König der toxischen MaskulinitätEr will Männer wieder männlich machen
Tiktok wird derzeit von seinen Videos überschwemmt, in denen er offen Gewalt gegen Frauen verherrlicht. Doch Andrew Tate ist weit mehr als nur ein Provokateur.
Frauen können nicht Auto fahren, sind Eigentum ihrer Männer und dürfen im Falle eines Kreislaufstillstands nur wiederbelebt werden, wenn sie «heiss» sind – das sind alles Aussagen von Andrew Tate, der mit seinen misogynen Tiktok-Videos gerade viral geht. Auf der Social-Media-Plattform kursieren Tausende Clips, in denen der amerikanisch-britische Ex-Kickboxer seine höchst problematischen «Lebensweisheiten» teilt – etwa dass Männer nur 18- bis 19-jährige Frauen daten sollten, da diese noch leicht zu «beeinflussen» seien.
Doch erstaunlicherweise sorgt Tate damit nicht nur für Entsetzen, sondern findet unter jungen Männern weltweit Fans. Und das macht Frauenorganisationen Sorge. Rund 11 Milliarden Mal wurden Videos, in denen Tate zu sehen ist, innert weniger Monate angeklickt – der 35-Jährige zählt somit aktuell zu den grössten Stars auf Tiktok. Und auch abseits von Social Media ist er zurzeit einer der gefragtesten Menschen der Welt: Im Juli wurde Tate öfter als Donald Trump oder Kim Kardashian zusammen gegoogelt.
Doch wer ist dieser Andrew Tate, der mit gezielten Provokationen Millionen scheffelt?
Er gibt sich auf Social Media hypermaskulin
In Chicago geboren und im englischen Luton als Sohn eines professionellen Schachspielers und einer Catering-Assistentin aufgewachsen, strebt Emory Andrew Tate III, der auch unter dem Alias «King Cobra» bekannt ist, früh eine Karriere als professioneller Kickboxer an. Er erringt tatsächlich viele Siege, wird 2013 sogar Weltmeister. Doch dann verlagert sich sein Fokus darauf, Ruhm ausserhalb des Sports zu finden – egal wie.
Dass ihm die Inszenierung von Reichtum wichtig ist, zeigt sein Instagram-Profil. Hier prahlt der durchtrainierte Mann mit Glatze bei seinen 4,3 Millionen Followern mit seinem protzigen Lifestyle. Der ist verziert mit Reisen im Privatjet, seinem Fuhrpark voller Sportwagen oder seinen mit Diamanten besetzten Luxusuhren.
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Das selbst ernannte Ziel des «Königs der toxischen Maskulinität», wie er auf Social Media treffend genannt wird: Er will Männer wieder männlich machen. Denn wie Tate in einem Video-Clip auf Tiktok moniert, bestehe «das Problem der heutigen Gesellschaft darin, dass Männern von Frauen gesagt wird, wie sie Männer sein sollen». Auch auf seinem Instagram-Profil gibt sich Tate deshalb gerne betont männlich und machoid: Am liebsten posiert er oben ohne – etwa beim Nunchaku-Schwingen auf einer Jacht oder mit einer AK-47 in den Händen auf einem schnellen Töff.
Wie er in seinem Podcast «Jet Talk with Andrew Tate» klarmacht, will der Selbsthilfe-Guru auch anderen Männern zeigen, wie sie zu einem «richtigen Mann» werden. In seinen Tweets propagiert er seine Idealvorstellung von Männlichkeit mit Aussagen wie «wahre Männer weinen nicht» oder «Männer ohne Stolz und Ehre sind Frauen mit Schwä****».
Zudem sollten sie laut Tate nicht monogam leben, weil die Idee lediglich geschaffen worden sei, um den Mann bis zu einem «gewissen Grad zu unterdrücken». Dabei sei ein Mann viel selbstsicherer, wenn man «mehrere Frauen gleichzeitig hat oder zumindest viele Frauen, die einen anbeten». Kein Wunder, kommt er so gut an.
Minderjährige besuchen seine Online-Schule
Besonders essenziell ist laut Tate aber, dass «wahre Männer» viel Geld verdienen – er selbst behauptet schliesslich, ein Trillionär und somit reicher als Elon Musk zu sein. In Tat und Wahrheit dürfte sich Tates Vermögen jedoch gemäss verschiedenster Schätzungen auf weit weniger, nämlich rund 25 Millionen Dollar belaufen.
