Montenegro-RundreiseMagische Momente an der Adria
Tiefblaue Grottenwunder, ein Kloster in der Felswand und Städtchen, wo Büsis verehrt werden. Montenegro verzauberte unseren Autor.
Nach einer zweistündigen Fahrt von Budva übers offene Mittelmeer liegt unser Schnellboot nun in der Bucht von Kotor, wo es stoisch zwischen den Inseln Gospa od Skrpjela und Sveti Djordje hin und her gondelt.
Das Wasser glitzert in der Mittagssonne wie eine sündhaft teure Oscar-Robe und verleiht diesem Unesco-Weltkultur- und -naturerbe einen Hauch Glamour.
Zum magischen Moment, bemerke ich scherzhaft, fehlen jetzt eigentlich nur noch ein kühles Bier und gesalzene Erdnüsschen. Worauf Skipper Luka eine Art Geheimtüre öffnet, in einen Kühlschrank langt und mir ein Lager namens Niksicko pivo entgegenstreckt, es schmeckt köstlich.
Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Informationen finden Sie hier.
Statt Nüsschen serviert uns der Mittzwanziger jedoch ein Rätsel: «Wisst ihr, worin sich diese zwei scheinbar verwandten Inseln unterscheiden?» Fotograf Philipp und ich geben unser Bestes – aber dass «Our Lady of the Rocks», so der geläufige Name von Gospa od Skrpjela, künstlich erschaffen wurde, darauf wären wir nie gekommen.
Die Legende besagt, dass am 22. Juli 1452 zwei Brüder auf einem einsamen Felsen eine Ikone von Maria mit Jesuskind entdeckten. Daraufhin errichteten die Menschen eine kleine Kapelle, doch diese war zu klein für die vielen Gläubigen. Also warfen fortan alle Seefahrer, die unversehrt von einem Abenteuer heimkehrten, neben dem Gotteshaus Steinbrocken ins Meer. Wodurch langsam, aber stetig eine Insel wuchs. Seit 1722 steht darauf die heutige katholische «Our Lady of the Rocks»-Kirche.
Sveti Djordje, wenige hundert Meter entfernt, ist hingegen natürlichen Ursprungs. Das Eiland beherbergt ein mittelalterliches Benediktinerkloster und einen Friedhof, der für den Adel des nahen Küstenstädtchens Perast angelegt wurde. Bis heute spekuliert man darüber, ob dieser Schauplatz dem bedeutenden Schweizer Symbolismus-Maler Arnold Böcklin (1827–1901) als Vorlage für sein wohl bekanntestes Motiv «Die Toteninsel» diente.
Tuckern durch den U-Boot-Bunker
Die Schweiz ist auch auf der Rückfahrt ein Thema. Jedenfalls indirekt. Wir sprechen über Samih Sawiris, den Mann also, der mit seinem Andermatt-Projekt, namentlich mit dem Luxushotel The Chedi, tatkräftig mithalf, aus der früheren «Alpenfestung» einen Nobel-Kurort zu machen.
Der ägyptische Milliardär hat sich bei einem Helikopterflug offenbar auch in zwei Objekte an der montenegrinischen Adria verliebt.
Eines davon ist die frühere Gefängnisinsel Mamula, die wir eingangs der Bucht von Kotor passieren. Sawiris liess die Strafanstalt mit einer Geldspritze von 38 Millionen Franken in eine nicht ganz unumstrittene, äusserst exquisite Unterkunft mit 32 Zimmern und Luxus-Spa umbauen, die Juniorsuite kostet 1200 Euro in der Nebensaison.
Das zweite Projekt heisst Lustica Bay. Zum 2018 eröffneten Resort der gehobenen Klasse gehören ein Jachthafen, Villen, Boutiquen und ein Fünfsternhotel namens – Überraschung! – The Chedi.
Uns aber faszinieren andere Sehenswürdigkeiten entlang der Küste weit mehr. Etwa die noch heute gut getarnten U-Boot-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Dass wir eine besonders imposante Anlage von vorn bis hinten befahren können, verdanken wir unserem Bootsführer Luka und dessen Geschäftspartner Vanja.
