Sizilien und LipariItaliens charmanteste Inseln
Vulkane schufen hier Landschaften, die man bis ans Ende aller Tage bestaunen möchte. Ein kulinarischer Streifzug mit phänomenalen Aussichten.
Liebende treffen sich nicht zufällig, sie gehören einander von Anfang an. Das dachte ich, als ich zum ersten Mal nach Taormina kam und mich unsterblich in diese Stadt verliebte.
Seit Jahrhunderten lockt der Ort auf Sizilien, der oberhalb des Ionischen Meeres auf einer schwindelerregenden Anhöhe thront, Berühmtheiten aus aller Welt an.
Richard Strauss, Greta Garbo und Marlene Dietrich waren hier, auch Kaiserin Sisi schaute im mondänen Städtchen vorbei. Der englische Schriftsteller D. H. Lawrence blieb in den 1920er-Jahren sogar zwei Jahre in Taormina, «im Zipfel des Paradieses».
Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Informationen finden Sie hier.
Als meine Reisebegleiterinnen Erminia Corso, 52, sowie Fotografin Désirée Good, 41, und ich das Stadttor Porta Messina hinter uns lassen, empfängt uns ein mittelalterliches Gassengewirr, erfüllt von feinen Düften. Drinnen in den Restaurantküchen scheppern Pfannen, draussen lassen sich die Gäste an den Tischen Penne mit Sardinen, Spaghetti alla Norma samt frittierten Auberginen oder zarte Rinderfrikadellen mit Pinienkernen und Zimt schmecken.
Mamma mia, ist das Leben schön!
Alte Häuser schmiegen sich in engen Gassen aneinander: mit Balkonen, von denen dickblättrige Kaktusfeigen und Bougainvilleen mit pinkfarbenen Blüten in den azurblauen Himmel ragen. Vom Stadttor führt die Hauptstrasse, der Corso Umberto, mit kleinen Geschäften quer durch Taormina bis zum Domplatz. Doch bevor wir dort ankommen, werden wir auf halbem Weg in ein Gespräch verwickelt – keine Seltenheit auf der grössten Insel des Mittelmeers.
Die Sizilianer sind neugierig, haben ein lebhaftes Temperament und lieben es, sich in einer Konversation in Szene zu setzen. Ein eleganter Herr steht vor seinem Schuhgeschäft. «Buongiorno, signorine, come va?», spricht er uns an. «Seid ihr in Turnschuhen unterwegs?», fragt er mit prüfendem Blick. «Kommt doch herein.» Man duzt sich.
Gaetano Camarda, 81, trägt schicke Lederschuhe, dazu ein hellblaues Leinenhemd, über dem er die Krawatte leger gebunden hat. Seine silbrigen langen Haare wehen im Wind, als er uns die knarrende Tür zu seinem Reich öffnet. Innen ist es prunkvoll wie in einem Palast.
Neben kanariengelben Budapestern stehen rauchschwarze Oxfords und türkisfarbene Pumps auf einem Mahagoniregal. «Alle handgemacht, in vierter Generation. Wir bedienen Kunden auf der ganzen Welt», erklärt der Patron, der das Geschäft mit Sohn Lorenzo, 41, führt.
Plötzlich schlüpft er aus seinen Loafern und zeigt uns seine nackten Füsse. Von wegen Altherrenfüsse! Schneeweisse Zehen und ein wohlmodellierter Rist kommen zum Vorschein. Der Schuhmacher gibt uns das Geheimnis seines Jungbrunnens mit auf den Weg: «Denkt daran, immer Lederschuhe zu tragen, die euren Zehen genügend Platz bieten. Und verzichtet auf Socken. Dann tragen euch die Füsse wie von selbst durchs Leben.»
Wichtiger Schauplatz der Historie
Wir flanieren weiter, vorbei an bunten Keramikboutiquen, Richtung Antikes Theater.
Diese Anlage, welche die Griechen im 3. Jahrhundert vor Christus gebaut und die Römer erweitert haben, ist gigantisch gross. Sie umfasst über 5000 Sitz- und Stehplätze, das Theater wird in den Sommermonaten noch immer bespielt.
Doch die meisten Touristen reisen wegen der imposanten Naturkulisse nach Taormina: rechts das leuchtend blaue Meer mit dem Blick auf die Bucht von Giardini Naxos – und weiter entfernt der Ätna. Ein dämonischer Berg mit dunklen Furchen und einer weissen Kraterspitze.
