Islamisten an der MachtSo wollen die Rebellen Syrien regieren
Nach dem Sturz des Assad-Regimes hoffen die Menschen auf ein freies System. Doch der Führer der HTS-Miliz hält sich noch bedeckt.

- Ahmed al-Sharaa führt jetzt die islamistische Rebellenorganisation HTS in Syrien.
- Die Übergangsregierung plant eine zivile Staatsverwaltung ohne Selbstjustiz.
- Unklar ist bisher, wie die alte syrische Armee integriert werden soll.
- Fragen zu Wirtschaftsform und internationalen Beziehungen bleiben offen.
Syrien mag frei sein, der langjährige alte Machthaber Bashar al-Assad vertrieben. Aber die Zukunft des vom Bürgerkrieg zerstörten Landes wird sich erst in den kommenden Wochen und Monaten entscheiden. In welche politische und gesellschaftliche Richtung der arabische Staat sich nach der Machtübernahme durch eine Koalition islamistischer Rebellen bewegt, steht in den Sternen: Viele Syrer hoffen nach fast 50 Jahren Assad-Diktatur und 13 Jahren Bürgerkrieg auf ein einigermassen freies, im besten Fall demokratisches System, andere fürchten eine islamistisch geprägte Ein-Mann-Herrschaft unter dem ehemaligen Jihadistenführer Abu Muoammad al-Jolani, der sich neu Ahmed al-Sharaa nennt.
Wo der Chef der Fundamentalistenmiliz, Hayat Tahrir al-Sham (HTS), das zukünftige Syrien gesellschaftlich verortet, lässt er bisher offen. Einer seiner Sprecher erklärte jetzt, die Übergangsregierung plane die Bildung eines «juristischen und menschenrechtlichen Komitees», das die Bildung einer neuen Regierung vorantreiben solle in einem «zivilen Staat, in dem jeder seine Rechte geniessen kann». Man werde alle Regionen zurück in die Hand des Zentralstaats bringen und die zerschlagene syrische Armee wieder aufbauen.
Die derzeitige Übergangsregierung steht unter der Führung von Mohamed al-Bashir. Der farblose Ingenieur und Scharia-Rechtsexperte hatte das von der Türkei geschützte und wirtschaftlich am Leben erhaltene HTS-Islamisten-Emirat in Idlib an der türkischen Grenze geführt. Er soll die Übergangsregierung in Syrien bis in den März leiten. Ob dann freie Wahlen anstehen, ist unklar.
Droht Selbstjustiz oder gar ein Bürgerkrieg?
Innenpolitisch muss die Rebellenführung rasch entscheiden, wie sie das ethnisch und religiös vielfältige Land führen will, damit kein Bürgerkrieg zwischen den nationalen Gruppen ausbricht. Die nächste entscheidende Frage ist der Umgang mit den Vertretern des alten Regimes. Al-Sharaa hatte angekündigt, man werde alle im Assad-Syrien ausgeübte systematische Gewalt und Folter verfolgen, aber keine Selbstjustiz dulden.
Hinter all dem steht ein Fragezeichen. Auch die Frage der Wirtschaftsform ist offen. Der Assad-Staat war fünf Jahrzehnte lang ein System des Nepotismus. Alle Wirtschaftszweige waren in Händen regimenaher Familien oder der Assads selbst. Ob die neuen Führer an eine freie Wirtschaft denken, weiss keiner.
Ebenso unklar ist das Verhältnis zur internationalen Staatengemeinschaft. Die einflussreichen Türken und Katarer haben sich gerade in Damaskus mit dem HTS-Chef getroffen, Vertreter wichtiger arabischer Staaten wollten am Wochenende im jordanischen Akaba zusammenkommen. Hinter den Kulissen wird intensiv um Einfluss auf das für die arabische Welt wichtige Land gerungen.
Grosse Fragen in der Aussenpolitik
Was den Umgang mit der nicht-arabischen Welt angeht, ist noch weniger klar. Moskau und Teheran werden versuchen, Reste des alten Einflusses auf Syrien zu bewahren.
Wahrscheinlich hat Moskau bei Assads Sturz Zusagen bekommen, mit denen es seine über Jahre aufgebaute Präsenz zumindest in Teilen erhalten kann. Für Teheran und die libanesische Hizbollah wird es weit schwieriger, da sie zu eng mit der Assad-Herrschaft verflochten waren und im Bürgerkrieg – wie aber auch die Russen – für das Regime kämpften und zahllose Gräueltaten begingen.
Die grosse Unbekannte ist Israel. Der jüdische Staat nutzt die Gunst der Stunde, zerstört mit Luftangriffen die Waffenlager und die Infrastruktur der Streitkräfte des Nachbarlandes. Entscheidend wird sein, ob sich das neue Syrien feindlich gegenüber Israel zeigt oder ob die Islamisten zumindest vorerst die rücksichtslos ausgespielte Vormacht des jüdischen Staats akzeptieren.
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