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Pelati aus dem Familienbetrieb
Francesco Mutti und Italiens rote Diva

Produktion Mutti. Pressebild.
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Den Weg zu Francesco Mutti versperren Berta und Piero. Das störrische Paar schlendert durch zwei Reihen Nussbäume und blockiert am Ende der schattigen Allee das Gartentor. Typisch Esel eben.

Dann wackelt noch die Sau Eva neugierig aus einem Holzhäuschen hervor. Direkt an das Tiergehege grenzt die Konservenfabrik Mutti. Dort werden 6000 Tonnen Tomaten am Tag eingekocht. Zur besten Erntezeit läuft das Stammwerk des Marktführers in der Nähe von Parma rund um die Uhr und auf Hochtouren.

Auf der anderen Seite des Zauns steht Francesco Muttis Haus, eine Architektenvilla, die von einem weitläufigen Biopark umgeben ist. Mitten im Wohnzimmer wächst ein zehn Meter hoher Ficus aus dem Boden. Der Tomaten-König wohnt wie ein Fabrikherr des 19. Jahrhunderts direkt neben seinem Unternehmen. Die Hitze ist hier in der norditalienischen Tiefebene kaum zu ertragen. Nur wenige Kilometer weiter oben auf den Hügeln lebe es sich besser, sagt Mutti.

Sein modern gestyltes Haus wäre sicher auch mehr wert, wenn er es mit ein wenig Abstand zur Fabrik hätte bauen lassen. Aber eine Option war es nie für ihn. „Ich gehöre hierhin“, sagt Francesco Mutti.

Pressebild

Sein modern gestyltes Haus wäre sicher auch mehr wert, wenn er es mit ein wenig Abstand zur Fabrik hätte bauen lassen. Aber eine Option war es nie für ihn. «Ich gehöre hierhin», sagt Francesco Mutti.

Hier, das ist der Ort, an dem seit vier Generationen das Herz des Konservenherstellers F. Mutti schlägt. Wo sich vor 125 Jahren im alten Gutshaus mit der Gründung der Firma Gebrüder Mutti die Aktivität der Familie vom Tomatenanbau zur Verarbeitung der Sonnenfrucht verlagerte.

Und wo der Ururenkel Francesco Mutti 1994 mit 26 Jahren die Führung übernahm und das Geschäft mit der Dosentomate auf den Kopf stellte. Er mischte mit seiner Qualitätsstrategie eine archaische Branche auf.

2023 setzte Mutti mit fein zerstückelten, geschälten oder passierten Tomaten 665 Millionen Euro um. 18 Prozent mehr als im Vorjahr. «Ich bin 55 und habe den Grossteil meines Lebens mit diesem Projekt verbracht», sagt der Unternehmenschef.

Hier, das ist für den Firmenerben aber auch der Ort, an dem sich gerade alles verändert. Das Klima, die Herausforderungen, die Sorgen, die Arbeitsweise. Ausserdem wohne gleich nebenan seine Tochter Costanza, die mit ihrem Start-up Dreamfarm vegane Mozzarella herstellt und ihr Hausschwein Eva versorgt. «Sie ist mir weit voraus», sagt Mutti. Womit klar ist: Den Industriellen aus Montechiarugolo in der Po-Ebene treibt die Zukunft um. Und vor welche Proben sie ihn und sein Unternehmen stellen wird, schwant ihm seit langem.

Muttis Tag beginnt immer mit Yoga

Ein hervorstechender Charakterzug des Italieners scheint eine tiefe Unzufriedenheit zu sein. Das liegt daran, dass Mutti, kaum hat er ein Ziel erreicht, schon dem nächsten entgegeneilt. Ihr Chef sei besessen vom Streben nach Verbesserungen, sagen sie im Unternehmen. Mutti beginnt seinen Tag um sechs Uhr mit Yoga. «Wenn ich das nicht gleich nach dem Aufstehen mache, komme ich nicht mehr dazu», sagt er.

