Trockenheit in SüdeuropaDie Wüste auf Sizilien schreitet fort
Einst war sie die Kornkammer Italiens, heute verdorrt das Getreide auf der Insel, Tiere und Menschen leiden unter ständiger Wasserknappheit – doch es gibt auch Profiteure.
Das staubtrockene Feld, auf dem Michele Cancemi kapitulierte, ist bis zum Horizont von einer strohgelben Steppe umgeben. Hier habe er sonst Sommergemüse angebaut, sagt der Landwirt. Statt auf die grünen Blätter von Tomaten, Auberginen und Peperoni zeigt er auf sonnenverbrannte Erde.
«In diesem Jahr habe ich die Bepflanzung gleich sein lassen, weil es kein Wasser mehr gibt», sagt der Sizilianer. Er bewirtschaftet in der Mitte der Insel bei Caltanissetta 150 Hektaren.
Das Linsenfeld auf dem Hügel gegenüber war schon vor der Blüte im Frühjahr vertrocknet. Am härtesten trifft Cancemi, der auf die Herstellung von Weizensaatgut spezialisiert ist, der Ernteausfall beim Getreide. «Wir werden im kommenden Jahr kein Saatgut zum Verkauf haben», sagt er.
Sizilien, traditionell die Kornkammer Italiens, kämpft 2024 gegen das Vorrücken der Wüste. Die Bilder von der Wasserkrise auf der grössten Insel im Mittelmeer erinnern an eine biblische Heimsuchung. Der Farbe Grün begegnet man in der sizilianischen Landschaft nur noch selten. Das Gold des Weizens ist dem stumpfen Gelb der Stoppeln gewichen. Auf den Plantagen sterben die Zitrusbäume. Die Weinlese begann so früh wie noch nie. Viehhalter zwingt der Wassermangel zu Notschlachtungen.
«Die sizilianische Landwirtschaft verschwindet», sagt Licia Guccione vom Bauernverband Confagricoltura. Mit der Agrarbranche fällt in diesem Jahr die neben dem Tourismus wichtigste ökonomische Aktivität auf der Insel weitgehend aus.
Eine Ausnahme machen die Winzer. Ihre Reben werden sogar mit der Dürre fertig. «Verglichen mit anderen Kulturen ist der Wasserbedarf im Weinanbau sehr gering», sagt Antonio Rallo, Chef der Kellerei Donnafugata. Wegen des heissen und trockenen Klimas zog er den Auftakt zur Traubenlese um zehn Tage vor.
Seit dem 22. Juli werden auf dem Weingut in Contessa Entellina nun Chardonnay und Pinot nero für die Herstellung von Schaumweinen geerntet. Für den Jahrgang 2024 erwartet er einen leichten Rückgang der Produktion, aber sehr gesunde und qualitativ hochwertige Trauben. «Unsere Reben haben über die Jahrhunderte eine ausserordentliche Widerstandsfähigkeit entwickelt», sagt Rallo.
Auf Versuchsfeldern in Contessa Entellina und auf der Vulkaninsel Pantelleria experimentieren seine Agronomen mit 60 Biotypen von 20 sizilianischen Rebsorten, um ihre Anpassungsfähigkeit im Klimawandel zu verbessern. Generell gilt: Für die sehr erfolgreiche Winzergeneration auf Sizilien zahlen sich die Investitionen in die Anlage von Wasservorräten in künstlichen Teichen und in smarte Bewässerungssysteme, die von Sensoren und künstlicher Intelligenz gesteuert werden, aus.
Ansonsten gleicht die Insel aber einer Dystopie. Einige Fotos sind zum Symbol für Siziliens grossen Durst geworden. Sie zeigen Schafe, die auf ausgetrocknetem, rissigem Boden weiden, oder Ziegen, die aus einer schlammigen Pfütze trinken.
Auch die Menschen kämpfen um jeden Tropfen. Viele holen sich ihr Wasser an öffentlichen Brunnen. Zwischendurch sind die Bevölkerung und die Landwirtschaft, die Gastronomie und der Tourismus auf Tankwagen angewiesen.
Die Vorstellung, dass aus dem Hahn beim Öffnen fliessendes Wasser strömt, mutet in weiten Teilen der Insel exotisch an. In manchen Orten kann es 40 Tage dauern, bis die Vorratsbehälter aufgefüllt werden können. Der Preis für eine 8000-Liter-Ladung ist von 50 auf 160 Euro gestiegen. Der Schwarzmarkt für Lieferungen aus zweifelhafter Quelle floriert. In der Not häufen sich Wasserdiebstähle. Es tobt ein Kampf aller gegen alle.
