Wahlkampf von Kamala Harris«Yes we Kam» – plötzlich herrscht Euphorie
Die Anhänger der Demokraten lernen gerade neu, was begeisterter Wahlkampf ist. Die Spendengelder fliessen, es gibt schon Fan-Shirts zu kaufen – und Harris startet Attacken gegen Trump.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Land, in dem es zu nahezu allem, was existiert und geschieht, auch das passende Merchandising gibt. Jedes Café verkauft seine eigenen Kapuzenpullis, jede Schule ihre eigenen Regenschirme, jeder Lokalpolitiker seine eigenen Fan-Utensilien. Da tanzt eigentlich ganz angenehm aus der Reihe, wenn mal etwas nicht ganz so aufdringlich vermarktet wird. Es war nur etwas ungünstig, dass es sich bei der jüngsten Ausnahme ausgerechnet um die Kampagne zur Wiederwahl von Joe Biden handelte.
Wo auch immer man sich in den zurückliegenden Wochen in den USA umschaute: Es waren keine Biden-Käppis, keine Biden-Shirts und keine Biden-Schilder in den Vorgärten zu sehen. In den Kleinstädten von Illinois: nichts. Vor dem Gerichtssaal in New York: nichts. An den Stränden von Kalifornien: nichts. Zwischen den Pfirsichplantagen Georgias: nichts. Und selbst in den mobilen Ramschläden im Zentrum von Washington D.C., fussläufig des Weissen Hauses, suchte man vergeblich nach Biden-Bedarf.
Wer sich dagegen in Trump-Rot kleiden möchte, wird seit Monaten so ziemlich überall fündig. Klar, was nachgefragt wird, wird auch angeboten. Und genau deshalb dürften die amerikanischen Souvenirhändler nun schleunigst ihr Sortiment umstellen.
Kamala-Kaffeetassen und Harris-Hoodies
Seit dem Ausstieg Joe Bidens aus dem Präsidentschaftsrennen ist jedenfalls einiges in Bewegung geraten im Merch-Bereich. Das Designteam von Kamala Harris hat praktisch über Nacht ein neues Logo entworfen: «Harris for President». Es gibt bei den einschlägigen Onlinehändlern auch schon Kamala-Kaffeetassen, Harris-Hoodies sowie Kamala-Harris-Save-Democracy-2024-Fahnen. Und offensichtlich wird das alles sogar gekauft.
Man bekommt jetzt plötzlich Fotos aus San Francisco geschickt, auf denen Menschen zu sehen sind, die das berühmte Obama-Poster des Designers Shepard Fairey in einer «Yes we Kam»-Version in die Luft halten. Die eingefleischten Harris-Fans laufen bereits mit T-Shirts herum, auf denen steht: «You think you just fell out of a coconut tree?»
Das Kokosnuss-Motiv
Es ist für Aussenstehende nicht auf Anhieb verständlich, was dieser Satz mit der mutmasslich neuen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zu tun hat. Weil aber das Kokosnuss-Motiv noch eine wichtige Rolle in diesem Wahlkampf spielen dürfte, lohnt es sich, das kurz zu erklären. Der seriöse Hintergrund ist eine Rede der Vizepräsidentin aus dem vergangenen Jahr, in der sie über Bildungsgerechtigkeit sprach und ihre indischstämmige Mutter mit dem Satz über die Kokospalme zitierte.
Was Harris damit offenbar sagen wollte: Es geht nicht nur darum, wo man herkommt, sondern auch was man daraus macht. Die Kokosnuss aber hat sich seither als Emoji und Meme im Netz verselbstständigt – massgeblich vorangetrieben von einer Bewegung, die sich «KHive» nennt und nur ein Ziel verfolgt: die Unterstützung von Kamala Harris. «Wir sind jetzt alle KHive», verkündete die «Vanity Fair» an diesem Montag.
