Versöhnliche Töne zwischen USA und China«Die Erde ist gross genug für beide Länder»
Auf einem Landsitz in Kalifornien suchen US-Präsident Biden und Chinas Staatschef Xi die Annäherung – und einigen sich auf so manche Zusammenarbeit. Ist die Eiszeit zwischen den beiden Mächten vorbei?
Der Ort, an dem sich die USA und China wieder zivilisiert nahekamen, ist eine Filmkulisse. Früher wurde auf diesem Landsitz namens Filoli bei San Francisco, einst erbaut für den Besitzer einer Goldmine, unter anderem die Fernsehserie «Dynasty» gedreht. Heutzutage kann auf der Anlage zum Beispiel geheiratet werden, nur zuletzt war sie drei Tage lang geschlossen – «während wir die Hallen für die Feiertage schmücken», wie es auf der Website entschuldigend hiess, kommende Woche ist ja Thanksgiving. In Wahrheit sassen hier nun am Mittwoch Joe Biden und Xi Jinping beisammen, redeten, assen und gingen sogar zweisam im schönen Garten spazieren.
Filoli also hiess die Bühne für Amerikas bedeutendstes Polittreffen 2023. Bis kurz zuvor war die Adresse aus Angst vor Störungen streng geheim gewesen, nur Auserwählte wussten Bescheid. Dann fuhr um kurz nach elf Uhr Ortszeit eine schwarze Limousine chinesischer Bauart vor, Chinas Präsident stieg aus, zog die Ärmel zurecht und wurde am Herrenhaus von Gastgeber Biden in Empfang genommen. Es begann ein Dialog, der das zuletzt äusserst gespannte Verhältnis dieser Weltmächte entkrampfen soll.
Von Leader zu Leader
«Herr Präsident», hob Biden drinnen im Herrenhaus an, solange noch Kameras dabei sein durften. «Wir kennen uns schon sehr lange. Wir waren nicht immer einer Meinung. Aber unsere Treffen waren immer offen und ehrlich.» Es sei «von grösster Wichtigkeit, dass wir uns gegenseitig wirklich verstehen, von Leader zu Leader». Xi sprach zum Einstand vor allem diesen Satz, der nachklang: «Der Planet Erde ist genug gross, dass beide Länder erfolgreich sein können.»
Danach ging es fast vier Stunden lang weiter, unter anderem beim Lunch mit Kräuter-Ricotta-Ravioli, Artischocken-Chips, gebratenem Estragon-Huhn und anderen Gerichten. Nachher wurden Biden und Xi sogar beim gemächlichen Rundgang durch die Parkanlage gesehen, das galt als besonders vertraulich und entspannt. Zwei Männer, der eine noch 80, der andere 70, die sich tatsächlich schon das eine oder andere Mal ausführlich begegnet sind. Aber wohl selten mit solchen Erwartungen und unter solchem Druck.
Xi beschreibt es als «unrealistisch, dass eine Seite die andere umgestaltet».
Insgesamt 68 Stunden lang habe er in all den Jahren direkt mit Xi gesprochen, berichtete Biden später, früher waren beide Vizepräsidenten gewesen. «Ich denke, ich kenne den Mann.» Die Fortsetzung der Serie ereignete sich diesmal am Rande des Asien-Pazifik-Gipfels in Kalifornien, zwölf Monate nach ihrer Unterredung am Rande von G-20 auf Bali. Seitdem sei viel passiert, sagte Xi. Da hat er recht. Zum Krieg in der Ukraine kam der Krieg im Nahen Osten, wobei der oberste Chinese zunächst nur die langsame Erholung der Weltwirtschaft nach der Pandemie erwähnte.
Die Beziehungen zwischen China und den USA seien in den vergangenen 50 Jahren nie reibungslos verlaufen, sprach Xi. «Dennoch haben sie sich trotz aller Widrigkeiten immer weiterentwickelt. Für zwei grosse Länder wie China und die Vereinigten Staaten ist es keine Option, einander den Rücken zuzukehren.» Es sei «unrealistisch, dass eine Seite die andere umgestaltet, und Konflikt und Konfrontation haben für beide Seiten unerträgliche Folgen» – ein mehr oder weniger dezenter Hinweis wohl auf Kritik an Chinas Menschenrechtsverletzungen, Militärmanövern und wirtschaftlichen Eigenheiten.
Gemeinsam gegen Killerdroge Fentanyl
Vor einigen Monaten schoss die US Air Force vor der amerikanischen Ostküste einen chinesischen Spionageballon vom Himmel. Im und über dem Südchinesischen Meer kreuzen sich immer riskant die Wege von Kampfjets und Schiffen beider Streitkräfte.