2023 machten sich die Schulfreunde selbständig und erwarben mittels Kredit zwei schnittige 10-Personen-Boote, mit denen sie unter anderem jene Attraktionen anpeilen, für die viele klassische Ausflugsboote zu gross sind. Es habe Mut gebraucht, sagt Vanja. «Aber der Tourismus wird in Montenegro immer wichtiger, es gab keinen besseren Moment.»
Nicht Mut, sondern fahrerisches Geschick braucht es bei einem Naturphänomen mit dem offiziellen Namen «Blaue Grotte». Ein schieres Understatement!
Mit genügend Sonnenlicht erlebt man in dieser Höhle wortwörtlich ein blaues Wunder – sprich: Facetten zwischen Azur, Cyan, Türkis, Kobalt und Marine, von denen zumindest ich nicht gewusst habe, dass sie überhaupt existieren. Der nächste magische Augenblick an diesem Reisetag.
Freundlichkeit ist Trumpf
Vor dem Abendessen schlendern Philipp und ich ziellos durch die Gassen von Budvas schmucker Altstadt. Landen an einem Strand im Sonnenuntergang, bei einer Zitadelle, schliesslich bei einem Fischhändler.
Ist das mein Magen, der da plötzlich knurrt wie ein übermütiger Hund? Jedenfalls sitzen wir kurz darauf in einem der vielen Uferpromenade-Restaurants, teilen Salate, Tintenfischrisotto und Meeresfrüchte und bereden die Reise seit der Ankunft im kroatischen Dubrovnik.
Montenegro wirkt im Vergleich mit Kroatien rauer, urtümlicher.
Die eine Erkenntnis: Nie zuvor haben wir ein spektakuläreres Amphitheater gesehen als Kanli Kula in Herceg Novi – mit dem Mittelmeer als Kulisse. Die andere: Montenegro wirkt im Vergleich mit Kroatien rauer, urtümlicher. Suchen Reisende jedoch touristische Professionalität, können sie sich schon mal düpiert fühlen.
In Sachen Freundlichkeit allerdings ist der touristische Rückstand alles andere als ein Nachteil. Das zeigt sich am nächsten Vormittag in Virpazar. Der «hippieske» Weiler ist Ausgangspunkt für Aktivitäten rund um den Skadar-See, sei es per Ausflugsboot, Kajak, radelnd oder wandernd.
Wir wären wie vereinbart um 10 Uhr für die Tour bereit, unser junger Guide aber sitzt noch in der Schule. Ein Telefonat, und keine fünf Minuten später versorgt uns Maja Djurovic, die Geschäftsführerin der Bootsfirma, in ihrem Garten mit Kaffee, Früchten und Geschichten. So charmant geht Problemlösung auf Montenegrinisch.
Schliesslich gleiten wir doch noch los. Die ruhige Fahrt über den Süsswassersee – seit 1983 ein geschützter Nationalpark und für viele Einheimische Herz und Seele des Landes –, wird zum spannenden Lehrstück.
Wir lernen, dass das Gewässer bei maximaler Ausdehnung minim kleiner ist als der Bodensee. Dass es über 280 Vogelarten ein Refugium bietet. Und dass auf seinem Grund seit 1942 ein gesunkenes Dampfschiff liegt.
Und dann gibt es «Priganice»!
Wir staunen über verwunschene Wasserpfade, die durch die Lotusblumen- und Seerosenteppiche führen. Über eigenartige Felseninseln, die an dösende Urviecher erinnern. Oder den seltenen Dalmatinischen Pelikan, der schneller weg ist, als Philipps Kamera klicken kann.
Als unser Bootsführer zu alledem noch «Priganice» serviert, in Honig getunkte, mit cremigem Ziegenkäse gefüllte Hefeteigkugeln, steht zweifelsfrei fest: schon wieder ein magischer Moment.
Montenegro ist vergleichsweise klein – das Land hat nicht einmal die doppelte Fläche des Kantons Graubünden –, und seine Hauptverkehrsachsen sind gut ausgebaut. Dadurch ist es möglich, binnen einer halben Stunde in völlig andere Welten zu gelangen. Eine davon heisst Sipcanik und ist ein früherer Militärstützpunkt. Dessen Bunker bot einst Platz für 24 Düsenjäger und reichlich Raketenmaterial.
