Kein «Nemo-Effekt»Nicht einmal die Jungen sagen Ja zum dritten Geschlecht
Eine repräsentative Umfrage zeigt: Die Einführung eines Geschlechts für Nonbinäre in der Schweiz findet keine Mehrheit. Daran hat auch Nemos ESC-Sieg nichts geändert.

«Das ist inakzeptabel, das müssen wir ändern», sagte Nemo Mettler nach dem Sieg am Eurovision Song Contest (ESC). Gemeint war der Umstand, dass die Schweiz kein amtliches drittes Geschlecht kennt.
Das heisst: Personen wie Nemo, die sich weder ganz als Mann noch ganz als Frau verstehen, können sich im Reisepass nicht als «divers» oder «nonbinär» eintragen lassen.
Ändert sich das nun, weil Nemo seine Fernsehprominenz dafür nutzt, für die Einführung des dritten Geschlechts zu werben? Immerhin hat Justizminister Beat Jans signalisiert, dass er mit Nemo «über queere Rechte» sprechen werde.
Unsere repräsentative Umfrage zeigt: Die Bevölkerung lehnt die Einführung eines dritten Geschlechts nach wie vor klar ab. 57 Prozent sprechen sich dagegen aus.
Vor einem Jahr hatten «20 Minuten» und Tamedia in einer Umfrage dieselbe Frage schon einmal gestellt. Damals lag die Ablehnungsrate noch um 5 Prozentpunkte höher.
«Das ist eine nur minime Veränderung», sagt Lucas Leemann, der mit dem Institut Leewas die beiden Onlineumfragen durchgeführt hat. «Es war aber auch nicht zu erwarten, dass ein Ereignis wie Nemos ESC-Sieg in einer solchen Frage ein schnelles Umschwenken bewirkt.»
Tief verwurzelte Ablehnung
Bei gesellschaftlichen Fragen sind laut dem Politologen die Haltungen im Volk tief verwurzelt und ändern sich nur langsam. «Wir wissen aber aus Studien, dass sich Haltungen schneller verändern, wenn die entsprechenden Gesetze angepasst werden.»
Eine Gesetzesänderung hat der Bundesrat bisher abgelehnt. Er begründete dies unter anderem damit, dass die «gesellschaftlichen Voraussetzungen» dafür nicht gegeben seien. Es brauche nun zuerst einen «gesellschaftlichen Diskurs».
Die Ablehnung des dritten Geschlechts ist in allen Altersgruppen etwa gleich hoch. Die Jüngeren stehen ihm also genauso kritisch gegenüber wie die Älteren. Das widerspricht dem Eindruck, dass sich vor allem junge Leute wie Nemo – 24-jährig – für das Anliegen einsetzen.
Den Politologen Lucas Leemann erstaunt das nicht: «Wir sehen das etwa auch bei den Klimajugendlichen: Nur weil sie durch ihre Demonstrationen öffentlich sehr präsent sind, heisst das nicht, dass sie eine Mehrheitshaltung ausdrücken.»
Mitte ist liberaler als FDP
Anders als das Alter wirkt sich aber die parteipolitische Ausrichtung stark auf die Meinung zum dritten Geschlecht aus. Die Parteibasen von SP, Grünen und Grünliberalen sprechen sich mit bis zu zwei Dritteln klar dafür aus.
Mit über 80 Prozent ist die Ablehnung dagegen bei Anhängerinnen und Anhängern der SVP am stärksten. Bei der FDP sind zwei Drittel dagegen. Die Mitte mit ihren Wurzeln im katholischen Umfeld dagegen gibt sich mit 59 Prozent Ablehnung etwas gesellschaftsliberaler als die Freisinnigen.
Wie die Umfrage zudem zeigt, lehnen sowohl Frauen als auch Männer ein drittes Geschlecht ab. Dagegen findet das Anliegen in Städten Mehrheiten, auf dem Land wird es abgelehnt.
Auch Personen mit Uni-Abschluss sind dafür, wenn auch knapp. Auf allen anderen Bildungsniveaus dominiert die Ablehnung, am stärksten bei Personen mit Volksschulabschluss und mit Berufslehre.
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