Der Topfavorit vor dem Super-GDiese Ohrfeige hat Odermatt gutgetan
Der Sieg im ersten WM-Speedrennen der Männer dürfte über den Nidwaldner führen. Der ist gelassen – auch wegen eines Schreckmoments.
Plötzlich herrscht ein buntes Gewusel auf der Hotelterrasse, stehen sich Kameramänner auf den Füssen herum, kämpfen Interviewerinnen mit ihren Mikrofonen um die beste Position. Hierhin, hoch über Courchevel und direkt an eine Skipiste, haben sich die Schweizer Skifahrer zurückgezogen, um ihre Ruhe zu haben während der WM. An diesem Nachmittag wird sie jäh durchbrochen.
Fernsehteams sind zuhauf angereist, um ihn nach seinem Befinden zu befragen: Marco Odermatt, Star der Skiwelt, Posterboy, Medaillenanwärter in Riesenslalom, Super-G und Abfahrt, Hoffnungsträger einer ganzen Skination. Odermatt ist sich Rummel gewohnt, «aber das ist schon einer der grösseren Medienaufläufe», sagt er, als er im Foyer Platz genommen hat und seine letzte Fragerunde des Tages vor sich hat.
Der Nidwaldner hat in Dutzende Mikrofone geredet, in Dutzende Kameras und Fotoapparate gelächelt. Er versteht es mit seinen 25 Jahren so gut wie kaum einer, auch diese Situationen mit einer ihm eigenen Gelassenheit zu meistern. Er weiss, dass er sich nach diesem Medienmarathon wieder auf den Hauptteil seiner Arbeit wird konzentrieren können, entsprechend nimmt er sich Zeit für die Fragen.
Der heikle Wettlauf mit Kilde
Der junge Mann mit den blonden Locken hat Rennen hinter sich, in denen er sich für einmal sogar selbst verblüffte. In Cortina d’Ampezzo gewann er den ersten Super-G, gewann auch den zweiten Super-G. Und das nach dieser Vorgeschichte: Eine Woche zuvor hatte der scheinbar unverwundbare Dominator dieses Winters einen Schreckmoment erlebt. Auf der Streif von Kitzbühel, dieser furchteinflössenden Spektakelpiste, landete er nach einer Welle Ende des Steilhangs derart hart, dass er sich eine Meniskusquetschung und Prellungen im linken Knie zuzog und zwei Rennen auslassen musste.
Er habe während der Fahrt gespürt, dass etwas «nicht so gut ist», so sagt er das nun. «Ich wollte aber nicht abschwingen, damit jeder gleich sieht, dass etwas nicht stimmt.» Also fuhr er ins Ziel, ehe er wortlos und humpelnd verschwand.
Der Zwischenfall war auch eine Konsequenz des Wettlaufs zwischen ihm und Aleksander Kilde, die sich vorab in den Speed-Disziplinen zu immer noch waghalsigeren Fahrten treiben bei ihrem Kampf um Hundertstel. «Würde ich drei Rennen mit zwei Sekunden Vorsprung gewinnen, würde ich beim vierten sicher nicht mit diesem Risiko an den Start gehen. Aber wenn ich weiss, dass es meistens eng ist, dann nehme ich bewusst mehr Risiko», sagt Odermatt. Schon beim Riesenslalom in Adelboden hatte Odermatt einen Auftritt am und über dem Limit, kaum ein anderer Fahrer hätte den Lauf ins Ziel gebracht. Auch in Wengen erlebte er einen Schreckmoment – eine Woche später in Kitzbühel folgte der Schlag aufs Knie. «Aleksander und ich sind uns schon bewusst, in welchem Bereich wir uns bewegen», sagt Odermatt. «Aber nun wurde es uns noch bewusster, wie extrem wir bereit sind, an die Grenze zu gehen für den Sieg.»
Die Minipause war gut für den Kopf
In Cortina d’Ampezzo, wo der Gesamtweltcupsieger seine wunderbare Rückkehr in den Weltcup erlebt, scheidet der Norweger aus. «Ich glaube, es hat uns gutgetan, eine solche Ohrfeige zu kriegen. Ich sah es in Cortina mit meinen zwei Siegen, Aleksander in Kitzbühel mit seinem Triumph am Samstag: Wir müssen nicht immer das letzte Hemd riskieren, um zu gewinnen. Er schaffte das mit einer normalen, souveränen Fahrt – und auch ich zeigte, dass es durchaus auch normal gehen könnte.»
Die Erkenntnis kommt zur rechten Zeit, vor einer schwereren Verletzung. Die Minipause habe ihm auch nicht geschadet, sagt Odermatt. «Ich war weg vom Schuss, das war gut für den Kopf. Natürlich hätte ich es lieber gehabt, wenn die Kniegeschichte nicht gewesen wäre. Aber alles hat seinen Grund.» Für den Schweizer war es der sogenannte Schuss vor den Bug.
So nahm er es auch in der Vorbereitung auf die WM gemütlicher als sonst, trainierte vergangene Woche nur zwei Tage im Kraftraum, machte Therapie für das Knie, «ich gab ihm Zeit». Spätestens am Donnerstag ist die Schonzeit vorbei, gilt es im Super-G ernst für ihn und sein Knie. Dass für ihn gleich drei Medaillen drinliegen an dieser WM, mag Odermatt gar nicht in Abrede stellen, dazu ist auch sein Selbstbewusstsein zu gross. «Ich muss nicht sagen, was mein Ziel ist, das ist ja schon allein wegen der Erwartungen klar», sagt Odermatt. «Aber ich bin auch realistisch, es muss alles zusammenpassen, dann habe ich drei gute Chancen. Wenn es funktioniert: super!» Und wenn nicht? «Dann werde ich meine Karriere auch nicht gleich beenden.»
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