Man sagt den Einheimischen nach, dass sie den mit 3357 Metern höchsten aktiven Vulkan Europas verehren wie ihre eigene Mutter – und ihn deshalb «Mamma Etna» nennen. Sie beäugen ihn aber auch wie einen Feind, weil er immer wieder Feuer spuckt und Verheerendes anrichtet.
Seine Ausbrüche, die seit 1329 dokumentiert sind, zerstörten schon viele Ortschaften und Menschenleben. Aber: Wo es Lava gibt, da ist die Erde fruchtbar, weil die Vulkanasche voller Mineralien ist. Deswegen schenkt der Vulkan im übertragenen Sinn auch Leben.
Am Schlund des Vulkans
Am nächsten Morgen machen wir uns im Bus früh auf zum Ätna. Wie eine Mondlandschaft sieht die Gegend bei den beiden Silvestri-Kratern aus. Die Schritte auf der schwarzen Lavaerde und dem schwarzen Sand knirschen, als wate man durch Schnee. Dazwischen gedeihen grüne Vulkanflechten und gelb blühender Ginster.
«Visitare Crateri 25 Minuti» steht auf dem Schild, das nach oben zeigt. Dorthin, wo die Touristen im Gänsemarsch um den Schlot spazieren, der durch den Vulkanausbruch im Jahre 1892 entstanden ist. Es ist eisig kalt, und der Wind pfeift uns um die Ohren. Doch der Besuch des Feuerbergs scheint von innen her zu wärmen, deshalb sind manche Wanderer bloss im Pullover unterwegs.
Durch Edelkastanienwälder und über fruchtbares Land, auf dem Orangen-, Zitronen- und Kirschbäume wachsen und etliche Destillerien ansässig sind, fahren wir vom Ätna hinunter Richtung Norden zur Hafenstadt Milazzo.
Hier befindet sich ein Nadelöhr, das alle Reisenden passieren müssen, wollen sie auf eine der sieben Liparischen Inseln – auch Äolische Inseln genannt – übersetzen. Am kleinen Hafen herrscht Hochbetrieb. Jeder will ein Ticket für die letzte Fähre ergattern, die wegen hohen Wellengangs – «mare mosso» – erst um 20 Uhr nach Vulcano und Lipari ablegt. Endlich kommt die Durchsage des Kapitäns: «Das Wetter hat sich etwas beruhigt. Bitte alle an Bord kommen.»
Die Überfahrt zur Vulkaninsel Lipari dauert zwei Stunden. Später erklärt uns der Kapitän: «Für uns Insulaner ist es ganz normal, dass Schiffe nicht immer nach Fahrplan verkehren. Wir leben mit dem Meer und seiner Unberechenbarkeit», sagt er. «Es gibt Tage, an denen wir an einem Ort festsitzen. Abgeschnitten von der Aussenwelt, weil es stürmt und kein Schiff fährt.»
Lipari, die Insel der Geheimnisse
Lipari versinkt im Abendlicht. Der Wind heult durch die geschlossenen Fenster des Hotels, in der Hausbar erschallt italienische Musik. Drinks werden gemixt, das Eis klirrt in den Gläsern, und einen Gast, der an einem Vulkanwein nippt, höre ich sagen: «Was in Lipari ist, bleibt in Lipari.» Die Erklärung dazu liefert Beatrice, 33, die seit drei Jahren an der Hotelbar arbeitet. «Man trägt keine Geheimnisse weg von unserer Insel», sagt sie.
Vom Garten des Hotels Carasco – ein imposanter Vintage-Bau mit dem Charme einer Ritterburg – führt eine Treppe zum hoteleigenen Strand hinunter, doch die Stufen enden abrupt im schwarzen, noch immer tosenden Meer. Am Vortag hat es dermassen gestürmt, dass der Strand überflutet ist. Am nächsten Morgen ist der Sand wieder da, als sei alles nur ein Spuk gewesen.
«Wer abschalten will, findet hier das Paradies.»
«Was zieht die Menschen nach Lipari?», möchte ich von unserer Reiseleiterin Erminia Corso wissen, die uns die Insel zeigen will. Immerhin kommen jedes Jahr um die 600’000 Touristen auf die Liparischen Inseln, auf denen gerade mal 13’000 Einheimische leben. «Das liegt am Meer, an der Sonne und am guten Essen. Aber auch an der Lebensweise der Äolier», sagt Erminia: «Sie haben eine eigene Mentalität. Schau dich nachher um: Wer abschalten will, findet hier das Paradies.»
