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Interview zum politischen Geschlechtergraben
«Die einzigen Fürsprecher, die wir haben, sind gestörte Typen wie Andrew Tate»

Mick Biesuz. fotografiert beim Landesmuseum und beim Dynamo (Graffiti) für Sonntagsgespräch der Sonntagszeitung.STIMMUNG ERHALTEN. OHNE KORREKTUR DURCH AUTOMAT!
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Der Befund schreckte auf: «Junge Männer driften nach rechts ab», fasste der «Spiegel» eine internationale Studie zusammen. Die Resultate vom Februar 2024 beruhen auf einer Umfrage, decken sich aber mit Abstimmungsdaten aus der Schweiz: Während die Frauen immer linker wählen, gilt für die jungen Männer das exakte Gegenteil. Eilig wurden Expertinnen und Experten befragt, wie dieser Geschlechtergraben zustande komme, und in Kommentaren und Analysen wurde zu ergründen versucht, was bloss mit den jungen Männern falsch laufe.

Weil viel über sie geredet wurde, aber kaum je mit ihnen, trafen wir Mick Biesuz zum Gespräch. Er ist 21 und Zeitoffizier in Bière. Zusammen mit zwei Kollegen wurde er 2022 schweizweit bekannt, als sie für ihre Maturarbeit von 3500 Aargauer Kantischülerinnen und -schüler wissen wollten, wie politisch neutral sie den Unterricht empfinden. Die Mehrheit war der Meinung, an den Gymnasien herrsche ein ideologischer Linksdrall und Andersdenkende fühlten sich benachteiligt. Biesuz ist Mitglied der Jungfreisinnigen und möchte nach dem Militärdienst Internationale Beziehungen an der HSG studieren.

Herr Biesuz, junge Frauen wählen in vielen Ländern immer linker, junge Männer immer rechter. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Mir scheint, dass Männer mehr als Frauen finden, sie seien selbst für ihr Leben verantwortlich. Und das auch so wollen. Wir mögen es weniger, wenn wir das Gefühl haben, man wolle uns am Händchen nehmen. Diese linke Idee, Menschen bräuchten bei allem möglichen Unterstützung, ist mir fremd. Ich gehe davon aus, dass Menschen grundsätzlich mündig sind und, sofern sie nicht wegen Einschränkungen Hilfe benötigen, in der Lage, ihr Leben ohne den Staat zu meistern.

Offenbar ist der Graben aber so gross wie noch nie – dabei sind die Geschlechter doch so gleichberechtigt wie noch nie.

Das sind sie offenbar ja nicht. Es wird doch dauernd über die Benachteiligung von Frauen berichtet. Für uns junge Männer um die 20 ist diese Debatte komisch. Wir kennen es gar nicht anders, als dass Frauen gleichberechtigt sind. Es ist völlig klar, dass eine Beziehung partnerschaftlich läuft und Frauen Vorgesetzte sein können. Wenn uns nun aber dauernd erklärt wird, die Frauen seien arm dran, irritiert das.

Warum?

Ich verstehe nicht, wieso immer der Eindruck vermittelt wird, man müsse den Frauen helfen. Dass so getan wird, als ob sie es sonst nicht schaffen im Leben. Das heisst doch, dass man sie für weniger mündig hält. An der Kanti hatte es mehr junge Frauen als junge Männer – das waren wirklich keine hilfsbedürftigen Wesen, denen der Staat helfen muss.

Was stört Sie und Ihre Kollegen am meisten?

Natürlich kann ich nicht für alle reden. Aber ich würde sagen, dass das Gefühl vorherrscht, uns würden dauernd Dinge vorgeworfen, für die wir nichts können. Wir sind gerade mal 20 Jahre auf der Welt, aber uns wird gesagt, weil Männer früher in der Übermacht gewesen seien, müsse man jetzt Gegensteuer geben und die Frauen bevorzugen. Bloss: Daran sind wir nicht schuld. Wir haben niemandem den Job weggenommen, wir haben niemanden diskriminiert.

Leuchtet es nicht ein, dass ein gewisser Nachholbedarf besteht?

Die Frauenförderung an sich ist nicht das Problem, sondern dass wir im selben Atemzug negativ dargestellt werden. Dass dauernd von toxischer Männlichkeit die Rede ist oder Slogans wie «Men are trash» akzeptabel sind. Das ist befremdlich, zumal jene, die solche Sachen sagen, für sich selbst in Anspruch nehmen, sensibel zu sein. Der Erfolg von Andrew Tate verwundert mich deshalb überhaupt nicht.

