TV-Debatte in PhiladelphiaHarris vs. Trump findet ausgerechnet im Mahnmal der Verfassung statt
Das erste Duell zwischen Donald Trump und Kamala Harris findet im entscheidenden Swing-State Pennsylvania statt – an einem historisch bedeutenden Schauplatz.
Sie hat sich diesen Ort nicht ausgesucht, aber Kamala Harris hätte wohl keinen besseren gefunden für ihre erste Fernsehdebatte gegen Donald Trump. Auf den Termin vom Dienstag hatte Trump sich im Mai noch mit Joe Biden geeinigt. Die beiden setzten zwei Debatten an, die Erste Ende Juni bei CNN in Atlanta. Das Duell im wichtigen Swing-State Georgia sollte Biden zum Verhängnis werden. Er wirkte derart alt und fahrig, dass ihn seine Partei zum Rückzug aus dem Präsidentschaftsrennen zwang. Den zweiten Termin im anderen überaus wichtigen Swing-State, Pennsylvania, nimmt nun seine Nachfolgerin Kamala Harris wahr. (Lesen Sie hier, wie sich die beiden Kandidaten auf das Duell vorbereiten.)
Für das erste persönliche Treffen der Demokratin und des Republikaners überhaupt hat der Sender ABC News die Kameras im National Constitution Center in Philadelphia aufgebaut. Das modernistische Sandsteingebäude sticht heraus unter den roten Backsteinhäuschen der historischen Stadt, die Ende des 18. Jahrhunderts kurz die Hauptstadt der jungen Vereinigten Staaten war. Am einen Ende eines Parks in der Altstadt steht die Mischung aus Museum und nationalem Schulhaus, einem einzigen Dokument gewidmet, der US-Verfassung. Und einem Zweck: «Das Bewusstsein und das Verständnis der Verfassung bei der amerikanischen Bevölkerung zu fördern.» Präsident Ronald Reagan hielt die Bestimmung 1988 im Gründungsakt des Zentrums fest, eine Initiative zum 200-jährigen Bestehen der Verfassung im Jahr zuvor.
Die Partei ist unter Trump kaum wiederzuerkennen
Auf seinen republikanischen Vorgänger beruft sich Donald Trump hin und wieder mal, obwohl die Partei, die der einstige Schauspieler aus Kalifornien in den 1980er-Jahren anführte, kaum wiederzuerkennen ist, seit der New Yorker Reality-TV-Darsteller sie zu seinem persönlichen Kult umgebaut hat. Unangefochten hat sich Trump Ende Juli von den Republikanern wieder zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren lassen.
Also marschiert Trump am Dienstag in offizieller Funktion in den Schrein für das Gründungsdokument der Vereinigten Staaten. Obwohl er als Präsident einen Eid abgelegt hatte, die Verfassung zu achten und zu schützen, den er am 6. Januar 2021 mit Füssen trat. Er schickte seine Horden zum US-Capitol, um die friedliche Machtübergabe an seinen Nachfolger zu verhindern und die verfassungsmässige Ordnung zu kippen. Ende 2022 rief er nach der «Beendigung aller Regeln, Verordnungen und Artikel, sogar jenen in der Verfassung», weil ihm angeblich die Wahl 2020 gestohlen worden sei.
Solche Angriffe von innen hatten die Gründungsväter der Vereinigten Staaten vorausgesehen, als sie am anderen Ende des Parks getagt hatten, in der «Independence Hall», der heute das Constitution Center gegenübersteht. Dort debattierten und unterschrieben John Adams, Thomas Jefferson und weitere Vertreter aus den 13 Kolonien 1776 die Unabhängigkeitserklärung, 1787 entstand dort die Verfassung.
Heute sei die Gewaltenteilung in Gefahr, warnt Joe Biden
Die jungen Amerikaner trennten sich damals von einem Monarchen, den sie als Tyrannen empfanden. Unbedingt wollten sie vermeiden, sich unter eine neue Fuchtel zu begeben, weder unter die einer Bevölkerungsmehrheit noch unter jene eines neuen Autokraten. Die Lösung suchten sie in einem fein austarierten System der Gewaltenteilung, in dem drei verschiedene staatliche Machtzentren einander in Schach halten und ausbalancieren sollten. Ob und wie lange ihr Experiment erfolgreich sein würde, konnten die Gründerväter damals nicht erahnen. Nun, fast 250 Jahre später, ist es in ernsthafter Gefahr, wie Joe Biden im November 2022 in einer eindringlichen Rede warnte. Vor der in rotes Licht getauchten Independence Hall.
