Regimesturz in SyrienDas Land, das nie zur Ruhe kommt
Als langjähriger Korrespondent war unser Autor oft in Syrien unterwegs. Er hat dort eine brutale Diktatur, einen hoffnungsvollen Aufbruch und einen schrecklichen Bürgerkrieg erlebt. Nun beginnt eine neue Zeit. Gibt es endlich Grund zur Hoffnung?
- Ahmed al-Sharaa präsentiert sich als neuer Führer in Damaskus.
- Er hat den Jihadisten-Namen abgelegt und wirkt jetzt präsidial.
- Skepsis bleibt, ob politische Überzeugungen sich geändert haben.
- Diplomaten sehen ihn als pragmatisch und anpassungsfähig an.
Sollte sich das Schicksal eines Landes an der Garderobe seines Führers entscheiden, wäre Syrien auf dem richtigen Weg. Der bärtige Rebell, der von allen schon als neuer Führer gehandelt wird, war jüngst in Damaskus zu sehen, im dunklen Anzug, mit blank polierten Schuhen. Da empfing er die Vertreter einer der vielen Minderheiten seines Volkes.
Fest steht, dass Ahmed al-Sharaa zwischen all den Würdenträgern mit ihren Roben, Hauben und Kappen der nach westlichen Standards am besten Gekleidete war. Er strich seine grüne Krawatte mit beiläufiger Lässigkeit über dem Bäuchlein glatt, als habe er schon während seines Heiligen Kriegs im Irak und in Syrien nie etwas anderes getragen als weisse Hemden und seidendurchwirkte Binder.
Den Jihadisten-Namen hatte er da schon abgelegt. Aus Abu Mohammed al-Jolani war wieder Ahmed al-Sharaa geworden. Er wirkte ziemlich präsidial. Das war der Mann, der bei früheren Auftritten sein Antlitz verbarg. Den Jihadisten-Turban auf dem Haupt, drehte er sich bei Interviews von der Kamera weg: Einer, auf den zehn Millionen Dollar Kopfgeld ausgesetzt sind, zeigt der Welt ungern sein Gesicht.
Jetzt ist Syrien von der Diktatur befreit, auch der Heilige Krieg ist vorbei. Bashar al-Assad friert in Moskau, und der Ex-Jihadist präsentierte sich der Welt. Erst lächelte er zurückhaltend in die Kamera, da steckte er noch in einem grau-blau melierten Sakko; solch seltsame Jacketts trägt sonst nur Recep Tayyip Erdogan. Danach aber war der Rebellenführer in diesem tadellos sitzenden Anzug zu sehen, mit diesen schwarzen Schuhen, seitlich hatten sie kleine goldfarbene Schnallen.
Will Ahmed al-Sharaa den Scharia-Staat?
Man sollte nicht ausschliessen, dass der Ex-Jihadist nun ganz anders denkt, zeitgemässer, ziviler. Es könnte aber auch sein, dass er die Überzeugungen von damals bis heute hochhält: Heiliger Krieg, Scharia-Staat, die Frau als ein dem Manne bei- und untergeordnetes Wesen, Christen und andere Minderheiten als gesellschaftliche Anhängsel und notwendige Übel im islamischen Modellstaat: All das zählt schliesslich zum politischen Glaubensbekenntnis eines Islamisten. Und dafür hat Abu Mohammed al-Jolani, heute Ahmed al-Sharaa, gekämpft, Jahre in Haft gesessen, gelitten, gesiegt. Für die Freiheit von der Diktatur. Aber eben auch dafür. Warum sollte einer das, woran er geglaubt hatte, auf einmal vergessen?
Trotz alledem – und das ist jetzt weniger eine Frage der Garderobe oder der Ideologie als eine nüchterne Einsicht in das Wesen der internationalen Politik – stehen ausländische Politiker und Emissäre jetzt schon Schlange in Damaskus. Der für die Region zuständige Herr von den Vereinten Nationen war da, Diplomaten aus aller Herren Länder.
So schnell geht das. All diese westlichen Diplomaten betonten nach ihren Treffen mit al-Sharaa, dass die sie begleitenden Diplomatinnen kein Kopftuch trugen bei ihren Treffen und dass der Syrer darüber kein einziges Wort verlor, sich nicht beleidigt zeigte. Was unausgesprochen im diplomatischen Raum stand: Das war doch schon einmal ein erster, schöner Erfolg.
Das kann man so sehen. Muss man aber nicht. Wichtiger ist, was die Diplomaten zwischen den Zeilen sagen: Dieser Syrer sei ein Ex-Jihadist mit Staatsmann-Genen, pragmatisch, anpassungsfähig, klug. Es geht um viel. Nicht nur um Freiheit, um die Rolle der Frau. Sondern auch um Machtpolitik, Einflusssphären, Rohstoffe, Geopolitik.
Die Skepsis gegenüber Sharaa bleibt
Als einer, der seit einigen Jahren im Nahen Osten unterwegs ist und den Arabischen Frühling vom ersten Tag an erlebt hat, wundert man sich ein wenig. Haben alle ein so kurzes Gedächtnis? Ist schon vergessen, dass der Nahe Osten nicht immer unseren westlichen Massstäben folgt, die Menschen ihre eigenen Vorstellungen haben? Dass die Menschen dort natürlich frei sein wollen, eine beträchtliche Zahl von ihnen darunter aber etwas anderes versteht als wir?