CEO of Italian chopped tomatoes or polpa company 'Mutti', Francesco Mutti poses during a photo session at the factory site near Parma, northern Italy, on September 11, 2019. The 'Mutti' company was founded 120 years ago. Last year, the group, which now employs more than 500 people to which are added 1,200 seasonal workers in summer, has recorded sales of 308 million euros, with an increase of 16.7 percent over a year. (Photo by Miguel MEDINA / AFP)

Dem Geschäft tut sein Tatendrang gut. Der Absatz der Marke hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Solch starkes Wachstum ist in der erdverbundenen Nahrungsmittelbranche eher selten. Der Anstieg war vor allem dem Export zu verdanken. Europas Marktführer macht inzwischen 53 Prozent seines Umsatzes im Ausland.

«La Mutti», wie die Italiener ihr Lieblingslabel nennen, ist auch jenseits der Grenzen zum Inbegriff der «roten Diva» der italienischen Esskultur geworden. Die Produktionsbänder laufen an diesen extrem heissen Tagen und Nächten nonstop. In 70 Tagen fährt Mutti sein gesamtes Jahresgeschäft ein. Um den 20. Juli geht es los, Ende September ist Schluss.

Freshly picked tomatoes are cleaned on an assembly line at the Italian chopped tomatoes or polpa company 'Mutti' near Parma, northern Italy, on September 11, 2019. The 'Mutti' company was founded 120 years ago. Last year, the group, which now employs more than 500 people to which are added 1,200 seasonal workers in summer, has recorded sales of 308 million euros, with an increase of 16.7 percent over a year. (Photo by Miguel MEDINA / AFP)

Im vergangenen Jahr wurden die Berge der sonnengereiften Tomaten in seinen drei Werken zu 350’000 Tonnen Tomatenkonserven verarbeitet. Während sich an den Stränden im ganzen Land die Urlauber drängen, stehen bei Mutti auf dem Hof um zehn Uhr morgens schon acht Lastwagen an der Annahmestation in der Schlange.

Sie werden im 15-Minuten-Takt eingecheckt. Passiert die Ladung die Qualitätskontrolle, landen die Früchte kurz darauf mit einem Wasserschwall in einem riesigen Pool unter freiem Himmel. Ein beeindruckender Anblick: Vom Beckenrand schaut man mitten im italienischen Flachland auf ein rotes Tomatenmeer. 600 Tonnen Pomodori schwimmen im Freibad unter der sengenden Sonne.

Durch das Einkochen werden Tomaten noch gesünder

Die Beeren sind das süsssaure Zentrum der mediterranen Küche. Botanisch sind Tomaten als Frucht des Nachtschattengewächses Solanum lycopersicum kein Gemüse. Ohne sie aber wären Klassiker wie Pasta und Pizza nicht zum Hit der italienischen Speisekarte geworden.

Das Einkochen erhöht die gesundheitliche Wirkung reifer Tomaten. Sie enthalten viel Lycopin, das der Frucht ihre rote Farbe und eine starke antioxidative Wirkung gibt. Das Erhitzen macht die Zellschutzmoleküle für den menschlichen Körper noch besser verfügbar.

Ein beeindruckender Anblick: Vom Beckenrand schaut man mitten im italienischen Flachland auf ein rotes Tomatenmeer. 600 Tonnen pomodori schwimmen im Freibad unter der sengenden Sonne. Willkommen am Nabel der Mutti-Welt.

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Station Nummer eins: die Annahme. Ein Greifarm nimmt Stichproben aus dem randvollen LKW. Im Kontrollturm kullern dann 15 Kilo Tomaten in ein flaches Stahlbecken. Optische Sensoren, die mit künstlicher Intelligenz auf das Erkennen verschiedener Defekte trainiert wurden, signalisieren unerwünschte Geschmacksverderber.

Mattia Bartolini (24) schaut nach oben auf den Computerbildschirm. Dort sind jetzt alle unreifen Tomaten im Becken mit einem blauen Kringel markiert. Der Chemiestudent aus Parma, einer der 1200 Saisonkräfte, die Mutti im Sommer in den drei Werken beschäftigt, sortiert die grünen Tomaten aus.

Als Nächstes zeigt ihm der Bildschirm angefaulte Tomaten an. Dann kommen die Früchte mit schwarzen Flecken dran, die für die Industrie der problematischste Makel sind. Am Ende bleiben sieben Kilo übrig. Die LKW-Fracht wird abgewiesen.

