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Juristische Aufarbeitung
Die Beweise gegen Assad liegen bereit

A man holds up two ropes tied into nooses in the infamous Saydnaya military prison, just north of Damascus, Syria, Monday, Dec. 9, 2024. Thousands of inmates were released after Bashar Assad's regime was overthrown on Sunday, and crowds of people entered the prison, known as the "human slaughterhouse," hoping to find relatives who had been held there. (AP Photo/Hussein Malla)
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In Kürze:
  • In Syrien wurden nach Assads Sturz Tausende Gefangene freigelassen.
  • Rebellen fordern Gerechtigkeit für Assads Regimeverbrechen gegen das eigene Volk.
  • Die Organisation CIJA besitzt über eine Million Dokumente, die Assads Befehlsstrukturen belegen.

So vieles geschieht gerade gleichzeitig in Syrien. Eben hat Bashar al-Assad das Land verlassen, eben wurden die letzten Gefangenen aus Folterkellern befreit. Schon lebt der Wunsch auf, der Verantwortlichen für all die Gräueltaten gegen das eigene Volk habhaft zu werden, sie zur Verantwortung zu ziehen, aufzuklären, was geschehen ist in den Jahrzehnten der Diktatur. Gerechtigkeit!

Man werde eine Liste veröffentlichen mit den Namen der Folterer in Assads Regime, sagte Abu Mohammed al-Jolani, Kopf der Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham und derzeit stärkster Mann im Land. Offizielle, die ins Ausland geflohen sind, sollen nach Syrien gebracht werden. Für Informationen über alle, die an «Kriegsverbrechen» beteiligt gewesen sind, soll es Belohnungen geben.

«Die Verantwortlichen für diese Verbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden», sagt auch Robert Petit, der bei den Vereinten Nationen für die Aufarbeitung von Verbrechen in Syrien zuständig ist. Es gehe vor allem um die Haupttäter. Für jene auf niedrigerer Ebene würden sich «verschiedene Mittel der Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht» finden.

Die Welt hat sich vorbereitet

Die Art der juristischen Aufarbeitung wird stark davon abhängen, wie sich der syrische Staat organisiert in der kommenden Zeit, ob die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft gelingt. Die gute Nachricht aber lautet: Man muss nicht bei null beginnen, die Welt hat sich vorbereitet. Die Beweise für die Untaten des Assad-Regimes, die es jetzt braucht, müssen nicht erst in den verlassenen Palästen, Polizeiwachen und Geheimdienstbüros Syriens zusammengeklaubt werden. Sie liegen längst bereit.

«Jetzt ist der Moment gekommen, für den wir 13 Jahre lang gearbeitet haben», sagt Nerma Jelacic. Die Bosnierin sitzt im Direktorium der Commission for International Justice and Accountability (CIJA), einer der wichtigsten von mehreren internationalen Organisationen, die auf diesem Gebiet tätig sind. CIJA verfügt nach eigenen Angaben über mehr als eine Million Dokumente und Beweise, die aufzeigen, wie der Staat unter Assad aussah und vor allem: wer wann welche Entscheidung traf und ausführte. Die Dokumente liegen in gesicherten Räumen in einer europäischen Hauptstadt.

A man looks at a room of the infamous Saydnaya military prison, just north of Damascus, Syria, Monday, Dec. 9, 2024. .(AP Photo/Hussein Malla)

Gesammelt und ausser Landes geschmuggelt, oft unter lebensgefährlichen Umständen, wurden sie überwiegend von etwa 50 Syrern. CIJA-Experten hatten die Aktivisten instruiert, wie man das macht und worauf es ankommt: dass es nicht reicht, Fotos oder Videos von Verbrechen zu erhalten, sondern man die ganze Befehlskette, die dazu führte, abbilden muss, am besten in Form von offiziellen Schreiben auf Papier und so lückenlos wie möglich.

Begonnen hatte die Sammlung 2011, kurz nach Beginn der verstärkten Repression in Syrien. Schon 2015 konnte CIJA auf diese Weise ein fast 400 Seiten umfassendes Dossier mit Beweisen erstellen, um Assad und 24 weitere Funktionäre der Baath-Partei und des syrischen Sicherheitsapparats wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen.

Das Material hat bereits Prozesse ermöglicht

Aus den geheimen Akten ergeben sich detaillierte Erkenntnisse über die Funktionsweise des Regimes und dessen Versuch, jegliche oppositionelle Regung im Keim zu ersticken. Ben Taub, Journalist des US-Magazins «The New Yorker», der als Einziger Einblick bei CIJA erhalten hat, beschreibt das am Beispiel von Abdelmajid Barakat. Der 24-Jährige heuerte 2011 bei der Zentralen Krisenmanagementzelle (CCMC) des Regimes an mit Sitz beim Regionalkommando der Baath-Partei in Damaskus.

Dort liefen täglich Informationen zusammen über jegliche oppositionelle Regung im Land, sei es in Form von Protestveranstaltungen, Graffiti oder Einträgen in sozialen Medien. Der daraufhin erstellte Aktionsplan – an dem das Nationale Sicherheitsbüro mitarbeitete, in dem die Geheimdienste versammelt waren – ging jeweils zur Abzeichnung an Assad. Der Diktator war somit laut Barakat über alle Sicherheitsentscheidungen im Bilde, «egal wie geringfügig». Barakat beschloss bald darauf, Dokumente aus dem CCMC zu leaken. Später gelang ihm die Flucht in die Türkei, mit mehr als 1000 Seiten Dokumenten unter der Kleidung.

CIJA wurde 2011 vom Kanadier Bill Wiley gegründet, der für das Jugoslawien-Tribunal der UNO und andere Institutionen der internationalen Strafjustiz gearbeitet hatte. Er wusste, wie mühsam es sein kann, Beweise zu Kriegsverbrechen nach dem Sturz von Diktaturen zu sammeln, und beschloss daher, in Syrien schon ans Werk zu gehen, bevor es einen entsprechenden politischen Willen gab: Syrien erkennt den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) nicht an, und der Versuch der UNO, den IStGH mit der Untersuchung von Kriegsverbrechen vonseiten aller Beteiligten des Konflikts zu beauftragen, scheiterte 2014 am Veto Russlands und Chinas.

Two men use their flashlights to inspect a corridor of the infamous Saydnaya military prison, just north of Damascus, Syria, Monday, Dec. 9, 2024. Thousands of inmates were released after Bashar Assad's regime was overthrown on Sunday, and crowds of people entered the prison, known as the "human slaughterhouse," hoping to find relatives who had been held there. (AP Photo/Hussein Malla)

Es gebe viel zu tun, sagt Jelacic, neben weiterer Beweissicherung müsse auch das Schicksal von Verschwundenen aufgeklärt werden. «Gerechtigkeit bringt uns die Toten nicht zurück», sagt sie. «Aber die Menschen brauchen sie, sie liefert ihnen einen Puzzlestein, damit ihre Gesellschaft heilen und nach vorne blicken kann.»

Und Assad? Wie kann es Gerechtigkeit geben ohne eine Verurteilung des obersten Verbrechers? Jelacic erinnert an den früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Der habe auch lange Zeit unangreifbar gewirkt, «und plötzlich war er abgesetzt und auf dem Weg zum Tribunal in Den Haag». Assad werde nicht schon morgen in einem Gerichtssaal sitzen. «Aber der Tag wird kommen.»