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Queere Tiere
Weibliche Schafe überlisten schwule Schafböcke: Über die sexuelle Vielfalt in der Natur

Ein neugieriges Schaf steht auf einer grünen Wiese und schaut in die Kamera; im Hintergrund sind Bäume zu sehen.
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In Kürze:
  • Der Biologe Josh Davis beschreibt queere Verhaltens­weisen bei zahlreichen Tierarten.
  • Bei Schafen zeigen acht Prozent der Böcke ausschliesslich homosexuelles Verhalten.
  • Schwule Schwäne ziehen ihre Küken erfolgreicher auf als heterosexuelle Paare.
  • Über neunzig Prozent aller Sexualkontakte bei Giraffen finden zwischen Bullen statt.

In den USA soll die Vielfalt der Geschlechter gerade per Dekret eingeschränkt werden – zumindest bei Menschen. Demnach soll es künftig nur noch «Männer» und «Frauen» geben. Das ist im Vergleich zum Tierreich geradezu langweilig.

Vermutlich zeigten nämlich die meisten Tierarten queere Verhaltensweisen in irgendeiner Form, ist Josh Davis überzeugt, der als Biologe am Natural History Museum in London arbeitet. Queer steht für sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind, oder generell für die Vielfalt der Geschlechter.

Arten, bei denen sich ausschliesslich Männchen und Weibchen paaren, seien eher die Ausnahme, kommt Davis zum Schluss. Diese These belegt der Autor mit verblüffenden Beispielen auf unterhaltsame Weise in seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch «Queer».

Am längsten bekannt sei die Homosexualität bei Schafen, schreibt Davis. Immerhin leben die Tiere schon seit 10’000 Jahren mit Menschen zusammen. Da für den Bestand der Herden die Nachkommen entscheidend sind, haben Viehzüchter von jeher das Sexualleben ihrer Nutztiere beobachtet. Dabei fiel auf, dass manche Schafböcke keinerlei Interesse an Weibchen haben. «Die einfache Erklärung ist, dass diese Böcke ganz einfach queer sind», so Davis. Rund acht Prozent aller Schafböcke bespringen keine Mutterschafe – nicht einmal, wenn diese empfängnisbereit sind, was die Männchen am Geruch des Urins erkennen.

Die «queeren» Männchen zeigen ausschliesslich sexuelles Interesse an anderen Böcken. «Das spricht dafür, dass Schafe abgesehen vom Menschen die ersten Tiere sein könnten, bei denen eindeutig homosexuelle Individuen identifiziert wurden», schreibt Davis.

Homosexuelles Verhalten bei Fliegen bis Braunbären

Dieses Verhalten ist aber offenbar keine Folge der Domestizierung. Bei den wilden Verwandten, den Dickhornschafen in Nordamerika, gibt es Herden, die als «homosexuelle Gemeinschaften» auftreten. Dabei umwerben in der Regel ältere Widder die jüngeren Männchen. Sie reiben die Hörner am Körper des Partners, schnuppern am Urin mit hochgezogener Oberlippe, dem sogenannten Flehmen, und reiten dann auf. Dieses Verhalten sei unter den Dickhornschafen so weit verbreitet, dass Weibchen manchmal Schwierigkeiten hätten, die Aufmerksamkeit der Böcke zu erlangen, schreibt Davis. Die Lösung ist so bemerkenswert wie clever: So ist beobachtet worden, dass empfängnisbereite Weibchen das Verhalten junger Männchen nachahmten, sodass die getäuschten Böcke sich tatsächlich mit ihnen paarten.

Fachleute nehmen an, dass mindestens 1500 Tierarten homosexuelles Verhalten zeigen, was Davis für eine «massive Unterschätzung» hält. Schliesslich seien Beobachtungen aus allen möglichen Tiergruppen belegt, darunter Spinnen, Schnecken, Fliegen, Würmer, Kalmare, Schildkröten oder Braunbären.

Zwei Adeliepinguine stehen auf einer schneebedeckten Fläche mit verschwommenem Eiswasser im Hintergrund.

Von Adeliepinguinen ist homosexuelles Verhalten seit über hundert Jahren bekannt. Zur Mannschaft der legendären Antarktisexpedition von 1910 bis 1913 unter Leitung des Briten Robert Falcon Scott gehörte auch der Schiffsarzt George Murray Levick. Während Scott sich ein Wettrennen mit seinem norwegischen Rivalen Roald Amundsen lieferte, wer zuerst den Südpol erreichen würde, erforschte Levick die grösste Pinguinkolonie der Welt am Kap Adare. Heute leben auf der Landzunge, die eine Grenze zwischen dem Ross-Meer und der Somow-See bildet, etwa 330’000 der Frackträger.