An der Ostküste von Lipari, am Strand bei Canneto, widmen sich Fischer dem Fang von Rotbarben und Makrelen. Ganz in der Nähe befindet sich der Aussichtspunkt Quattrocchi. Von hier sieht man ausser Vulcano alle Inseln des Archipels: Alicudi und Filicudi, die grüne Kaperninsel Salina, Stromboli und Panarea, beliebt bei Stars und Sternchen aus dem Filmbusiness.
«Darf es ein Glas Malvasia sein?», fragt Gioanna Jacono, 55, die an ihrem Stand beim Aussichtspunkt den schweren, süssen Dessertwein verkauft. Er mundet vorzüglich. Auch Kapern bietet sie an, die sie auf Lipari erntet – gesalzen oder mit Pistazien eingelegt. Oder kandiert, die schmecken süss-säuerlich.
Überhaupt haben Äolier und Sizilianerinnen eine Schwäche für Süsses. Wer von den Cannoli – ein heimisches Süssgebäck mit Ricottafüllung – kostet, weis warum. Seit 1930 entstehen in der Pasticceria Subba in Lipari-Stadt solch süsse Kunstwerke.
Die Rezepte der «Liebeshappen» hütet Flavia Subba, 80, Tochter des Gründers, mit Argusaugen. «Im Safe sind sie gut aufgehoben», sagt sie. «Ich darf nur den Code nicht vergessen.»
Meeresbrise und Schwefeldampf
Am Hafen von Lipari machen sich einige Touristen zu einer Exkursion auf, die sich «Stromboli by Night» nennt. Denn nachts lässt sich mit etwas Glück vom Schiff aus beobachten, wie an der «Sciara del Fuoco», der Lavazunge, glühende Lava einem Feuerwerk ähnlich in die Luft geschleudert wird, um wieder im Mund des Vulkans zu landen. Kein europäischer Vulkan spuckt so oft Lava wie der Stromboli. Das nehmen die knapp 600 Menschen, die auf der Insel leben, in Kauf. Sie würden nirgendwo anders leben wollen.
So geht es auch den Bewohnern von Vulcano: Sie lieben ihre Insel, die Besucher mit einem ungewöhnlich starken Schwefelgeruch begrüsst. An den Geruch haben sich die Einheimischen längst gewöhnt. Wer seiner Nase folgt, kommt vom Hafen an gelb-schwarz-grauen Felsformationen vorbei und landet direkt beim Natur-Thermalbad. Archaisch sieht dieses gelbliche Schlammloch mit den Badenden aus, das bei Psoriasis und anderen Hautkrankheiten wahre Wunder vollbringen soll. Vulcano ist eine wilde, fast unberührte Insel.
Diese Ursprünglichkeit hat auch Winzerin Sandra Privitera, 50, und deren Ehemann Giuseppe Livio, 48, – beide stammen aus Sizilien – hierhergeführt. Auf ihrem Gut «Soffio sulle Isole» – was «das Pusten über den Inseln» bedeutet – keltert Sandra Privitera Rot-, Weiss- und Roséweine. Die Etiketten der Flaschen gestaltet ihr Mann manchmal draussen auf der Terrasse. Mit Blick auf den Vulkan Gran Cratere. Und wenn die beiden sagen, dass ihnen über dem Krater manchmal der griechische Windgott Äolus erscheint, der Namensgeber der Äolischen Inseln, dann glaubt man es ihnen.
Auch Inseln der Ruhe gibt es
Giuseppe Livio hat dem Windgott ein Gesicht verliehen: ein pausbackiges Mondgesicht, das zum grossen Pusten ansetzt und die Etikette des Rotweins ziert. Doch heute scheint Äolus zu schlafen, es ist absolut windstill.
Unsere letzte Destination heisst Palermo: eine hektische Hafenmetropole, die mit zauberhaften Orten überrascht. Etwa mit dem Fischmarkt Il Capo. «Heute früh aus dem Meer gefischt», wirbt Sandro Isgr`o, 27, für seine Ware. Er arbeitet in der grössten Pescheria am Markt. «So frische Makrelen, Langusten und Tintenfische findest du nur bei uns.»
Langsam geht die Sonne unter, während hinter dem Teatro Massimo, dem drittgrössten Opernhaus Europas, das Nachtleben beginnt. Durch die Gassen röhren keine Vespas mehr, stattdessen sind die Stimmen der Sänger zu hören. Spätestens ihre Liebeslieder führen mich zur Gewissheit: Hier ist der Ort, an dem ich sehr gerne länger sein möchte.
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