2007, im Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung, besann sich Montenegros Regierung vernünftigerweise auf die Losung «Make wine, not war»: Mach Wein statt Krieg. Konkret investierte das zur Hälfte dem Staat gehörende Unternehmen Plantaze mehrere Millionen Franken, um aus dem 356 Meter langen, 13,5 Meter breiten und 7 Meter hohen Bunker einen Weinkeller der Superlative zu bauen.
Darin herrschen mit einer Temperatur von konstant 17 bis 19 Grad und einer Luftfeuchtigkeit um die 80 Prozent ideale Bedingungen für den Reifeprozess und die Lagerung der Weine. Davon profitiert zum Beispiel der Rotwein Vranac Pro Corde – mit jährlich 1 Million verkaufter Flaschen der Bestseller von Plantaze.
Dies und mehr erzählt uns der sympathische Marketingverantwortliche Marko Maras, bevor er uns durch die grösste einheitliche Weinanbaufläche Europas fährt – die 2300 Hektaren entsprechen etwa der Grösse des Frankfurter Flughafens.
Als wir einen baufälligen ehemaligen Wachturm besteigen, um eine Idee der kolossalen Fläche zu bekommen, bemerkt Marko fast beiläufig: «Um die 11,5 Millionen Rebstöcke zu kultivieren, braucht es mehr Wasser als für die 195’000 Einwohnerinnen und Einwohner der Hauptstadt Podgorica.»
Zwölf Stunden später erneut eine andere Welt. Wir stehen baff vor dem serbisch-orthodoxen Kloster Ostrog auf 900 Meter über Meer, das der später heiliggesprochene Metropolit Vasilije in eine mächtige Felswand hineinbauen liess.
Eine einheimische Reiseleiterin neben uns erläutert ihrer Gruppe, dies sei «sozusagen unser Jerusalem». Andächtiges Nicken. Für mich dagegen ist das Kloster das architektonisch unglaublichste geistliche Gebäude, das ich jemals gesehen habe. Magisch? Epochal tut es diesmal auch.
Das Beste, heisst es, kommt zu Schluss. In unserem Fall wäre das ein Plättchen mit lokal produziertem Bergkäse und Njegusi-Schinken, das wir auf dem gleichnamigen, Jura-ähnlichen Hochplateau serviert bekommen. Schmeckt vorzüglich. Aber das Beste? Nein. Das liegt hinter uns. In Kotor. Einer Stadt, von der nicht wenige sagen, sie sei das «Dubrovnik im Kleinformat». Touristisch gesehen hat das was.
Ebenso gehören beide Altstädte seit 1979 zum Unesco-Weltkulturerbe. Beide haben begehbare Stadtmauern, eindrückliche Paläste und Kathedralen, tolle Gastronomie.
Einzig als Filmkulisse steht Kotor hinter Dubrovnik («Game of Thrones») zurück: Hier wurde bloss «The Dark Side of the Sun» gedreht, trotz Brad Pitt in der Hauptrolle ein Riesenflop.
Im Reich der Mauzer
Dafür – damit wären wir jetzt definitiv beim Besten – bietet sich in Kotor die Möglichkeit, unweit der Marienkirche einen Wanderweg unter die Füsse zu nehmen. Dieser ist schmal und steil, hat unzählige Steinstufen.
Bis zum Ziel, der Festung San Giovanni, dauert der Aufstieg gut eine Dreiviertelstunde. Aber nur wer da oben steht, weiss, weshalb die erhabene Bucht von Kotor zu Recht als «südlichster Fjord Europas» gepriesen wird. Trotzdem unvergleichlich!
Nebenbei bemerkt: Gut möglich, dass man bei der Wanderung von leichtfüssigen Vierbeinern begleitet wird. In Kotor dürfen Katzen nämlich alles, sie sind die Stars der Stadt! Haben ein eigenes Museum, Souvenirshops und am Tree Square einen von der Gemeinde betriebenen Futterautomaten. Dieser Park ist ein Paradies für Katzenliebhaberinnen und Katzenliebhaber, hier tummelt sich alles, was ihnen den Kopf verdreht: der tapsige Wollknäuel, die elegante Samtpfote, der korpulente Maudi, der spinnerte Wildfang.
Gerade als ich mich in eines dieser schnusigen Büsi zu verlieben beginne, höre ich plötzlich die Stimme von Fotograf Philipp, der ruft, die Parkuhr laufe ab, wir müssten los! Tja. Aber irgendwann komme ich wieder.
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