Die Gefahr hat nach Ansicht vieler einen Namen: Donald Trump. Davor warnt nun auch Bidens Nachfolgerin in ihrer Kampagne, auch wenn Kamala Harris ihren Ermahnungen einen fröhlicheren und jugendlicheren Anstrich verpasst. Sie müsste Trumps Verachtung für die Verfassung nicht einmal erwähnen, der historische Schauplatz der ersten Präsidentschaftsdebatte wird das Publikum ohnehin daran erinnern. Doch sie hat bisher in jeder Rede als Kandidatin das «Project 2025» erwähnt. Das 900 Seiten starke Machwerk rechter Thinktanks ist eine Anleitung für eine konservative Revolution, die Trump auslösen soll. Und für eine unerhörte Machterweiterung des Präsidentenamts.
Wird Trump diesmal die Verfassung achten?
Wie wird Trump antworten, falls ihn die ABC-Moderatoren im National Constitution Center danach fragen, ob er sich diesmal nach der Wahl an die Verfassung halten wird? Ob er diesmal das Resultat der Wahl akzeptieren wird? Bisher hat er darauf keine klaren Antworten gegeben, und die Onlinearmee der Harris-Influencer wird mit Sicherheit dafür sorgen, dass dies im Umfeld der Debatte nicht vergessen geht.
Allerdings deutet vieles darauf hin, dass die Demokratie eher nicht das schlagende Wahlkampfthema im Umland von Philadelphia ist. Die Stadt ist auch deshalb Austragungsort der zweiten Debatte, weil der Swing-State Pennsylvania bei der Wahl am 5. November eine überragende Rolle spielen wird. Sowohl für Trump als auch für Harris führen die einfachsten Wege ins Weisse Haus durch Pennsylvania mit seinen 19 Wahlmänner-Stimmen – beziehungsweise durch einige wenige Swing-Distrikte, die mal Demokraten wählen und dann wieder Republikaner.
Weil die knapp 9 Millionen registrierten Stimmberechtigten darüber entscheiden dürften, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt, hatte schon Joe Biden viel Zeit dort verbracht, unter anderem in Scranton, seiner Geburtsstadt. Nun touren Kamala Harris und Tim Walz durch die bedeutenden Landstriche; vor dem Parteitag in Chicago tingelten sie mit einem Bus durch Pennsylvania, Walz war in der vergangenen Woche schon wieder dort unterwegs. «Diese Wahl wird genau durch Erie, Pennsylvania gehen», sagte der Vizepräsidentschaftskandidat bei einem Besuch im Westen des Staats, an der Küste der Grossen Seen. Erie liegt in einem der Swing-Distrikte. (Lesen Sie hier ein Porträt von Tim Walz.)
Harris hat ihre Meinung zum Fracking schnell geändert
Harris hat auch ihre Meinung geändert, um in Pennsylvania nicht als allzu linke Politikerin anzuecken. Als Vertreterin des reichen Kaliforniens hatte sie ein Verbot von Fracking gefordert, eine umstrittene Gasfördertechnologie, die in Pennsylvania mit seinen reichen Schiefergasvorräten weit verbreitet ist. Eilig hat sich die Demokratin davon distanziert, als sie zur Präsidentschaftskandidatin aufstieg.
Donald Trump versprach bei seinen regelmässigen Besuchen in Pennsylvania schon seit langem, die Öl- und Gasbohrungen anzukurbeln. «Drill, Baby, Drill» kommt gut an in dem einstigen Industriestaat. Die Gasbranche ist eine willkommene Einkommensquelle geworden für Arbeiter, die wegen der Abwanderung der Kohle- und Schwerindustrie nach Ronald Reagans Amtszeit verarmt waren.
Nun liefern sich Harris und Trump in Pennsylvania das Rennen, mal ist in Umfragen die Demokratin um einen halben Prozentpunkt vorne, mal der Republikaner um einen Prozentpunkt. Die Debatte in Philadelphia könnte sich darum als Wendepunkt erweisen, knapp zwei Monate, nachdem Pennsylvania für Trump schon einmal schicksalhafte Bedeutung erlangt hat. In Butler eröffnete ein junger Mann das Feuer auf den Republikaner. Die Kugeln töteten und verletzten Zuschauer, Trump hingegen erwischten sie nur am Ohr. Mit blutigem Gesicht reckte er die Faust in die Höhe, «Fight», rief er seinen Anhängern zu. Nun führt ihn sein «Kampf» in das National Constitution Center in Philadelphia – ein Ort, der dazu beitragen soll, dass politische Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten ohne Gewalt ausgetragen werden.
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