Nach eigenen Aussagen verdient Tate sein Geld unter anderem mit Casinos, die er in Rumänien besitzen soll. Zudem hat Tate eine eigene Online-Schule gegründet, wo er seine Lehren verbreitet. In der sogenannten «Hustlers University» lernen junge Männer laut der Website alles über den Finanz- und Kryptomarkt, um ebenfalls reich zu werden. Die Masche zieht: Über 200’000 Mitglieder zählt seine Online-Schule gemäss Tate, der an jedem Abonnenten rund 50 Franken pro Monat verdient.
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Dazu gehören auch Teenager, wie ein Testimonial zeigt, wonach ein 13-Jähriger dank E-Commerce monatlich 10’000 Dollar Umsatz gemacht haben soll. «No Bullshit», steht auf der Website der «Hustler University». «Schnall dich an, es ist Zeit, reich zu werden. Entkomme der Matrix und dem 9-to-5-Hamsterrad. Nimm die rote Pille», heisst es weiter.
Die Anspielung auf den dystopischen Sci-Fi-Film hat bei Tate Programm – wie er in Podcast-Interviews sagt, sieht er sich selbst als Morpheus, der seine Neos aufweckt, um die Matrix-Simulation zu durchbrechen. Man müsse «das System» bekämpfen und alle indoktrinierten Botschaften verlernen, um erfolgreich zu werden.
Seine Fans manipulieren den Tiktok-Algorithmus
Doch de facto rekrutiert Tate mittels seiner Online-Schule lediglich Anhänger, um seinem eigenen System zu dienen. Wie Recherchen des «Observer» zeigen, werden Tates «Schüler» angewiesen, Tiktok mit seinen Videos zu überschwemmen, um den Tiktok-Algorithmus gezielt zu manipulieren. Dies erklärt auch, weshalb auf der Plattform Tausende Nachahmerkonten existieren, die ausschliesslich Tate gewidmet sind.
Um möglichst viele Klicks zu generieren, sollen die Schüler besonders kontroverse Sequenzen aus seinen Podcast-Interviews hochladen. Das zahlt sich für sie aus: Für jedes angeworbene Mitglied sollen seine Schüler eine Provision von 48 Prozent des Mitgliedschaftspreises erhalten – alles Merkmale eines ausgeklügelten Schneeballsystems.
Doch Tate ist weit mehr als nur ein kalkulierter Geschäftsmann, der sein Business mit der bewussten Provokation macht. Dass hinter Tate’s frauenfeindlichen Aussagen nicht nur leere Worte stecken, zeigen gleich mehrere Vorfälle in den letzten Jahren.
Im Jahr 2016 nimmt Tate in der britischen Version von Big Brother teil – und wird prompt rausgeschmissen. Der Grund dafür sind zwei Videos, die während der Ausstrahlung der Sendung auftauchen. In einem ist zu sehen, wie er eine Frau mit einem Gürtel schlägt, in einem anderen fordert er eine Frau auf, die blauen Flecken zu zählen, die er ihr offenbar zugefügt hatte. Obwohl Tate und die betroffenen Frauen behaupten, dass die Clips einvernehmliche Sex-Rollenspiele zeigen, ist Tates TV-Karriere gestorben. Sein Drang, in der Öffentlichkeit zu stehen, jedoch nicht.
Zu seinen Kumpels zählen ultrarechte Trump-Supporter
So gerät Tate später wegen rassistischer und homophober Tweets in die Kritik oder wegen seiner Aussage, dass Depressionen «nicht real» seien. Als Tate dann während der #MeToo-Bewegung im Jahr 2017 twittert, dass Frauen «eine gewisse Verantwortung» für Vergewaltigungen tragen sollten, wird sein Account vom Kurznachrichtendienst gesperrt.
Doch der Shitstorm, der auf seine Tweets folgt, verhilft ihm nur zu mehr Ruhm – und bringt ihm äusserst fragwürdige Freundschaften mit Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern ein. So tritt Tate mehrmals im Podcast «InfoWars» des verurteilten Spinners Alex Jones auf. Dieser musste sich in den vergangenen Wochen vor Gericht für seine Lügen über das Sandy-Hook-Massaker verantworten. Zudem trifft sich Tate, der ein ausgesprochener Trump-Supporter ist, mit Donald Trump Jr. oder mit Ali Alexander, der später die «Stop the Steal»-Bewegung und den Sturm auf das Kapitol mitorganisiert haben soll.
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Vor allem ab 2018 kommt Tates Frauenhass zutage. In Podcast-Interviews sagt der 35-Jährige, dass seine Frauen nicht alleine mit Freundinnen in Clubs oder in Restaurants dürften, sondern zu Hause bleiben müssten. Auf die Frage, was er mit seiner Freundin machen würde, wenn er merken würde, dass sie ihn betrügt, antwortet Tate: «Ich hol die Machete raus, schlag sie ihr ins Gesicht und halte sie sehr fest am Nacken!»