Die Aufzeichnungen des Schiffsarztes zeigen, wie verstört der Forscher gewesen sein muss, als er die Beobachtungen festhielt, wie Pinguinmännchen tote Weibchen begatteten, Kopulationen erzwangen oder sich Pinguin-Hähne wechselseitig bestiegen. Das Verhalten der Vögel erfüllte ihn offenbar mit so viel Scham, dass er Teile der Notizen statt in Englisch verschlüsselt in Griechisch aufschrieb. In seinem Buch über die Naturgeschichte des Adeliepinguins, das 1915 erschien, wurde die Passage über das Sexualverhalten der «Hooligan-Vögel» gestrichen. Nur in Privatdrucken für Fachleute wurden die Sexualpraktiken der Adeliepinguine beschrieben mit dem Vermerk «Nicht zur Veröffentlichung bestimmt».

Bekannt ist, dass auch andere Vögel homosexuelles Verhalten zeigen und dabei auch Küken grossziehen – oft sogar erfolgreicher als heterosexuelle Paare. Bei den schwarzen Trauerschwänen tun sich zu 20 Prozent zwei Männchen zusammen. Dabei paart sich einer der beiden mit einem Weibchen und übernimmt dann das Nest mit seinem Partner, oder ein männliches Paar vertreibt ein heterosexuelles vom Nest und kümmert sich um dessen Küken.

Dabei ziehen 80 Prozent der männlichen Paare erfolgreich Küken gross, während das nur 30 Prozent der gemischtgeschlechtlichen Paare gelingt. Der Erfolg der Männchen könnte daran liegen, dass sie ein grösseres Territorium nutzen können, schreibt Davis.

Möwennester mit bis zu sieben Eiern

Bei Möwen sind hingegen weibliche Paare besonders erfolgreich, weil ihr Gelege statt der üblichen zwei bis drei Eier auch gerne mal sechs bis sieben Eier umfassen kann. Das haben in den 1970er-Jahren Ornithologen entdeckt, die eine Kolonie von Westmöwen auf Santa Barbara beobachteten, einer Insel vor der Südküste Kaliforniens. Von den 1200 untersuchten Brutpaaren waren 14 Prozent gleichgeschlechtlich. Die Studie, die 1977 veröffentlicht wurde, bot politischen Sprengstoff, weil damals Lesben und Schwule in den USA begannen, ihre Rechte einzufordern. Dass es queeres Verhalten auch im Tierreich gibt, war zu der Zeit der Öffentlichkeit kaum bekannt. Die Annahmen, Homosexualität sei «unnatürlich» oder «gegen Gottes Willen», wurden durch die erfolgreich brütenden lesbischen Möwen als Vorurteile entlarvt.

Zwei Giraffen im Serengeti-Nationalpark auf einer grasbewachsenen Ebene.

Dass queeres Verhalten in der Natur weder eine Kuriosität noch ein seltenes Phänomen ist, zeigten Studien von Anne Innis Dagg. Die Kanadierin veröffentlichte bereits in den 1950er-Jahren, dass Homosexualität auch bei Säugetieren vorkommt – und zwar nicht als Ausnahme, sondern als Mainstream. Die Zoologin erforschte Giraffen in Südafrika, im heutigen Tansania und Kenia. Sie verblüffte mit ihren Beobachtungen, wonach in einigen Giraffenpopulationen mehr als 94 Prozent aller Sexualkontakte zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern stattfinden – in der Regel zwischen zwei Männchen. Die Bullen schlingen dabei ihre Hälse umeinander und besteigen sich.

Die Palette der sexuellen Vielfalt ist aber weit grösser als nur gleichgeschlechtliches Verhalten, wie Davis anschaulich ausführt. So können die Weibchen des Komodowarans, einer bis zu drei Meter langen Echse, auch mal ohne männliche Befruchtung Eier legen, die sich zu Nachkommen entwickeln, durch Parthenogenese, Jungfernzeugung. Der Killifisch hingegen ist als Zwitter unabhängig und kann sich selbst befruchten, da er Ei- und Samenzellen entwickelt. Und die meisten Arten der Papageienfische wechseln «nonchalant» ihr Geschlecht, wie Davis schreibt. Meist werden Weibchen zu Männchen, wenn sie eine bestimmte Grösse erreicht haben.

Schmetterling mit strahlend blauen Flügeln und braunen Rändern.

Am verrücktesten sind jedoch seltene Ausnahmen, die bei unterschiedlichen Tierarten vorkommen können: bei Hummern, Spinnen, Bienen, Eidechsen – gut sichtbar bei Schmetterlingen und sogar Säugetieren. Diese besonderen Individuen sind keine Zwitter mit weiblichen und männlichen Geschlechtszellen, sondern sogenannte Gynader mit weiblichen und männlichen Körperzellen. So gibt es bei etwa einem von 10’000 Schmetterlingen ein Tier, dessen eine Körperhälfte aus männlichen und die andere aus weiblichen Zellen besteht, deutlich sichtbar an der unterschiedlichen Färbung.

Die Natur lässt sich nicht per Dekret ändern – ein Glück.