Problematische OnlinewerbungOrell Füssli wirbt für Buch des Sexisten Andrew Tate
Der Schweizer Buchhändler lässt im Internet Anzeigen für umstrittene Titel schalten. Man wolle keine Zensurstelle sein, antwortet die Firma.
Kürzlich erhielt eine Internetnutzerin eine Werbung angezeigt, die sie befremdete: Angepriesen wurden da 30 Abhandlungen von Andrew Tate. Also ein Buch mit Texten des amerikanisch-britischen Influencers, der früher Kickbox-Weltmeister war – und der heute vor allem für seine sexistischen und frauenfeindlichen Äusserungen bekannt ist. «Du musst wütend darüber sein, dass du nicht das Leben hast, das du willst», lautet gemäss Klappentext eine von Tates Lektionen.
In Rumänien, wo Tate seit 2016 wohnt, ist der 37-Jährige angeklagt wegen Vergewaltigung, Menschenhandel und der Bildung einer kriminellen Organisation zur sexuellen Ausbeutung von Frauen.
Tate konnte sich zuletzt in der rumänischen Hauptstadt Bukarest frei bewegen. Eine Gerichtsverhandlung fand bisher nicht statt. Aber kürzlich wurde er erneut verhaftet, diesmal aufgrund eines europäischen Haftbefehls: Vier Frauen in Grossbritannien strengen ein Zivilverfahren gegen ihn an, sie werfen ihm sexuelle Übergriffe und körperliche Misshandlungen vor. Der Influencer soll nun nach Grossbritannien ausgeliefert werden.
Die Werbung für Tates Buch stammt vom Grossbuchhändler Orell Füssli. Wie kommt ein Schweizer Traditionsunternehmen dazu, ein Buch eines Sexisten zu bewerben?
Orell Füssli räumt auf Anfrage ein, dass Tates Abhandlungen in seinen Filialen und Onlineshops verkauft werden. Das Buch von Tate würde aber «in keiner Weise ‹angepriesen› oder proaktiv vermarktet», schreibt die Medienstelle von Orell Füssli.
Google-Werbungen als Marketinginstrument
Und dennoch wird das Buch nun mit Anzeigen beworben, die von Orell Füssli finanziert sind? Tatsächlich ist dies der Fall: Die Grossbuchhandlung nutzt als Marketinginstrument das sogenannte Retargeting. Wer auf der Onlineseite von Orell Füssli nach einem bestimmten Buch sucht, bekommt dieses allenfalls auf anderen Websites in Form einer Bannerwerbung angezeigt.
«Auch sonstige Signale im Nutzerverhalten – Suchanfragen in Suchmaschinen, Besuch von Websites zum Thema et cetera –, die ein mögliches Interesse am Werk suggerieren, können die Anzeige solcher Banner auslösen», schreibt die Orell-Füssli-Medienstelle.
Wer sich zum Beispiel für den Stand der Ermittlungen interessiert und deshalb nach Andrew Tate googelt, erhält also möglicherweise später Werbung für das Buch des Influencers.
Auch Bücher zur «Corona-Lüge» sind im Angebot
Auch andere Onlineshops nutzen Google-Anzeigen und sogenanntes Retargeting, etwa Anbieter von Kleidung oder Unterhaltungselektronik.
Aber anders als etwa bei einem Möbelhaus oder einem Anbieter für Gartenwerkzeug kann dies bei einem Buchhändler rasch zu Problemen führen: Das Buchsortiment wie jenes von Orell Füssli ist heute geradezu gigantisch. Es enthält zahlreiche umstrittene Titel, nicht nur die erwähnten Abhandlungen oder ein Buch mit Tates «Weisheiten». Zu kaufen sind auch verschwörungsideologische Bücher zur «Corona-Lüge». Dazu gibt es bei Orell Füssli gleich mehrere Titel. Sie können dann in Bannerwerbung von Orell Füssli auf anderen Websites erscheinen.
Orell Füssli schliesst keine Bücher aus – sofern legal
Orell Füssli, das 2013 ein Gemeinschaftsunternehmen mit der deutschen Buchhandelskette Thalia eingegangen ist, weiss, dass bestimmte Bücher aus seinem Sortiment umstritten sind. Das Unternehmen würde jedoch «grundsätzlich keine Bücher» aufgrund ihrer Inhalte, ihrer Titel oder der persönlichen Meinungen der Autorinnen und Autoren vom Verkauf ausschliessen, schreibt die Medienstelle.
Die Grossbuchhandlung leiste mit ihrem «breiten Sortiment» einen Beitrag zur kulturellen und inhaltlichen Vielfalt sowie zur Meinungs- und Informationsfreiheit. «Das wollen wir auch in Zukunft mit aller Sorgfalt tun.» Daher sei in den Filialen oder im Onlineshop «generell jedes lieferbare Buch – sofern legal – erhältlich».
Orell Füssli masse sich nicht an, als Zensurstelle zu amten. «Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir als Unternehmen und Händler jedes erhältliche Buch inhaltlich befürworten.» Dasselbe gelte für die persönlichen Äusserungen und Meinungen von Buchautorinnen und Buchautoren.
Ausgenommen vom Verkauf seien «natürlich durch Gerichte verbotene Bücher und Medien, die wegen rassistischer, menschenverachtender oder gewaltverherrlichender Inhalte auf dem Index der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften geführt sind». Zurzeit stehen 389 Bücher, Comics und weitere «Schriftwerke» auf diesem Index. Die Liste wird jeweils vierteljährlich in einer Zeitschrift der deutschen Bundesstelle veröffentlicht; sie ist im Internet nicht abrufbar.
Das Buch von Andrew Tate ist offenbar nicht auf diesem Index. Und so wird es weiter von Orell Füssli verkauft – und in Anzeigen beworben.
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