Baldiger AbschiedJoe Biden poliert sein Vermächtnis gegen China
Das öffentliche Interesse am amtierenden US-Präsidenten ist weitgehend geschwunden. Mit grossen Gesten versucht dieser nun, seine Hinterlassenschaft zu regeln.
Knapp vier Monate noch darf Joe Biden das Weisse Haus sein Zuhause nennen. In den oberen Geschossen des bald 224 Jahre alten Gebäudes mitten in Washington befindet sich die Privatwohnung des US-Präsidenten und der First Lady, in den unteren empfangen sie Besucher. Er wäre bekanntlich gern vier weitere Jahre dortgeblieben; nur schätzten seine Parteifreunde und Geldgeber seine Chancen auf eine Wiederwahl nicht so hoch ein wie er selbst.
Seit Biden aus dem Präsidentschaftsrennen ausgeschieden ist, ist es deutlich ruhiger geworden um den 81-Jährigen. Höchste Zeit also, sein politisches Vermächtnis zu polieren, bevor seine Nachfolge geklärt wird und er bis zum 20. Januar 2025 ausziehen muss. Der Gedanke an seine Hinterlassenschaft dürfte dazu beigetragen haben, dass Biden am Samstag erstmals ausländische Staatschefs nicht in offiziellen Räumlichkeiten des US-Präsidenten willkommen heissen wird, sondern in seinem Privathaus in Wilmington.
Intim, persönlich, ganz Biden
Das Treffen ist eine Miniatur der Aussenpolitik von Joe Biden in den vergangenen vier Jahren. Er lädt zum Gipfeltreffen eines Bündnisses namens Quad in einem sehr intimen Rahmen ein. In dem Haus in Delaware, das er einst selbst zeichnete und das seine Familie seit fast 30 Jahren bewohnt, empfängt er die Ministerpräsidenten von Australien, Indien und Japan.
Biden ist ein Aussenpolitiker alter Schule, überzeugt davon, dass persönliche Beziehungen ein wesentlicher Bestandteil sind. Als er nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine das Verteidigungsbündnis Nato zusammenhielt, legte er viel Gewicht auf den direkten Austausch mit wichtigen Partnern – darunter die Präsidenten der Ukraine und Frankreichs sowie der deutsche Kanzler.
Beispielhaft für das System Joe Biden
Nun fokussiert er sich in den letzten Monaten seiner Amtszeit darauf, Bündnisse zu festigen und auf eine etwaige Wiederwahl seines Widersachers Donald Trump vorzubereiten. Mit dem Treffen der Quad etwa will er das Signal an China senden, das Viererbündnis werde die anstehenden Wechsel in den Führungsspitzen der Mitglieder überdauern. Noch vor Biden wird der japanische Premierminister Fumio Kishida im September aus dem Amt scheiden, 2025 dürften auch in Australien Wahlen stattfinden.
Die Quad ist beispielhaft für Bidens Aussenpolitik. Wohl war es Donald Trump, der das eingeschlafene Bündnis 2017 wiederbelebte, als Gegengewicht zu China, das darin eine «Indopazifik-Nato» sieht. Biden scheute sich nicht nur nicht, es weiterzuführen, sondern stärkte es entscheidend, indem er daraus einen regelmässigen Dialog der höchsten politischen Führungsebene machte.
So brachte Biden vier Indopazifikstaaten mit sehr unterschiedlichen Interessenlagen und Beziehungen mit China zusammen. Japan hat wohl eine historische Aufrüstung gestartet, will den grossen Nachbarn aber nicht provozieren. Auch Indien verfolgt einen vorsichtigen Kurs gegenüber dem Nachbarland China. Die beiden Mächte mit Milliardenbevölkerung arbeiten daran, ihre schwierigen Grenzbeziehungen etwas zu entspannen.
USA wollen führen, aber nicht überrollen
Bisher lag der Fokus der Quad nicht auf der Abwehr gegen China, sondern auf «Entwicklung, Stabilität und Wohlstand der Region». Nun will Biden «aggressive Militäraktionen», «unfaire Handelspraktiken» und «Spannungen in der Strasse von Taiwan» zur Sprache bringen, wie John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, sagte. Das schrittweise Vorgehen passt zu Bidens Verständnis der Bündnispflege, wobei die USA eine Führungsrolle beanspruchen, die Partner aber nicht zu überfahren versuchen.
Dahinter steckt die Einsicht, dass die USA allein nicht in der Lage sind, das aufstrebende China im Zaum zu halten. Biden hatte sich zu Beginn seiner Präsidentschaft auf Konfrontationskurs mit Machthaber Xi Jinping begeben, den er mehrmals Diktator nannte. Die Spannungen erreichten ihren Höhepunkt, als er einen chinesischen Spionageballon über der US-Ostküste abschiessen liess und die Ausfuhr von Hochleistungs-Computerchips nach China untersagte. Die Rede war von Handelskrieg und Abkoppelung, die ordentlichen Gesprächskanäle funktionierten nicht mehr.
Inzwischen reden die beiden Seiten wieder miteinander. Biden hat zwar weitere Abwehrzölle in Kraft gesetzt, unter anderem auf Elektrofahrzeuge. China wiederum beansprucht Teile des Südchinesischen Meers für sich, die als Hoheitsgewässer anderer Staaten gelten oder internationale Gewässer sind. Doch signalisieren beide Länder immer wieder von neuem, dass sie den Wettstreit nicht eskalieren lassen wollen. Der Erhalt des fragilen Gleichgewichts der Kräfte und die Stärkung multipolarer Allianzen als langfristige Gegengewichte zu China sind Bidens Antwort darauf.
Warnungen vor drittem Weltkrieg
Kritiker werfen Biden vor, die Produktion von Kriegsgerät und Munition zu wenig beschleunigt zu haben und China zu wenig entschieden entgegenzutreten. vor kurzem warnte die «Commission on the National Defense Strategy» vor dem «Potenzial eines baldigen grossen Kriegs». Laut der vom Kongress bestellten Gruppe von unparteilichen Sicherheitsfachleuten werden die USA so ernsthaft bedroht wie seit 1945 nicht mehr – und sie seien darauf nicht vorbereitet. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass die Volksarmee sich darauf vorbereite, spätestens 2027 eine Invasion in Taiwan zu starten.
Joe Biden wird jedoch längst nicht mehr im Weissen Haus wohnen, wenn sich zeigt, ob seine Strategie aufgeht, die Kamala Harris – sollte sie die Wahl gewinnen – weiterführen dürfte. Oder ob Donald Trumps Behauptung stimmt, dass er besser als andere wisse, wie «sein Freund» Xi Jinping von einem Krieg abzuhalten sei.
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