Extremwetter und PsycheKlimakummer und Klimaangst – was der Klimawandel mit uns macht
Fast alle Folgen der Erderwärmung wirken sich auch auf die Psyche aus. Klimaangst ist nur die verbreitetste Erscheinung zahlreicher Syndrome.
Verheerende Starkniederschläge mit Hochwassern und Murgängen, wie sie diesen Sommer in der Schweiz mindestens zehn Menschenleben forderten, Hunderte Millionen Franken an Schäden verursachten und den Transitverkehr ausbremsten, lassen die wenigsten Menschen ungerührt. Vor allem, wer eine derartige Naturkatastrophe hautnah miterlebt hat, weist ein deutlich erhöhtes Risiko für eine psychische Erkrankung auf.
So zeigen Studien, dass die Häufigkeit posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) nach zerstörerischem Extremwetter und Waldbränden massiv ansteigt. Beispielsweise litten noch ein Jahr nach einer Flutkatastrophe in England rund 36 Prozent der Bevölkerung in der betroffenen Region unter PTBS. Nachdem Hurrikan Katrina 2005 New Orleans heimgesucht hatte, wies ebenfalls rund jede dritte in der Stadt lebende Person eine PTBS auf.
Auch Hitze schlägt aufs Gemüt, was jeder und jede wohl aus eigener Erfahrung kennt. So verstärkt Hitze unmittelbar das Stresserleben, was sich unter anderem in zunehmender häuslicher Gewalt und einem erhöhten Suizidrisiko niederschlägt. Bei extremer Hitze sinken Produktivität, Konzentration und Schlafqualität.
«Es ist inzwischen gut belegt, dass sich der Klimawandel negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt, zum Beispiel über die Zunahme von Extremereignissen wie Starkniederschlägen, Überschwemmungen und Hitzewellen», sagt Sebastian Karl, der am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim den Zusammenhang von Klimawandel und psychischer Gesundheit erforscht und aktuell dazu ein Buch verfasst.
Je wärmer es ist, desto häufiger treten psychische Erkrankungen auf
Eine grosse Übersichtsstudie hat gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten psychischer Erkrankungen pro Grad Temperaturanstieg um 0,9 Prozent ansteigt, das Suizidrisiko sogar um 2,2 Prozent. Das mag zunächst nach wenig klingen. Es bedeutet aber: Wenn es morgen fünf Grad wärmer ist als heute, treten hitzebedingte psychische Erkrankungen 4,5 Prozent und Suizide um mehr als 10 Prozent häufiger auf.
Die Übersichtsstudie zeigt auch: In einer mindestens dreitägigen Hitzewelle ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer psychischen Erkrankung gegenüber durchschnittlichen Temperaturen um 6,4 Prozent erhöht. Besonders hoch ist das Sterberisiko im Rahmen von Hitzewellen laut Karl für Menschen, die bereits psychisch vorbelastet sind. «Deren Sterblichkeit ist in Hitzewellen dreieinhalbfach höher als in der allgemeinen Bevölkerung.» Das hat laut Karl unter anderem damit zu tun, dass es Menschen mit einer schweren Depression oder mit Schizophrenie in manchen Situationen einfach nicht mehr schaffen, Empfehlungen zum Schutz vor Hitze umzusetzen. Aber auch gewisse Medikamente gegen Schizophrenien hätten einen Einfluss auf die Fähigkeit des Körpers, mit Hitze umzugehen.
Als verbreitetste Erscheinung klimapsychischer Symptome gilt die sogenannte Klimaangst. Sie ist definiert als Angst, die mit der bewussten Wahrnehmung des Klimawandels und dessen negativen Folgen einhergeht. Das Besondere an diesem Angstphänomen ist, dass es sich auf die Zukunft bezieht: Mit dem Klimawandel kommt etwas Schlimmes auf die Menschheit zu.
Klimaangst ist eine angemessene Reaktion
Die Klimaangst ist nicht unbedingt krankhaft. Vielmehr ist Angst eine angemessene emotionale Reaktion bei jeder Art von Risiko, Gefahr oder Bedrohung. «Je besser jemand über den Klimawandel Bescheid weiss, desto eher wird einem klar, wie real die Gefahren tatsächlich sind, auch wenn sie teils nicht unmittelbar bevorstehen», sagt Karl. Das könne einem zu Recht Angst einflössen.
«Bei Umfragen unter jüngeren Menschen geben regelmässig etwa zwei von drei Befragten an, an Ängsten aufgrund des Klimawandels zu leiden», schreibt Michael Schonnebeck, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im Buch «Gesundheitsrisiko Klimawandel». Aber erst wenn die Furchtreaktionen übertrieben, unbegründet oder irrational werden, sollte die Diagnose einer Angststörung erwogen werden, schreibt Schonnebeck weiter. Angesichts der Grösse der Klimakrise könne Klimaangst durchaus ein ausgeprägtes psychisches Leiden hervorrufen.