Der britische Influencer mit riesiger Fangemeinde, der wegen Vergewaltigung in U-Haft sass und ein ultrareaktionäres Weltbild vertritt: Frauen sollen gehorchen, kochen und putzen. Warum ist er für so viele junge Männer ein Held?

Weil er zwar viel Absurdes von sich gibt, aber eben immer wieder Dinge anspricht, die sonst niemand mehr sagt. Er trifft damit einen Nerv, junge Männer fühlen sich verstanden und gehört. Wenn dann die Medien schreiben, er sei blöd und seine Anhänger seien noch blöder, sehen sie sich in ihrer Meinung erst recht bestätigt. Etwas überspitzt gesagt: Das Problem ist, dass die einzigen Fürsprecher, die wir jungen Männer heute haben, so gestörte Typen wie Andrew Tate sind.

Mick Biesuz. fotografiert beim Landesmuseum und beim Dynamo (Graffiti) für Sonntagsgespräch der Sonntagszeitung.STIMMUNG ERHALTEN. OHNE KORREKTUR DURCH AUTOMAT!

Junge Männer fühlen sich also nicht verunsichert, wie es oft heisst, sondern eher unverstanden?

Genau. Es war bezeichnend, wie auf die Studie reagiert wurde: Die Experten verwendeten die üblichen Schlagworte und redeten von toxischer Männlichkeit. Und sie erklärten, was an uns falsch sein soll, weil wir nicht links sind. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich viele junge Männer abgelehnt fühlen und sich nur noch in ihrer Bubble bewegen. Sie sagen sich: Klassische Medien konsumiere ich nicht mehr. Die finden uns sowieso blöd und alle, die wir gut finden, erst recht.

Das mutet schon ein wenig beleidigt an.

Es ist nicht so, dass alle Männer deswegen in eine schwere Krise geraten. Was nervt, ist diese unnötige Grundfeindlichkeit. Und es ist ein Widerspruch, wenn uns gleichzeitig toxische Männlichkeit und eine zu hohe Empfindlichkeit vorgeworfen wird. Wenn wir sagen, es störe uns, könnte man uns doch auch mal zuhören. Oder uns zumindest nicht einfach daneben finden, bloss weil wir eine andere Meinung haben als Frauen.

Bei welchen Themen beobachten Sie das?

Es gibt zum Beispiel jene, die es nicht gut finden, wenn Homosexuelle Kinder adoptieren können, aus religiösen Gründen oder weshalb auch immer. Ich teile diese Meinung nicht, ich finde, alle sollen ihr Leben leben können, wie sie wollen. Trotzdem akzeptiere ich Leute, die so denken. Bei den Linken gilt aber häufig: Wer nicht meiner Meinung ist, ist böse. Zumindest meistens.

Wie meinen Sie das?

Secondos zum Beispiel sind in gesellschaftlichen Fragen häufig viel weniger offen. Sie lehnen etwa Homosexuelle eher ab oder vertreten konservative Haltungen Frauen gegenüber. Ihnen wird das aber kaum je vorgeworfen.

Warum nicht?

Es gibt da eine Art Kategorisierung. Das Hauptkriterium ist die Benachteiligung. Weil ein Secondo als benachteiligter gilt als ich, ist es weniger schlimm, wenn er Frauen abwertet, als wenn ich das tun würde. Es gibt ganz viele Kombinationen und Formen, wie man benachteiligt sein kann, und je nachdem, wie weit oben man auf der Skala ist, wird eine Aussage gegen Frauen, Homosexuelle oder Migranten entsprechend mehr relativiert. In dieser Kategorisierung verliert nur einer immer: der weisse Mann – schlimmer ist nur noch der rechte weisse Mann. Wo ist jetzt da die Gleichberechtigung?

Wenn davon die Rede ist, dass junge Männer immer rechter werden: Heisst das FDP-bürgerlich, SVP-konservativ oder noch rechter?

Das geht schon eher Richtung konservativ. Das liegt wohl daran, dass so viele Beiträge in den sozialen Medien aus den USA kommen, wo die Gesellschaft viel krasser geteilt ist. Die amerikanischen Verhältnisse werden dann eins zu eins in die Schweiz übersetzt, ohne zu abstrahieren, dass hier alles ein paar Nummern kleiner ist oder gewisse Probleme schlicht nicht im selben Ausmass vorhanden sind. Das gilt für beide Seiten.