Bei seiner Pressekonferenz gab Biden nun bekannt, dass die gegenseitigen Militärkontakte wieder aufgenommen würden, um Unfälle oder Missverständnisse zu vermeiden. «Fehleinschätzungen auf beiden Seiten können richtig, richtig Probleme mit einem Land wie China oder einem anderen grossen Land verursachen», sagte Biden. «Er und ich haben vereinbart, dass jeder von uns einen Anruf direkt entgegennehmen kann und sofort gehört wird. Wir sind zurück bei der direkten, offenen, klaren Kommunikation.»
Die derzeit grössten gemeinsamen Themen sind die Ukraine, Israel/Palästina – und Taiwan.
Der US-Präsident erzählte ausserdem vom gemeinsamen Plan, die Produktion der Killerdroge Fentanyl einzudämmen. Die Zutaten kommen vornehmlich aus China, gemixt wird bevorzugt in Mexiko. Das Opioid tötet mehr Amerikanerinnen und Amerikaner im Alter von 18 bis 49 Jahren als Schusswaffen und Verkehrsunfälle zusammen. Auch von künstlicher Intelligenz und anderen globalen Phänomenen war die Rede, alles grosse Themen. Doch die derzeit grössten Themen zwischen den USA und China sind die Ukraine, Israel/Palästina – und Taiwan.
Peking hatte von Washington immer wieder verlangt, die Waffenlieferungen auf die Insel zu beenden. Besonders schlecht kam der Besuch der Demokratin Nancy Pelosi, damals Sprecherin im US-Repräsentantenhaus, im Sommer 2022 in Taipeh an. Xi habe jetzt deutlich gemacht, dass Taiwan «das grösste und potenziell gefährlichste Problem in den Beziehungen zwischen den USA und China ist», wie ein hoher US-Beamter berichtete. Er sei für eine friedliche Wiedervereinigung, sei aber sofort zu den Bedingungen übergegangen, unter denen Gewalt angewendet werden könnte.
Biden habe geantwortet, dass die USA Frieden und Stabilität erhalten wollten und an den Status quo glaubten. Und man bitte die Chinesen, den Wahlprozess in Taiwan zu respektieren. «Sehen Sie, Frieden ist schön und gut», soll Xi laut dem Zeugen erwidert haben, «aber irgendwann müssen wir zu einer allgemeineren Lösung übergehen.» Vor Journalisten sagte Biden anschliessend, dass sich an der amerikanischen Ein-China-Politik nichts ändern werde.
Das Ende der Eiszeit?
Ein Krieg in Fernost wäre angesichts der Kriege in Osteuropa und Nahost umso heikler für die USA. Noch dazu hat die chinesische Marine erheblich aufgerüstet, Experten beklagen den Rückstand der US-Navy. «Es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Bränden, die wir auf der ganzen Welt gleichzeitig löschen können», zitiert die «Washington Post» eine Quelle aus dem Weissen Haus. Biden hat Xi laut einem Delegationsmitglied auch die amerikanischen Sorgen zur Ukraine erörtert und im Fall Israel den Wunsch geäussert, «dass China sich gegenüber dem Iran einbringt, um Schritte zu vermeiden, die als provokativ oder eskalierend angesehen werden könnten».
Natürlich wurde Biden dann von Reportern auch zur Gewalt in Gaza gefragt, als er Fragen und Antworten von Zetteln ablas. «Ich denke, es wird aufhören, wenn die Hamas nicht mehr in der Lage ist, Israelis zu ermorden, zu missbrauchen und einfach nur schreckliche Dinge zu tun», sagte er. Die Hamas könne immer noch Waffen und Technologie unter den Krankenhäusern des Gazastreifens aufbewahren. «Ich glaube nicht, dass es letztendlich aufhört, bis es eine Zweistaatenlösung gibt.»
Biden will «einige der konstruktivsten und produktivsten Gespräche» geführt haben.
Der US-Präsident verhaspelte sich zuweilen, er war sichtlich und hörbar müde an diesem kalifornischen Nachmittag, seiner erst dritten Pressekonferenz in diesem Jahr. Doch dieser sorgsam choreografierte Marathontermin soll als Erfolg verstanden werden, als Ende einer Eiszeit zwischen den USA und China. Hinter ihm lägen «einige der konstruktivsten und produktivsten Gespräche, die wir je geführt haben», versicherte Biden.
Ob er den chinesischen Präsidenten Xi wie im Juni immer noch als Diktator bezeichnet? «Er ist ein Diktator in dem Sinne, dass er ein kommunistisches Land regiert», sagte Biden, und dass die chinesische Regierung «völlig anders ist als unsere». Was wohl diplomatisch klingen sollte.
Xis Frau Peng Liyuan soll er im ehrwürdigen Filoli Glückwünsche zum Geburtstag ausgerichtet haben. Am Montag ist es so weit, Biden kennt den Tag gut. Er selbst wird am 20. November 81, sie 61, aber das ist bei aller Annäherung nun wirklich Zufall.
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