Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Türkische Angriffe in Syrien
Das Schicksal der Kurdinnen und Kurden liegt in den Händen von Jolani und Trump

Syrian Kurds collect and sort clothes in the northeastern city of Qamishli on December 7, 2024, to distribute to Kurds displaced from towns in the Aleppo countryside. Kurdish-led fighters, who already controlled most of northeastern Syria, said on December 6 that they had moved into eastern areas formerly held by the government as Syrian troops withdrew. (Photo by Delil SOULEIMAN / AFP)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Die Region Rojava ist gefährdet durch Angriffe der Türkei und der Söldnergruppe Syrische Nationale Armee (SNA).
  • In Qamishli wurden Statuen von Assad gestürzt, die Bevölkerung feierte.
  • Die Demokratischen Kräfte Syriens zogen sich wegen Kämpfen mit der SNA aus Manbij zurück.
  • Flüchtlinge benötigen dringend medizinische Versorgung und Nahrung in Al-Tabqa.

Auch in Qamishli wurde am Sonntag auf den Strassen getanzt. Die Menschen sangen und filmten mit ihren Handys, wie eine Statue von Hafez al-Assad zu Boden stürzte, wie Zivilistinnen und kurdische Soldaten in die Behörden und den kleinen Flughafen eindrangen – in jenen Teil der Stadt, den das Regime seines Sohnes Bashar al-Assad seit Jahren kontrollierte.

Doch während in der Hauptstadt Damaskus die Waffen nun schweigen, kommt es im Nordosten des Landes noch immer zu Gefechten. Das Gebiet wird von den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) kontrolliert, einem Zusammenschluss aus den Militärräten der dortigen Städte, die meisten kurdisch dominiert.

Im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) hatten die Kurden das Gebiet eingenommen, das mittlerweile etwa ein Drittel Syriens umfasst. Seitdem ist dort eine basisdemokratisch organisierte Regionalregierung entstanden. Rojava nennen viele das Gebiet, AANES heisst es offiziell, kurz für Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien.

Für Erdogan sind die Islamisten Verbündete

Und auch wenn man sich hier genauso über den Zerfall des Assad-Regimes freut: Die Zukunft von Rojava ist ungewiss. Abu Mohammed al-Jolani, der Anführer der islamistischen Hayat Tahrir al-Scham (HTS), spricht zwar davon, auf alle ethnischen und politischen Gruppen in Syrien zugehen zu wollen. Aber viele seiner Männer haben früher für den IS gekämpft. Mancher dürfte den Wunsch verspüren, sich an den Kurden für die Niederlagen in den vergangenen Jahren zu rächen.

Syrian Kurdish families, displaced from their homes in the Afrin region during the 2018 offensive by Turkey, return to their villages in the northern Syrian area of Afrin on December 5, 2024. (Photo by Rami al SAYED / AFP)

Und im türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan könnten sie dafür einen Verbündeten gefunden haben. Die kurdisch geprägte Selbstverwaltungszone ist der türkischen Regierung ein Dorn im Auge. Ein De-facto-Staat südlich der Grenze untergräbt aus Sicht von Erdogan das eigene Vorgehen gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK in der Türkei, die dort und in der EU als Terrororganisation gilt.

Der türkische Präsident unterstützt einige der Rebellengruppen, die Assad gestürzt haben, allen voran die Söldnergruppe Syrische Nationale Armee (SNA). Er dürfte nicht allein auf eine Schwächung oder gar den Sturz von Assad gehofft haben, sondern ebenso auf einen Schlag gegen die Kurden.

Das lässt sich auch am Verlauf der Rebellenoffensive erkennen. Die Kämpfer der HTS zogen von Idlib aus Richtung Homs und Damaskus, um gegen Assads Truppen zu kämpfen. Währenddessen hat sich die von der Türkei finanzierte SNA schnell gen Osten gewandt, um eine Front mit der SDF und der selbstverwalteten Zone AANES zu eröffnen.

Seitdem toben in der Region um Manbij und auch in der Stadt selbst erbitterte Kämpfe zwischen SDF und SNA. Am Montag behaupteten zeitweilig beide Gruppen, die jeweils anderen Kämpfer aus dem Gebiet zurückgedrängt zu haben. Am Dienstag dann gab die SDF bekannt, man ziehe sich aus dem Gebiet zurück. Erst 2016 hatten die kurdischen Streitkräfte die Stadt Manbij unter herben Verlusten vom IS erobert.