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wer in diesen einzigartigen Tagen durch Syrien fährt, kann sich nur freuen. Zumal wenn er den Beginn der syrischen Revolution in Damaskus miterlebt hat. 2011, die sinnlose Gewalt gegenüber friedlichen Aktivisten. Die Brutalität des Regimes eines zum Diktator erhobenen Augenarztes, der so brutal reagiert, dass die Rebellion der Friedfertigen 2012 in gegenseitige Gewalt, einen Bürgerkrieg mündete. Wer das beobachtet hat, der kann sich für die Syrer nur freuen, freuen und nochmals freuen.
So betrachtet ist es ganz einfach: Ein Land und seine Menschen sind nach 54 Jahren des Grauens befreit worden. Das ist das Beste, was den Syrern passieren konnte. Doch trotz aller Freude überwiegt ein Déjà-vu-Gefühl. In Kairo und Tunis wurde 2011 auch getanzt, wurden Lieder gesungen, Fahnen geschwungen, kleinen Kindern die Landesfarben auf die Wangen geschminkt. Auch in Kairo steckten Soldaten Blumen in die Läufe ihrer Gewehre: Die Freiheit, sie war ein einziges, nie endendes Volksfest.
Nach dem Arabischen Frühling ist keine Demokratie in Sicht
Das Fest endete dann doch schneller als erwartet. Knapp eineinhalb Jahrzehnte später sind alle Erwartungen endgültig enttäuscht worden, haben sich die Hoffnungen nirgendwo erfüllt. In keinem einzigen dieser Länder, selbst wenn man den Kreis erweitert: in Ägypten, Tunesien, Libyen, im Jemen, im vergessenen Sudan, sogar im fernen Afghanistan – keine Demokratie in Sicht, kein Rechtsstaat auch nur im Ansatz. Überall nur neue Diktatoren, Warlords, Jihadisten.
Alles Menschen, die offenbar nicht genug kriegen können von Gewalt, Tod und Zerstörung. Von denen die einen meinen, der Staat, das ist die Armee, das sind die Uniformierten, die die unmündigen Bürger zu ihrem Glück zwingen müssen und dabei selbst Kasse machen. Und die anderen, die offenbar ernsthaft glauben, ein gottergebener Blick in den Koran reiche zum Verständnis moderner Staatlichkeit und zum Aufbau einer gerechten Gesellschaft. Und dabei natürlich auch Kasse machen.
Wobei auch das zu einfach ist: Vielleicht haben all diese Menschen noch etwas anderes im Sinn als nur Blutvergiessen und Töten? Vielleicht haben einige von ihnen sogar Ideale, so wie sie – möglicherweise – einer wie Ahmed al-Sharaa hat? Nur dass wir in Europa diese nicht verstehen und schon gar nicht teilen können.
Ruhe wird voraussichtlich so schnell nicht einkehren in Syrien. Die gesamte Region ist in Bewegung, sie spart kein Land aus. Auch nicht Syrien. Nicht gerade die ideale Startrampe für eine friedliche Entwicklung in einem Land, das nach fast eineinhalb Jahrzehnten Krieg und Leid wieder auf die Füsse kommen soll.
«Wenn ich Ihre Texte lese, habe ich den Eindruck, dass Sie das Ende des alten Regimes bedauern», hat mir neulich ein Leser geschrieben. Er war empört. Offenbar ist nur schwer vermittelbar, dass man das Ende der einen Diktatur begrüsst, den Beginn einer neuen aber fast schon erahnt. Man gilt schnell als miesepetriger Möchtegernprophet, für den alles immer nur noch schlimmer kommen wird, zumal im Nahen Osten. Zu einem, der Araber und Muslime für nicht demokratiefähig hält. Der mit kolonialer Attitüde auf die Region blickt und Vorurteile hegt gegen fremde Völker und Religionen. Solche Sachen.
Auf die Menschen aus Syrien hören
Mehr Sinn ergibt es, auf die Syrer selbst zu hören. Da war dieser Maler in Damaskus, er zählt zu den bekanntesten im Land. Er hat seine Bilder auch in Deutschland gezeigt, in München, Berlin. Auch er hat gesessen unter den Assads. Nur kurz, dafür aber zweimal. Er ist Kommunist. Er weiss, was er unbedingt will für sein Land: Freiheit, Gleichheit und Sicherheit. Für alle und nicht nur für die einen.
Der Maler ist Christ. Er hat Angst. Er hatte unter Assad Angst, unter dem Vater und unter dem Sohn. Jetzt hat er wieder Angst. Weil er nicht weiss, was kommt, es aber schon ahnt, wenn er die Sieger und Befreier sieht. Was seit langem das Thema seiner Bilder ist? Haft, Gefängnis, Leid. Frauen mit Kindern, die vor Gefängnistoren auf Nachricht von denen warten, die sie vielleicht nie wiedersehen werden. Den Maler interessieren die Menschen, nicht der Name des jeweiligen Diktators.
Vielleicht sollten wir Reporter und Kommentatoren doch noch genauer hinhören bei dem, was die Menschen sagen, die all das am eigenen Leib erleben müssen. 2011, der Arabische Frühling hatte gerade begonnen, sagte ein ägyptischer Bekannter: «Tunesien, Ägypten, okay, okay. Aber Syrien, das wird einfach nur schrecklich.»
Ich hatte augenrollend den Kopf geschüttelt, nur gelacht. Recht behielt am Ende aber leider er. Eigentlich müsste man ihn gleich anrufen und fragen, was er jetzt denkt. Ist er nun optimistischer oder doch schon wieder so unerträglich pessimistisch? Aber dann: Vielleicht geht es ja diesmal gut in Syrien, irgendwie.
Fehler gefunden?Jetzt melden.