Tomaten und Parmigiano, ein perfekter Match

Die Prozedur gehört zum Kern der Mutti-Philosophie. Bei der Stichprobe wird die Qualität jeder Lieferung ermittelt. Die Premiummarke arbeitet mit 800 Vertragslandwirten zusammen. Drei Viertel von ihnen sind rund um Parma in der Region Emilia-Romagna ansässig.

Mutti verlangt von den Bauern hohe Qualitätsstandards und zahlt im Gegenzug einen Aufpreis von durchschnittlich 13 Prozent. 2024 gibt es 140 Euro pro Tonne. Ausserdem investiert die Firma noch zehn Millionen Euro in zusätzliche Qualitätsprämien.

Nur elf Kilometer vom Tomatenpool entfernt, in Torrechiara, wo der Parmaschinken erfunden wurde, sitzt Stefano Aschieri auf seiner Erntemaschine. Die Scheren schneiden die Kriechpflanzen direkt über dem Ackerboden ab. Im Bauch der Landmaschine werden die Tomaten von den langen Trieben getrennt und Erde, Steine und grüne Früchte entfernt.

A farmer controls the harvest of tomatoes with a machine in a plantation of Italian chopped tomatoes or polpa company 'Mutti' near Parma, northern Italy, on September 12, 2019. The 'Mutti' company was founded 120 years ago. Last year, the group, which now employs more than 500 people to which are added 1,200 seasonal workers in summer, has recorded sales of 308 million euros, with an increase of 16.7 percent over a year. (Photo by Miguel MEDINA / AFP)

Von einem Förderband plumpsen die Früchte direkt auf den roten Haufen im Lastwagen, der neben der 200’000 Euro teuren Erntemaschine über den Acker fährt. «Je sauberer die Lieferung ist, desto weniger Ausschuss fällt bei der Stichprobe an», sagt der Landwirt.

«Medizingras» heisst die Futterpflanze auf Italienisch, weil sie die Bodenstruktur verbessert, die Kohlenstoffspeicherung im Boden und die Stickstofffixierung aus der Luft erhöht. Tomaten und Parmigiano sind für die Bauern im italienischen Food Valley um Parma ein perfekter Match.

Produktion Mutti. Pressebild.

Doch die Zerstörung des Planeten macht auch der stolzen italienischen Tomatenindustrie zu schaffen. «Dass wir hier in Norditalien in drei Jahren zwei Wetterextreme erlebt haben, ist sehr bedenklich», sagt Mutti. 2022 gehörte in den vergangenen 100 Jahren zu den fünf trockensten. 2024 ist unter den fünf regenreichsten Jahren.

Muttis Vorbild und Hoffnung ist seine Tochter

So wie Mutti die Lieferkette auf Qualität getrimmt hat, so forcierte er auch die Nachhaltigkeit seiner Produktion. Als eines der ersten Unternehmen in der Branche hat es den Wasserfussabdruck seiner Produkte ermittelt. Eine digitale Smart-Farming-Plattform hilft den Landwirten, ihren Wasserkonsum und den Einsatz von Pestiziden zu drosseln.

Seit 2010 arbeitet Mutti mit den Umweltschützern vom WWF an der Reduzierung des Wasserverbrauchs seiner Fabriken. Die Bauern der Umgebung wässern mit dem gereinigten Abwasser ihre Felder.

Zufrieden ist er damit nicht. Überhaupt nicht, sagt er. «Was wir hier tun, ist viel, aber wir sind weit von dem entfernt, was wir alle zusammen tun müssten», sagt Francesco Mutti. «Der Kampf gegen die Erderwärmung ist heute nicht unsere vorrangige Denkweise.»

Er brachte im vergangenen Jahr die fleischlose Pasta-Sauce «Ragù alla Mutti» auf den Markt. In dem Sugo-Klassiker ersetzen gelbe Erbsen und vielerlei Gemüse das Rinderhack. Darauf wenigstens scheint Mutti stolz zu sein. Bei allem Erfolg ist der Tomaten-König ein selbstkritischer Pessimist geblieben.