Sie selbst sind mit 15 den Jungfreisinnigen beigetreten – eine ungewöhnliche Parteiwahl in diesem Alter. Wie kam das in der Schule an?

Die meisten fanden es spannend, es gab keine negativen Reaktionen, wir haben uns auch nicht mit den Jusos gefetzt oder so. Das Problem waren mehr die Lehrer.

Inwiefern?

Wenn man sich dafür interessierte, was auf der Welt so läuft, merkte man im Unterricht, dass vieles Schlagseite hat, und zwar nach links. Banken und die Wirtschaft waren immer böse und wurden schlechtgeredet. Das Klima war Dauerthema, wobei es vor allem darum ging, was man alles verbieten sollte. Weil uns diese fehlende Neutralität ärgerte, fanden wir zu dritt: Das machen wir zum Thema unserer Maturarbeit. 

Sie befragten dafür 3500 Gymischülerinnen und -schüler des Kantons Aargau, 520 davon antworteten. Das Ergebnis: Die Mehrheit stimmte Ihnen zu. Das sorgte schweizweit für Aufsehen.

Ja, der Kanton Aargau gab darauf eine Untersuchung in Auftrag – und befand dann, es sei alles in bester Ordnung. Das stimmt aber nicht. Wenn man den Untersuchungsbericht genau liest, steht da ganz am Schluss klipp und klar, dass sich viele nicht links Denkende in der Schule benachteiligt fühlen. Trotzdem war damit die Sache für die Politik erledigt. Wenn doch aber Gefühle heute einen so hohen Stellenwert haben – warum werden sie einfach weggewischt, wenn sie für einmal nicht von der linken Seite kommen?

Viele junge Frauen sehen sich als links, leben aber trotzdem meist die klassische Rollen­verteilung, bei der die Männer fürs Geldverdienen zuständig sind. Woran liegt das?

Manche finden ja deswegen, dass die Frauen sich nur die coolen Sachen der Gleichberechtigung rauspicken. Aber es hat sicher damit zu tun, dass die sozialen Medien uns zur Meinungsgesellschaft gemacht haben: Man muss dauernd zeigen, dass man auf der richtigen, der guten Seite steht – deshalb schmücken Firmen ihr Logo mit der Regenbogen­flagge und geben sich junge Frauen feministisch. Ob das dann wirklich konsequent gelebt wird, steht auf einem anderen Blatt. Besonders deutlich wurde das beim Klima, für das viele Junge demonstrierten – gleichzeitig verreiste aber niemand so häufig mit dem Flugzeug wie ebendiese Altersgruppe.

«Ich habe nur einen einzigen Kollegen, der sagt, er möchte Hausmann werden.»

Wie stellen Sie sich eine Partnerschaft vor?

Eine Zeitung titelte «Linke Frauen wollen keine rechten Männer» – meine Freundin ist linker und grüner als ich und trotzdem mit mir zusammen. Wir respektieren die jeweils andere Meinung, das sollte doch normal sein. Was aber schon auffällt: Ich habe nur einen einzigen Kollegen, der sagt, er möchte Hausmann werden, weil er keine Lust habe, bis 65 zu arbeiten. Bei den meisten anderen ist es ein grosses Thema, dass sie beruflich Erfolg haben, etwas erreichen und Geld verdienen wollen. Das ist Männern extrem wichtig, das scheint mir wirklich so ein Männerding.

Warum?

Wir mögen einfach den Wettbewerb, wir messen uns gern. Das gilt aber auch wieder als toxische Männlichkeit – es gibt ja Schulen, die deshalb den Sporttag abschafften.

Was, wenn nun Ihre Freundin dereinst mehr verdient?

Ich bin ehrlich: Das fände ich vielleicht schon etwas komisch. Handkehrum sah ich kürzlich einen alten Film, in dem die Frau als totales Dummchen dargestellt wurde. Ich fand das furchtbar – für die Frau, aber genauso für den Mann. Ich möchte doch eine Partnerin auf Augenhöhe und kein Anhängsel. Wenn eine Familie früher neun Kinder hatte und der Mann seinen Job verlor, war das eine Katastrophe, weil die Frau damals nicht das Geld verdienen konnte. Heute ist das zum Glück anders, und wir Männer profitieren auch davon, weil es Druck wegnimmt.

Dieser Artikel erschien erstmals am 10. Februar 2024.