Assad-Regime am EndeJetzt beginnt die Jagd auf Syriens alte Elite
Die Führungsfiguren der Diktatur in Syrien fürchten nun um ihr Leben. Einer der mächtigsten Männer des Landes soll schon getötet worden sein.
- Rebellen haben das Grab von Hafez al-Assad, dem Vater Bashar al-Assads, zerstört.
- Ihab Makhlouf wurde bei einer Schiesserei getötet, bestätigen lässt sich das nicht.
- Rebellenführer kündigte die Veröffentlichung einer «Liste Nr. 1» mit Tätern an.
- Viele ehemalige Unterstützer des Regimes wollen nun im Widerstand gewesen sein.
Ihab Makhlouf hat es offenbar in seinem Auto erwischt, einem grossen BMW. In den sozialen Medien sind Bilder des Wagens zu sehen, durchsiebt von Kugeln. Makhlouf war einer der mächtigsten Männer Syriens, Mitglied einer Familie, die zum engsten Kreis des Assad-Regimes gehörte. Sein Tod, sollte er sich bestätigen, könnte ein weiterer Beleg dafür sein, dass die Jagd auf die alte Elite in Syrien begonnen hat. Und dass sie nicht unbedingt nach rechtsstaatlichen Kriterien abläuft.
In den Villenvororten von Damaskus sollen Rebellen in Häuser der regimetreuen Oligarchen eingedrungen sein, es soll Tote gegeben haben. Ebenso wie an der Küste, in den Städten Tartus und Latakia. Unabhängig bestätigen lässt sich das bislang zwar nicht, wie so vieles im neuen Syrien. Doch die Täter der Diktatur sind nicht mehr sicher.
«Wir werden nicht nachlassen, die Kriminellen, Mörder und Sicherheits- und Militäroffiziere, die an der Folterung des syrischen Volkes beteiligt sind, zur Rechenschaft zu ziehen», sagte der Rebellenführer Ahmed al-Scharaa auf der App Telegram. Al-Scharaa nannte sich kürzlich noch Abu Mohammed al-Jolani, so lautet sein Kampfname in der islamistischen Hayat Tahrir al-Scham (HTS), der stärksten Rebellengruppe, die nun auch den Ministerpräsidenten der Übergangsregierung stellt.
Eine Liste mit allen Mördern, Folterern und Dieben
Die will bald eine «Liste Nr. 1» veröffentlichen, mit den Namen all jener, die in den vergangenen Jahren die Syrer ermordet, gequält und bestohlen haben. Es soll auch Belohnungen geben für ihre Ergreifung.
Die Namen der Familie Makhlouf werden auf dieser Liste ganz weit oben stehen. Ihab und seine Brüder Rami, Hafez und Iyad sind die Söhne von Bashar al-Assads Onkel mütterlicherseits. Sie alle waren Offiziere des Geheimdienstes und der Armee, bekleideten hohe Posten, plünderten das Land.
Ihab Makhlouf soll Lizenzen zur zollfreien Einfuhr von Waren besessen haben, die ihm ein Vermögen einbrachten. Während sich Bashar al-Assad mit seinen engsten Angehörigen im Privatjet nach Moskau absetzte, blieb der übrigen Familie nur die Flucht im Auto. Ihab Makhlouf soll am 7. Dezember auf dem Weg nach Beirut gewesen sein, er wurde offenbar an einem Checkpoint der Rebellen erschossen.
Der Hass auf die Oligarchen ist gross
Auf der Flucht sind auch seine Brüder. Rami Makhlouf, einer der reichsten Geschäftsleute Syriens, steht besonders im Visier. Er ist Eigentümer des Mobilfunkunternehmens Syriatel, er besitzt Banken, Immobilien und weitere Firmen. Im April 2020 wurde Makhlouf unter Hausarrest gesetzt, verlor wohl viele Besitztümer. Für die Syrer blieb er eines der meistgehassten Mitglieder des Regimes.
Noch brennender aber ist der Wunsch nach Vergeltung oder Bestrafung im Fall von Maher al-Assad. Wo sich der jüngere Bruder des gestürzten Präsidenten zurzeit versteckt hält, ist nicht bekannt. Viele Syrer strömten in den vergangenen Tagen in seinen Palast auf einem Hügel vor Damaskus und nahmen sich, was sie kriegen konnten, von den edlen Weinen bis zu seinen Autos. Seine Milliarden wird Maher al-Assad allerdings längst ins Ausland gebracht haben.
Doch das Geld ist wichtig für das Regime. Die Kämpfer der vielen Milizen wollen eine Belohnung sehen für Jahre des Kampfes, zumindest erwarten sie jetzt ein Land, in dem es Strom und bezahlte Arbeit gibt, ein besseres Leben als unter Assad. Dafür braucht es einen Staat – und hohe Summen, die dieser Staat investieren kann. Beides existiert bisher nicht.
Der neue Staat brauchte die alte Bürokratie
Viele Behörden und Ämter in Damaskus wurden angezündet und geplündert, das erschwert den Neuanfang. Der Umgang mit dem alten Regime und seinen Millionen Gefolgsleuten wird auch darüber entscheiden, ob ein neuer Staat gelingt.
Der neue Staat wird zumindest Teile der alten Bürokratie brauchen, um zu funktionieren, ob er will oder nicht. Auch Ahmed al-Scharaa sieht das wohl so. Seine soeben ausgerufene Regierung hat bereits eine Generalamnestie für alle Soldaten erlassen, die als Wehrpflichtige des Regimes gekämpft haben – einen Straferlass für die einstigen Gegner.
Vor allem die Alawiten, die zu den schiitischen Gruppen des Islam gehören, haben Angst. Sie sind in Syrien eine Minderheit, stellten aber die politische und militärische Elite – mit der Assad-Familie an der Spitze. Sie leben vorwiegend an der Mittelmeerküste, in den Grossstädten Tartus und Latakia, denen man den Wohlstand ansieht.
Viele Profiteure wollen plötzlich im Widerstand gewesen sein
Als vor zwei Wochen der Vorstoss der Rebellen begann, machten sich viele Alawiten auf den Weg an die Küste, es gab endlose Autokolonnen. Womöglich hoffte die Elite der Alawiten da noch, am Mittelmeer eine letzte Bastion zu errichten.
Doch die Statuen an der Küste fielen schon, bevor die ersten Panzer der Rebellen einfuhren. Ladenbesitzer malten auf die syrische Flagge an den Läden einen dritten Stern, wodurch sie nun an das Symbol der Opposition erinnern. Andere holten die Assad-Poster von den Wänden und nahmen seine Bilder von ihren Facebook-Profilen. Viele frühere Profiteure wollen plötzlich schon immer im Widerstand gewesen sein.
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