück.

Der Fortschritt, den die Ampelkoalition bewirken wollte, musste erst mal warten, Deutschland den Schock bewältigen, der das Land fast unvorbereitet traf. Und doch: Rückblickend gesehen, war das Krisenjahr von Februar 2022 bis Frühling 2023 die beste Zeit dieses Kanzlers und seiner Regierung.

Scholz rief eine «Zeitenwende» für die deutsche Sicherheitspolitik aus, richtete einen 100-Milliarden-Euro-Fonds für die Bundeswehr ein, brachte seine friedensselige und russlandfreundliche Partei zur Besinnung. Deutschland, das der Ukraine erst mal nur 5000 Helme schickte, half am Ende mit Panzern, Flugabwehrraketen und vielem mehr und wurde zum zweitgrössten Unterstützer Kiews nach den USA.

Gemeinsam mit dem grünen Vizekanzler Robert Habeck löste Scholz Deutschland innert Monaten aus der Abhängigkeit von russischem Gas, ohne dass die Wirtschaft dabei in eine schwere Rezession gestürzt wäre oder die Menschen im Winter in kalten Wohnungen hätten frieren müssen. Es war die Zeit, als selbst FDP-Finanzminister Christian Lindner erneuerbare Energien auf einmal «Freiheitsenergien» nannte.

Als die grösste Krise bewältigt war, wurde es für die Ampel schwierig

Richtig schwierig wurde das Regieren erst, als 2023 wieder Atem für die Anliegen war, die sich Scholz’ Koalition eigentlich vorgenommen hatte. Als der damals noch sehr beliebte Habeck die Deutschen mit Übereifer vom Heizen mit Gas und Öl abbringen wollte, wurde sein Plan von SPD und FDP heimlich sabotiert. Deutschland lief gegen «Habecks Heizungshammer» Sturm, die Umfragewerte der Regierung brachen ein, das Vertrauen der Partner war dahin.

Ende 2023 zerstörte das höchste Gericht dann die Geschäftsgrundlage, auf der die Koalition geruht hatte, indem es dieser verbot, Kredite aus der Pandemiezeit für andere Zwecke umzunutzen. Von da an wirkte Scholz’ Regierung wie ein Untoter: unfähig zu gemeinsamem, kraftvollem Handeln, in Streit gefangen, blind für die Veränderungen, die sich gleichzeitig in der Gesellschaft vollzogen. Am Ende, ein Jahr zu spät, provozierte die FDP den Bruch der Koalition, Scholz vollzog ihn, das Land atmete auf.

Eröffnung der IAA Mobility 2023 in München: Bundeskanzler Olaf Scholz, Verkehrsminister Volker Wissing, VDA-Präsidentin Hildegard Müller und VW-Vorstandsvorsitzender Dr. Oliver Blume am Stand des Volkswagen ID. GTI Concept, einem vollelektrischen Kleinwagen.

Scholz war zwar der Gefahr aus Russland begegnet – wenn auch zu zaghaft, wie Grüne und Liberale zu Recht klagten. Dabei hatte er aber zwei weitere Umbrüche unterschätzt: Die deutsche Wirtschaft rutschte schleichend von einer Konjunktur- in eine ernste Strukturkrise, weil drei Säulen des Geschäftsmodells gleichzeitig zu wanken begannen: billige Energie aus Russland, Schutz aus den USA, China als Absatzmarkt. Die schlechte Stimmung drückte zusätzlich aufs Geschäft.

Als Folge des russischen Angriffskriegs suchten zudem 1,2 Millionen Menschen aus der Ukraine Schutz in Deutschland, dazu kamen in den drei Ampeljahren 850’000 Asylsuchende, vor allem aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Diese historisch hohe Zuwanderung überforderte die Aufnahme- und Integrationsmöglichkeiten des Landes. Eine Reihe von Gewalttaten muslimischer Männer schürte ab Mai 2024 zusätzlich Unsicherheit und Wut.

Beiden Entwicklungen sah Scholz lange nur zu, die Klagen aus Gemeinden und Städten überging er genauso wie die Warnungen von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Der Kanzler beschönigte die Lage, solange es ging. Als es nicht mehr ging, stellte er fest, dass seiner Koalition die Kraft für zwei weitere Zeitenwenden fehlte.

Olaf Scholz, Bundeskanzler, gibt eine Presseerklärung vor dem Rathaus in Magdeburg. Rechts neben ihm steht Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Umgeben von Mikrofonen, nehmen auch Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, und Nancy Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, an der Presseveranstaltung teil.

Scholz liess es an Orientierung und an Führungsstärke mangeln, also an dem, was man von einem Kanzler gemeinhin erwartet. Es gelang ihm weder, seine Regierungspartner zu überzeugen, noch überzeugte er die Bürgerinnen und Bürger. In der Koalition stand ihm vor allem die FDP im Weg, deren Existenzangst die Kooperation zunehmend verunmöglichte. In der Kommunikation hinderte ihn seine emotions- und erklärarme Art, eine echte Verbindung zu den Menschen im Land herzustellen. Sein technokratischer Weiter-so-Stil passte je länger, je weniger zur Lage.

Nicht alles am Debakel der Ampelregierung ist Scholz’ Schuld, eigene Schwächen haben aber entscheidend dazu beigetragen: Überheblich und belehrend statt neugierig und selbstkritisch trat der hochintelligente Hamburger nicht nur in der Regierung auf, sondern auch, wenn er sich an die Bürgerinnen und Bürger wandte. Er lobte sich zu oft selbst, versuchte die Menschen in Sicherheit zu wiegen, statt ihnen aufzuzeigen, in welch schwieriger Lage das Land ist und welche Anstrengungen jetzt von allen nötig wären.

Die lange politische Karriere von Olaf Scholz wird bald enden

Eigen- und Fremdwahrnehmung klafften am Ende so stark auseinander, dass es der Opposition leichtfiel, den Kanzler als realitätsblind hinzustellen. Der Christdemokrat Friedrich Merz, sein wahrscheinlicher Nachfolger, fragte Scholz im Bundestag immer wieder entgeistert: «In welchem Kosmos leben Sie eigentlich?»

Nach dieser Wahl wird die lange politische Karriere von Olaf Scholz, mittlerweile 66 Jahre alt, aller Voraussicht nach enden. Selbst wenn seine SPD wieder mitregiert, was sehr wahrscheinlich ist, wird er selbst kein Teil mehr davon sein. Der vierte sozialdemokratische Kanzler der Bundesrepublik hatte nach seinem Wahlsieg ein «sozialdemokratisches Jahrzehnt» vorausgesagt. Es ist ein sehr kurzes geworden.