Aussergewöhnliche PhänomeneRekord-Wetter sorgt für Schnee bis in die Täler – wie es jetzt weitergeht
Neuschnee bei Temperaturen im Plus und eine Schneefallgrenze, die 1500 Meter tiefer lag als normalerweise: Warum wir gerade verrücktes Osterwetter erleben.

- Im Piemont fielen seit Dienstagabend über 400 Liter Regen pro Quadratmeter.
- In Visp wurden 30 Zentimeter Neuschnee gemessen – wegen des Phänomens der Niederschlagsabkühlung.
- Zwischen Ostersonntag und Ostermontag droht vor allem im Tessin eine neue Niederschlagsperiode.
Ein Unwettertief hat am Mittwoch und Donnerstag in Nordwestitalien und der angrenzenden Schweiz für enorme Niederschlagsmengen gesorgt. Wie aktuelle Daten von Meteo Schweiz und des italienischen Wetterdienstes meteo.it zeigen, wurden die erwarteten Regensummen gebietsweise sogar übertroffen. Das gilt vor allem für das Piemont: Dort regnete es seit Dienstagabend über 400 Liter pro Quadratmeter. Das entspricht einem Mehrfachen dessen, was in dieser Region sonst im ganzen Monat April zu erwarten ist.
Intensiv geregnet hat es auch im Wallis und im Tessin. Im Simplongebiet fielen innerhalb der letzten 48 Stunden mehr als 200 Liter Regen pro Quadratmeter. Die Walliser Regierung hat wegen des Unwetters die besondere Lage ausgerufen, Touristen werden gebeten, ihre allfällig geplante Anreise zu verschieben.

Aussergewöhnlich war in den letzten Stunden im Wallis und im Berner Oberland nicht nur der Regen, sondern auch der Schnee – und die Höhe der Schneefallgrenze. Diese sank im Verlauf des Mittwochabends verbreitet bis in die Tallagen.
Gemäss Regula Keller, Meteorologin bei Meteo Schweiz, wurden am Donnerstagmorgen in Visp auf etwa 650 Meter über Meer 30 Zentimeter Neuschnee gemessen. Aber auch weiter unten im Rhonetal bildete sich eine kompakte Schneedecke aus. Sogar noch im auf 500 Meter gelegenen Saillon (zwischen Martigny und Sion) mussten die Schneepflüge ausrücken. Auch im Berner Oberland, zum Beispiel in Interlaken und Meiringen, schneite es bis in tiefe Lagen.
Schneefallgrenze lag viel höher – theoretisch
Anwohner und Einsatzkräfte zeigten sich vom Ausmass des Wintereinbruchs überrascht. Tatsächlich hatten die Meteorologen in ihren Prognosen darauf hingewiesen, dass die Schneefallgrenze bei dieser Unwetterlage enormen Schwankungen ausgesetzt sein würde. Alex Giordano von Meteo Schweiz hatte das Schneechaos im Oberwallis und im Berner Oberland am Dienstag sogar sehr präzise vorhergesagt.
Das Ereignis ist insofern speziell, als die Schneefallgrenze bei dieser Wetterlage basierend auf dem Temperaturzustand der Atmosphäre eigentlich im Bereich von 1200 (im Berner Oberland) bis knapp über 2000 Meter (im Wallis) hätte liegen sollen. Eine meteorologische Faustregel besagt, dass die Schneefallgrenze zu dieser Jahreszeit bis ins Flachland sinkt, wenn die Temperatur in der freien Atmosphäre (auf etwa 1500 Metern) klar unter minus 5 Grad absinkt.
Das war aber in den letzten Stunden im Alpenraum nicht der Fall: Im Berner Oberland wurde in dieser Höhenlage etwa null Grad gemessen, im Wallis lag die Temperatur auf 1500 Metern sogar im leichten Plusbereich.
Niederschlagsabkühlung in den Alpentälern
Der Grund dafür, dass es trotzdem bis in die Täler schneite, war ein Phänomen, das eng an die Topografie und das Mikroklima in den Alpen gekoppelt ist: die sogenannte Niederschlagsabkühlung. Dabei fallen Schneeflocken in wärmere Luftschichten – und schmelzen. Dieser Schmelzprozess verbraucht Energie und entzieht der Umgebungsluft Wärme. Die Luftsäule kühlt also sozusagen von oben nach unten ab.
Je stärker der Niederschlag, desto grösser wird der Effekt und desto tiefer fällt die Schneefallgrenze. Damit es dazu kommen kann, braucht es allerdings hohe Niederschlagsintensitäten und möglichst windstille Verhältnisse – beides war in den vergangenen Stunden im Wallis und im Berner Oberland der Fall.

Weil das Luftvolumen zwischen den Bergen kleiner ist, kommen solche Effekte in den engen Alpentälern besonders häufig vor. Bei intensiven Niederschlägen von längerer Dauer kann die Schneefallgrenze mehrere Hundert Meter absinken, im Extremfall sogar mehr als 1000 Meter.
«Diesen Effekt haben wir in den vergangenen Stunden in rekordverdächtiger Weise vorgeführt bekommen», sagt Meteorologin Regula Keller. Sie geht davon aus, dass die Schneefallgrenze speziell im Wallis gut und gerne 1500 Meter tiefer lag, als sie es gemäss den gängigen meteorologischen Modelldaten hätte sein dürfen.
Der nasse Neuschnee sorgte zwar verbreitet für Probleme durch Schneebruch und Lawinengefahr. Allerdings hatte das Absinken der Schneefallgrenze auch etwas Gutes: Dadurch wurde ein grosser Teil der Niederschläge gebunden. Das verhinderte ein allzu rasches Anschwellen von Bächen und Flüssen im Einzugsgebiet des Unwetters.
Das Phänomen der Niederschlagsabkühlung hat deshalb wohl vor allem im Wallis schlimmeres Übel verhindert. Ganz anders sieht es auf der Südseite der Alpen im Piemont aus, wo die Schneefallgrenze durchwegs oberhalb von etwa 2000 Metern lag: Dort steigen die Pegelstände von Bächen und Flüssen zur Stunde bedrohlich an und es kam bereits zu Überschwemmungen und Murgängen.
Wie geht es weiter in den nächsten Tagen?
Grund zur Entwarnung besteht in den Unwettergebieten noch nicht. Bis am späteren Donnerstagabend wird es weitere, teils kräftige Niederschläge geben. Zum Karfreitag hin verlagert sich das Tiefdruckgebiet dann unter deutlicher Abschwächung über die Alpen nordwärts. Allmählich setzt dann auch in der bisher trocken gebliebenen Nordostschweiz Regen ein. Auf der Alpensüdseite trocknet es ab.
Zwischen Ostersonntag und Ostermontag deutet sich dann mit dem Herannahen eines weiteren Mittelmeertiefs eine neue Staulage auf der Alpensüdseite an. Wegen der eher südwestlichen Höhenströmung wird aber eher das Tessin und nicht mehr das Wallis betroffen sein. Die Niederschlagsmengen werden insgesamt geringer sein.
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