Dabei plagt die Wasserknappheit Sizilien seit Jahrzehnten. Sie ist die Folge von politischer Untätigkeit, von Verschwendung und Klientelismus, von fehlenden Infrastrukturen und einem leckenden Leitungsnetz, in dem mehr als die Hälfte des Wassers versickert. Stauseen sind mit Geröll und Schlamm verstopft, die drei grossen Entsalzungsanlagen zur Aufbereitung von Meerwasser seit Jahren ausser Betrieb.
Zur Katastrophe führte in diesem Jahr eine verheerende Kombination: Zur chronischen Ineffizienz kamen die sich im Mittelmeer besonders rasant beschleunigenden Klimaveränderungen. In vielen Gegenden Siziliens hat es seit dem vergangenen November nicht geregnet.
Der Fanaco-See, der etwa die Stadt Agrigent mit Wasser versorgt, zeigt einen extrem niedrigen Wasserstand. Der Pergusa-See, der einzige natürliche See Siziliens, trocknete aus.
Ganz Süditalien ist von Trockenheit bedroht
An seinen Ufern spielen antike Mythen. Der römische Dichter Ovid besang den Pergusa-See vor 2000 Jahren: «Hier lacht die Erde des ewigen Frühlings». Nun teilt er das Schicksal vieler sizilianischer Seen, von denen nur braune Pfützen zurückblieben. Das Verschwinden des Zufluchtsorts für Zugvögel auf ihrem Weg zwischen Europa und Afrika wurde am 26. Juni amtlich registriert. Der Fluss Simeto aus der Gebirgskette Le Madonie mündet nicht mehr im Golf von Catania. Er versiegte auf seinem Weg zum Meer.
Unter extremem Wassermangel leiden in diesem Jahr auch andere Regionen in Süditalien. Vom Festland blickt man bange auf die Insel: Zeigt die sizilianische Dürre, was bald grossen Teilen des Landes bevorsteht?
In Ribera zum Beispiel, an der sizilianischen Südwestküste zwischen den Ruinen des antiken Selinunt und dem Tal der Tempel in Agrigent, gehen die Zitrushaine zugrunde. Die Bedeutung der archäologischen Fundstätten zeugt von der einstigen Fruchtbarkeit der Gegend. Der Orangenbauer Pino Di Lucia bekam Anfang Juli einmalig Wasser für seine Bäume zugeteilt. Danach nichts mehr.
«Nachts träume ich vom Regen», sagt er. Seine Ernte, die eigentlich im November beginnt, ist verloren. «Es geht jetzt darum, die Bäume am Leben zu halten», sagt er. Wie ein moderner Sisyphus karrt Di Lucia Wasser aus einem Teich auf einem anderen seiner Grundstücke heran. Er schaffe es, jedem Baum alle zweieinhalb Wochen 70 Liter zu geben. Das Zehnfache wäre nötig. Die Früchte sind verkümmert, die Blätter aber noch grün. Di Lucias Nachbarn haben längst aufgegeben.
Ribera wird von drei Flüssen umgeben, von denen nur noch einer Süsswasser führt. Er heisst Verdura, wie das nahe gelegene 5-Stern-Resort der Luxuskette Rocco Forte Hotels, wo sich in der vergangenen Woche die internationalen Stars der Techkonzerne mit der Prominenz aus Wirtschaft, Mode und Pop beim jährlichen Google Camp getroffen haben. Der Tourismus bringt im Jahr sechs Milliarden Euro nach Sizilien. Klar, dass grosse Ferienanlagen im Wettstreit um das kostbare Wasser am längeren Hebel sitzen.
Die Familie von Pino Di Lucia ist seit Generationen in der Landwirtschaft tätig. Der 43-Jährige hat ein Flugblatt aus dem April 1989 hervorgekramt, das zur Teilnahme an einer Bauerndemonstration gegen den Wassermangel aufruft. 35 Jahre seien vergangen, ohne dass sich etwas geändert habe, sagte er der Turiner Tageszeitung «La Stampa».
Wäre Sizilien eine Region mit Rückgrat, hätte man schon längst eine Revolution gehabt, sagt er. Aber Sizilien sei die Insel der Gefälligkeiten, nicht der Rechte. «Die Politik lebt von unserer Not und hat deshalb kein Interesse daran, Probleme zu lösen», sagt er.
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