Während Angst die angemessene Regung im Vorfeld einer bedrohlichen Situation ist, tritt nach einem verheerenden Ereignis Traurigkeit oder Kummer auf. «In Befragungen hat Klimakummer fast eine ähnliche Verbreitung wie Klimaangst», schreibt Schonnebeck. Von einer Klimadepression werde aber erst gesprochen, wenn der Klimakummer sehr ausgeprägt sei und die Kriterien einer allgemeinen Depression erfüllt seien.
Wut und Zorn als Nährboden für Klimaaktivismus
Auch indirekte Folgen des Klimawandels können eine psychische Belastung darstellen, wie Karl sagt, zum Beispiel Nahrungsmittelknappheit, ökonomische Krisen, gewaltvolle Konflikte und unfreiwillige Migration. «Aus der Psychiatrie ist ganz unabhängig vom Klimawandel bekannt, dass Flucht und Migration ein Risikofaktor für eine Vielzahl an psychischen Erkrankungen sind, zum Beispiel auch für Schizophrenien.»
Zu den indirekten Folgen der Erderwärmung gehören auch Ärger, Wut und Zorn – etwa als Reaktion auf eine Politik, die sich nicht ernsthaft um Klimaschutz bemüht. Wie Schonnebeck schreibt, muss der Klimaärger nicht unbedingt negativ sein, vielmehr könne er eine «gesundheitsprotektive Wirkung entfalten». Am häufigsten finde sich Klimaärger im Zusammenhang mit der Gerechtigkeitsdebatte, schreibt Schonnebeck. Menschen, die sensibel auf Unrecht reagierten, «neigen häufiger zu ärgerlich-aufbegehrenden Regungen». Im Klimaärger liegt also ein Nährboden für Klimaaktivismus.
Ganz anders bei der Klimaangst: «Interessanterweise gibt es keine klaren Korrelationen zwischen Klimaangst und persönlichem Umweltengagement», schreibt Schonnebeck. «Ein wesentlicher Einflussfaktor ist hingegen eine hoffnungsvolle Ausrichtung, die den Unterschied zwischen Lähmung und ängstlicher Flucht einerseits und Engagement und Kampf andererseits ausmacht.»
Beim Umgang mit Klimakummer ist es gemäss Schonnebeck sinnvoll, sich mit Trauerbewältigung zu beschäftigen, etwa mit der Akzeptanz des Verlusts, mit Schmerzverarbeitung und mit einer gedanklichen Neuausrichtung.
Aktiv werden für den Klimaschutz
Laut Karl ist es zur Bewältigung einer klimapsychischen Belastung empfehlenswert, sich mit anderen Betroffenen zusammenzutun und sich auszutauschen. «Das dient zum einen dazu, die eigenen Gefühle besser einordnen zu können, also zu merken, dass man nicht die einzige Person ist, der es so geht», sagt Karl. «Auf der anderen Seite ist es sinnvoll, für den Klimaschutz aktiv zu werden. Denn das steigert das positive Gefühl der Selbstwirksamkeit.» Das müsse nicht unbedingt Klimaaktivismus bedeuten. «Auch wer sich entscheidet, aufs Fliegen zu verzichten oder sich vegan zu ernähren, trägt aktiv zum Klimaschutz bei.» Karl selbst engagiert sich als Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen als Gemeinderat in Stuttgart.
Ein weiteres Mittel gegen depressive Verstimmung ist sportliche Aktivität im Alltag. «Wer mit dem Velo anstatt dem Auto zur Arbeit fährt, hilft nicht nur seiner psychischen Gesundheit, sondern schützt auch noch aktiv das Klima», sagt Karl.
In manchen Fällen sei aber auch eine professionelle Therapie angesagt. Karl nennt das Beispiel eines psychisch vorbelasteten Patienten, der während Hitzewellen sehr viel getrunken hat. Das hat sein Medikament so stark ausgeschwemmt, dass es seine Wirkung verloren hat. «Hier war es wichtig, den Patienten eng zu betreuen, um die Dosierung vorübergehend anzupassen.» Bei einem anderen Patienten waren die Sorgen und Ängste angesichts des Klimawandels so gross, dass er depressiv wurde und sich in psychotherapeutische Betreuung begeben hat.
Und schliesslich müssten sich laut Karl auch Psychiaterinnen und Psychologen verstärkt mit den psychischen Folgen des Klimawandels befassen. «Wenn bekannt ist, dass Hitzewellen das Risiko von Suiziden und das Aggressionspotenzial erhöhen, dann müssen die Fachpersonen in einer Hitzewelle besondere Schutzkonzepte aufstellen», sagt Karl. «Und wenn bekannt ist, dass in der Schweiz extreme Wetterereignisse zunehmen, dann müssen Strukturen geschaffen werden, damit man in betroffenen Gebieten schnell die Behandlungskapazität hochfahren kann. So lässt sich verhindern, dass es aufgrund extremer Ereignisse zu langfristigen, chronischen psychischen Erkrankungen kommt.»
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