Man darf es Euphorie nennen
Für die Basis der Demokraten in Amerikas ist das ein ganz neues Gefühl. Viele Leute haben Joe Biden bis zuletzt wegen seiner sachpolitischen Bilanz unterstützt, sie haben auch zu ihm gehalten, weil er nicht Trump ist und weil kein anderer da war. Aber in der demokratischen Wahlkampagne des Jahres 2024 waren bislang nicht einmal Spurenelemente von Begeisterung auszumachen. Wenn nicht alles täuscht, ändert sich das jetzt rapide.
Und der Stimmungswandel ist auch messbar. In den ersten 24 Stunden nach Bidens Rückzugserklärung sind bei Kamala Harris 81 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden eingegangen. Das ist eine neue Rekordsumme für solch eine kurze Zeitspanne. Nach Informationen von Harris’ Wahlkampfteam haben 888’000 verschiedene Spender dazu beigetragen, davon mehr als die Hälfte erstmalig.
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Die Zahl der Follower des offiziellen X-Accounts der Harris-Kampagne hat sich schlagartig verdoppelt. Eine Gruppe von Taylor-Swift-Fans macht unter dem Hashtag #SwiftiesForHarris Stimmung. Der demokratische Senator Brian Schatz aus Hawaii kletterte den Stamm einer Kokospalme hinauf.
Die grosse Erleichterung
Es ist, als ob das lange, qualvolle Warten auf den Rückzug Bidens nun zu einer umso grösseren Erleichterung führen würde. Vor allem junge Linke in Amerika scheinen plötzlich wieder den Spass an der Politik zu entdecken, zumal im Netz, wo sonst die Trump-Trolle den Ton angeben.
Dieser Welle konnte auch Nancy Pelosi nicht mehr widerstehen. Nachdem die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses zuerst noch auf der Seite derjenigen Demokraten gestanden hatte, die ein offenes Verfahren zur Regelung der Nachfolge Bidens bevorzugten, gab sie am Montag ihre «enthusiastische Unterstützung» für Harris bekannt.
Zuvor hatten sich praktisch alle potenziellen Alternativkandidatinnen und -kandidaten hinter Harris gestellt: Gavin Newsom, Gretchen Whitmer, Josh Shapiro, J. B. Pritzker, Andy Beshear, Pete Buttigieg.
All das war auch harte Arbeit. Nach Informationen der «New York Times» soll Harris am Sonntag zehn Stunden am Telefon verbracht und mehr als 100 Leute angerufen haben, um die Partei hinter sich zu versammeln. Die Agentur AP meldete am Montagabend, dass Harris bereits die nötige Zahl von Delegierten beisammenhabe, um sich auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im August offiziell zur Kandidatin küren zu lassen. Kurzum, es hätte zum Auftakt schlechter laufen können für die tonangebende Vizepräsidentin.
Image als Law-and-Order-Demokratin
Man erinnert sich an dieser Stelle aber auch an ihre strategisch komplett verkorkste Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur des Jahres 2020. Damals richtete sich ihre Kampagne an eine relativ links-aktivistische Zielgruppe, die Harris in ihrer Grösse offenbar stark überschätzt hatte. Sie verspielte damit ohne Not einen ihrer grössten Vorteile, nämlich ihr Image als Law-and-Order-Demokratin. Wenn sie nun gegen einen erstinstanzlich verurteilten Straftäter antritt, wäre es angebracht, das wieder ein wenig zu pflegen.
Am Montag sprach Harris zunächst zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Wahlkampfzentrale in Delaware. Sie erinnerte dabei an ihre Vergangenheit als resolute Bezirksstaatsanwältin von San Francisco und Generalstaatsanwältin von Kalifornien. Sie sagte: «In diesen Rollen habe ich es mit Tätern aller Art aufgenommen. Mit Sexualstraftätern, die Frauen missbrauchten, mit Betrügern, die Verbraucher betrogen, mit Schwindlern, die Regeln zu ihrem persönlichen Vorteil brachen. Glaubt mir also, wenn ich sage: Ich kenne den Typus Donald Trump.»
Ihre Leute waren schlau genug, dafür zu sorgen, dass diese interne Ansprache sogleich an die Öffentlichkeit gelangte.
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