Als Tate zusammen mit seinem Bruder Tristan von Grossbritannien nach Rumänien zieht, deutet er in einem Video an, dass es dort einfacher sei, sich einer Vergewaltigungsanklage zu entziehen. Dies sei «wahrscheinlich 40 Prozent des Grundes», warum er nach Rumänien gezogen sei, sagt Tate und fügt hinzu: «Ich bin kein Vergewaltiger, aber ich mag die Vorstellung, einfach tun zu können, was ich will. Ich mag es, frei zu sein.»
Rumänische Polizei führt Razzia durch
Und so muss Tate geschockt gewesen sein, als die rumänische Polizei im April seinen Wohnsitz stürmt. Wie die rumänische Direktion für die Untersuchung von organisiertem Verbrechen und Terrorismus gegenüber «The Daily Beast» sagt, habe die US-Botschaft einen Hinweis gegeben, dass eine 21-jährige Amerikanerin gegen ihren Willen festgehalten werde. Tate und sein Bruder werden abgeführt und für zwei Tage auf dem Posten festgehalten, dann aber wieder freigelassen. In einem Podcast streiten die beiden jegliches Fehlverhalten ab und posten kurz nach der Razzia folgenden Kommentar auf Social Media: «Bitches love to lie.»
Auch sonst macht das Brüder-Gespann gemeinsam zwielichtige Sachen: Die beiden betreiben eine Webcam-Seite, wo Männer für 4 Pfund die Minute mit leicht bekleideten Models videochatten können. Viele Kunden geben dort jedoch ein Vermögen aus, weil sie auf deren rührselige Fake-Geschichten hereinfallen.
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Die Frauen gaukeln ihren gutgläubigen Opfern etwa vor, einen kranken Hund oder eine kranke Grossmutter zu haben, worauf ihnen die Männer aus Mitleid oder Verliebtheit meist ein saftiges Trinkgeld schicken – «auf eigenes Risiko», wie die Brüder gegenüber der britischen Zeitung «Mirror» betonen. Dort geben die Tates auch offen zu, dass ihr Geschäft ein «total Scam», also ein «totaler Beschiss» sei. Man fühle sich aber nicht schuldig, da «es niemanden interessiert».
Doch ganz ungeschoren kommt Andrew Tate womöglich nicht davon. Wie der «Guardian» schreibt, dauern die Ermittlungen in Rumänien gegen ihn noch an – nur werden ihm jetzt gemäss den rumänischen Behörden auch noch Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen.
Frauenrechtsorganisationen wollen Tate von Tiktok verbannen
Trotz dieser Vorkommnisse reitet Tate weiterhin auf der Erfolgswelle. Denn obwohl ein Grossteil der Videos von Tate gegen die Tiktok-Richtlinien verstösst, die ausdrücklich Frauenfeindlichkeit und Nachahmerkonten verbieten, werden die Videos immer noch tagtäglich in Millionen von Feeds junger Nutzer gespült – auch wenn diese keine ähnlichen Inhalte anschauen, liken oder proaktiv nach Andrew Tate suchen, wie ein Test des «Observers» zeigt. Das verärgert Organisationen, die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzen und Tiktok lautstark dazu auffordern, Tate endgültig von der Plattform zu verbannen.
Dazu gehört etwa die Wohltätigkeitsorganisation White Ribbon, eine Männerbewegung, die sich gegen männliche Gewalt an Frauen einsetzt. Ein Sprecher der Organisation bezeichnete Tates Äusserungen gegenüber «Mail Online» als «extrem frauenfeindlich» und sagte, dass sie «besorgniserregende» langfristige Auswirkungen auf das junge Publikum haben könnten. «Männer und Jungen, die regelmässig negative Darstellungen von Männlichkeit sehen und hören, könnten diese Einstellungen und Verhaltensweisen übernehmen und glauben, dass sie wie der ‹ideale Mann› handeln», so die Wohltätigkeitsorganisation.
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Und was sagt Tiktok? Ein Sprecher der chinesischen Social-Media-Plattform liess gegenüber «Mail Online» verlauten, dass man «Frauenfeindlichkeit und andere hasserfüllte Ideologien und Verhaltensweisen» auf Tiktok nicht toleriere und daran arbeite, diese Inhalte zu überprüfen und bei Verstössen gegen die Richtlinien vorzugehen. Viel hat sich bisher jedoch nicht getan – kein Wunder, verdient Tiktok doch sein Geld damit, die Nutzer auf Inhalte zu lenken, die sie möglichst lange auf seiner App halten. Und was wäre da geeigneter als ein kontroverser Star, dessen Videos man aus Fassungslosigkeit und Unverständnis gleich zweimal anschauen muss?
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