Angeklagter InfluencerNötigung und Missbrauch – das enthüllen die Andrew-Tate-Akten
Während der Brite Andrew Tate und sein Bruder Tristan in Rumänien auf ihren Prozess – unter anderen wegen mutmasslichen Menschenhandels – warten, hat die BBC Einblick in Zeugenaussagen und Beweise genommen.
Der britische Rundfunksender BBC hatte in der Causa Tate Zugang zu den von den rumänischen Staatsanwälten zusammengestellten Beweisen. Befehle, Drohungen, Hinweise auf Vergewaltigung oder Beleidigungen – die Inhalte sind derart brisant, dass die BBC-Redaktion sich dazu entschied, vor ihrem Onlineartikel vom Mittwochmorgen einen Warnhinweis an die Leserschaft zu platzieren. (Wir verzichten in diesem Artikel auf unflätige oder vulgäre Ausdrücke.)
Die Staatsanwaltschaft behauptet, die Tates hätten Frauen unter dem Vorwand romantischer Beziehungen in die Irre geführt und ausgebeutet und sich an sexueller Ausbeutung beteiligt, inklusive der Produktion pornografischer Inhalte durch körperliche Gewalt und geistige Manipulation. Ebenfalls angeklagt sind Georgiana Naghel und Luana Radu. Die beiden Frauen sollen die Lockvögel der Tates gewesen sein.
Die Akte besteht aus Hunderten von Seiten mit Zeugenaussagen und Abschriften. Gegenüber Andrew Tate kam unter anderen ein Vorwurf der sexuellen Gewalt zum Vorschein. Eine Frau soll dabei eine Augenverletzung und Brustverletzungen erlitten haben. Des weiteren deuteten transkribierte Audiobotschaften, an denen Tates Bruder Tristan beteiligt sei, auf Misshandlungen hin, berichtet die BBC.
Naghel und Radu: Die Polizei nennt sie «Tates Engel»
Die Akte enthält Aussagen von Frauen, die angeblich in der Nähe des Tates-Wohnsitzes lebten und behaupteten, von den Mitangeklagten Georgiana Naghel und der ehemaligen Polizistin Luana Radu kontrolliert und ausgebeutet worden zu sein. Laut Staatsanwaltschaft soll Naghel die Kontrolle auf das auf der Website von OnlyFans verdiente Geld gehabt haben. Sie soll den Darstellerinnen der Videos zwar monatlich einen Betrag bezahlt haben, aber ohne das Gesamteinkommen preiszugeben. Bei Inhalten, die für Tiktok erstellt wurden, hiess es, die Angeklagten hätten 50 Prozent der Einnahmen eingenommen – und manchmal sogar mehr.
Die Frauen seien unter Androhung verbaler und körperlicher Misshandlung gezwungen worden, bestimmte Videoinhalte nach einem strengen Zeitplan zu produzieren. Wer während eines Onlineauftritts eine zu lange Pause machte, weinte oder sich einfach nur die Nase abwischte, sei mit einer Busse in der Höhe von 10 Prozent bestraft worden. Dies führte offenbar dazu, dass eine der Frauen Schulden in Höhe von etwa 4000 Euro hatte.
Die BBC schreibt auch über transkribierte Audiobotschaften aus dem Jahr 2020, in denen Tristan Tate zu sagen scheint, er wolle nicht, dass die Frauen auf Websites wie Pornhub und OnlyFans Zugriff auf ihre Konten haben: «Ich möchte nicht, dass sie die Passwörter haben, ich möchte nicht, dass sie irgendetwas haben.»
Hinweise auf Gewaltakt
Die Akte enthält zudem detaillierte Zeugenaussagen über die angebliche Gewalttätigkeit von Andrew Tate gegenüber Frauen. Ein mutmassliches Vergewaltigungsopfer erzählt, dass er ihr bei einem Vorfall gesagt habe, sie solle ihre Kleidung ausziehen – ihre Schuhe behielt sie an. Daraufhin habe der ehemalige Kickboxer ihr dann «ins Gesicht geschlagen». Sie sei nicht in der Lage gewesen, Tate abzuwehren, weil er ihren Kopf beim Sex festhielt, sagt sie. Er habe ihr gedroht, sie zu schwängern und einzusperren, falls er weitere «negative Nachrichten» von ihr erhalte.
Eine andere Frau erzählte den Ermittlern, dass Andrew Tates Gewaltausbrüche während des Sex «seine Art war, Frustration Luft zu verschaffen» – weil sie nicht tat, was er ihr gesagt hatte.
Beweismaterial nicht unbestritten
Weil einige der transkribierten Nachrichten möglicherweise ursprünglich auf Englisch verfasst oder aufgezeichnet worden waren, danach von Staatsanwälten ins Rumänische und dann von der BBC erneut ins Englische übersetzt wurden, ist die Echtheit der Beweise wohl nicht unbestritten.
Experten gehen deshalb davon aus, dass die Anwälte der Tates die Beweise der Anklage bereits vor dem Prozess anfechten werden. Und selbst wenn sie als zulässig befunden würden, könnten die Gebrüder Tate die Beweise während der Verhandlung anfechten. So könnten sie beispielsweise bestreiten, diese oder jene Aussagen überhaupt gemacht zu haben – oder deren Richtigkeit oder ihren Kontext bestreiten.
Dennoch biete die 300-Seiten-Akte «einen beispiellosen Einblick» in die Anklage, schreibt die BBC.
Sieben mutmassliche Opfer bekannt
Der 36-Jährige und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Tristan waren Ende Dezember in Rumänien festgenommen und Ende März unter Hausarrest gestellt worden. Der frühere Kickboxer und «Big Brother»-Kandidat Tate betrieb im Land Studios für Webcam-Sex. Im Juni wurden sie unter anderem wegen Vorwürfen des Menschenhandels, der Vergewaltigung und der Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt.
Die Staatsanwaltschaft wirft den zwei Männern und den zwei Frauen vor, einen Menschenhändlerring in Rumänien und anderen Ländern wie den USA und Grossbritannien zu betreiben. Sieben mutmassliche Opfer von sexueller Ausbeutung seien bekannt, die «durch körperliche Gewalt und psychischen Zwang» zu sexuellen Handlungen für Internet-Pornos gezwungen worden seien, welche die Tate-Brüder dann verkaufen wollten. Ein Termin für den Prozess steht noch nicht fest.
Wegen frauenfeindlicher Äusserungen wurde Andrew Tate aus mehreren Internet-Netzwerken verbannt, hat aber noch immer rund 7,5 Millionen Follower auf Twitter. In Videos gibt er Erfolgstipps und verbreitet frauenfeindliche und bisweilen gewalttätige Lebensweisheiten. So schrieb er unter anderem, Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe würden, seien selbst schuld daran.
nag
Fehler gefunden?Jetzt melden.