Die Kurden sollen hinter den Euphrat verdrängt werden

Die Söldner haben die Lufthoheit dank türkischer Drohnen und werden mit weiterem militärischem Gerät von Ankara unterstützt. Das Ziel der Türkei und der SNA ist es offensichtlich, die Kurden hinter den Euphrat zu drängen. Das Gebiet rund um die Stadt Manbij ist das letzte, das die SDF westlich des Flusses kontrolliert. Bereits in den ersten Tagen der Rebellenoffensive hatte die SNA die Region rund um die Stadt Tal Rifat nördlich von Aleppo unter ihre Kontrolle gebracht. Der Durchmarsch der islamistischen Rebellen hatte die SDF offenbar genauso überrascht wie das Assad-Regime.

Etwa hunderttausend Kurden und Jesiden fanden sich umzingelt von der SNA. Zehntausende Menschen zogen vergangene Woche mit Bussen, überfüllten Autos und Pritschenwagen über die Route in andere Gebiete der Selbstverwaltung. Vor allem in die Städte Al-Tabqa (Al-Thawrah) und Raqqa. Einige wollen von dort aus weiter in andere kurdische Städte, etwa nach Kobane oder Qamishli.

Syrian Kurdish families, displaced from their homes in the Afrin region during the 2018 offensive by Turkey, return to their villages in the northern Syrian area of Afrin on December 5, 2024. (Photo by Rami al SAYED / AFP)

Nach Qamishli hat es Muhammad Sido bereits geschafft. Man erreicht den 53-Jährigen am Donnerstag in einer Musikschule, die zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut wurde. Vier Tage war er gemeinsam mit seinem Sohn unterwegs, er ist hörbar erschöpft. Zu seiner Frau, die mit dem Rest der Familie unterwegs sei, habe er den Kontakt verloren, erzählt er.

Muhammad Sido ist besorgt, aber er spricht sehr ruhig. Es ist nicht seine erste Flucht. Wie viele in Tal Rifat kommt er ursprünglich aus der westsyrischen Stadt Afrin. Er hat dort einen kleinen Laden betrieben, bis 2018 die türkische Armee das kurdisch verwaltete Gebiet im äussersten Nordwesten angriff, unter dem Titel «Operation Olivenzweig». Viele der Kurden, die jetzt nach Al-Thawrah strömen, haben auch in Tal Rifat nur in Lagern gewohnt.

Die humanitäre Lage ist schlimm

Doch die Lage, die sie in Al-Tabqa erwartet, ist weit prekärer. Niemand ist vorbereitet auf die Zehntausenden Flüchtlinge. Es fehle an Medizin, an genügend Nahrung, an Zelten, berichtet Anita Starosta von der Hilfsorganisation Medico, die vor Ort schon lange aktiv ist. Es seien bereits Kinder an Unterkühlung gestorben, so hätten es ihr zumindest die Helfer des Kurdischen Roten Halbmonds berichtet.

Internationale Hilfe sei bisher nicht eingetroffen, sagt Starosta. Seit 2021 kommen keine UNO-Lieferungen mehr über die syrisch-irakische Grenze nach Rojava. «Jetzt droht eine humanitäre Katastrophe», warnt sie. Und natürlich ziehe die Versorgung der vielen Geflüchteten auch Kräfte und Ressourcen von der Front ab. Die Selbstverwaltung ist geschwächt.

Die letzte Hoffnung sind die USA

Niemand weiss, wie weit Erdogan und seine Verbündeten gehen werden, jetzt, wo Assad nicht mehr das Hauptziel der Islamisten ist. Den SDF bleiben nur die Hoffnung auf die USA. Um den kurdischen Kampf gegen den IS zu unterstützen, sind momentan etwa 900 amerikanische Soldaten auf dem Gebiet der Selbstverwaltung stationiert. Medienberichten zufolge hat die US-Armee die SNA-Söldner bereits gewarnt, man werde es nicht zulassen, dass sie den Euphrat überschreiten.

Gleichzeitig postete der designierte US-Präsident Donald Trump am Samstag, die USA hätten «nichts zu tun» mit den Ereignissen in Syrien. «Das ist nicht unser Kampf. Mischen wir uns nicht ein.» Die Zukunft der Kurden in Syrien hängt also an zwei sehr unterschiedlichen, aber zumindest ähnlich unberechenbaren Männern: Donald Trump und Abu Mohammed Al-Jolani.