Folgen des KriegsDer Nahe Osten steht in Flammen, aber Benzin und Heizöl sind günstig – warum?
Der Ölpreis ist gerade erstaunlich tief. Welche Faktoren spielen eine Rolle? Und was müssen Konsumenten wissen? Die wichtigsten Antworten.
Nach dem Einmarsch israelischer Bodentruppen in den Süden des Libanon und dem iranischen Raketenangriff auf Israel ist der Ölpreis innert einer Woche zwar um gut 10 Prozent nach oben geschnellt. Am Montag kostete Rohöl der Sorte Brent kurzzeitig mehr als 81 Dollar pro Fass, seither ist der Preis wieder gefallen.
Trotzdem liegt der Ölpreis deutlich tiefer als vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vor einem Jahr, und ebenso deutlich unter dem Niveau im April, als der Iran zuletzt Raketen auf Israel geschossen hatte.
Warum zeigt sich der Ölpreis von der Eskalation in Nahost so wenig beeindruckt?
Nach der letzten israelischen Bodenoffensive im Libanon im Jahr 2006 war der Ölpreis um rund 30 Prozent gestiegen. Während des Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 war er um 70 Prozent hochgeschnellt. Im Vergleich dazu bleibt der Ölmarkt derzeit erstaunlich gelassen.
Zwei Ökonominnen und ein Ökonom der Europäischen Zentralbank haben nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel untersucht, wie geopolitische Ereignisse den Ölpreis beeinflussen. Entgegen der vorherrschenden Meinung bestehe «kein klarer Zusammenhang zwischen Ölpreisen und geopolitischen Ereignissen, wie aufkommenden Spannungen zwischen Ländern oder terroristischen Angriffen», stellen sie fest. Solche Ereignisse führten nicht systematisch zu höheren Preisen, «im Gegenteil, nach vielen Ereignissen bleiben die Ölpreise mehrere Monate lang schwach».
Geopolitische Ereignisse beeinflussen den Ölpreis in gegensätzlicher Richtung. Sie erhöhen einerseits die wirtschaftliche Unsicherheit, was sich negativ auf Konsum und Investitionen auswirkt, das Wirtschaftswachstum beeinträchtigt und so die weltweite Ölnachfrage und die Preise dämpft. Andererseits führen geopolitische Ereignisse dazu, dass die Finanzmärkte Risiken für die zukünftige Ölversorgung einpreisen, was den Ölpreis nach oben treibt.
Welcher Vorgang stärker wirkt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Im Durchschnitt ist jedoch der wachstumsdämpfende Effekt stärker: «Globale geopolitische Schocks bedeuten typischerweise abwärtsgerichtete Risiken für die Ölpreise», stellen die EZB-Fachleute fest.
Welche Faktoren beeinflussen den Ölpreis?
Wenn die Wirtschaft wächst, braucht sie mehr Energie, vor allem Öl. Chinas angekündigte Massnahmen zur Konjunkturankurbelung haben deshalb Anfang Woche den Ölpreis kurzfristig nach oben gezogen. Inzwischen wurden die Erwartungen jedoch gedämpft. Da auch aus den USA und Europa wenig Wachstum erwartet wird, wirkt dies derzeit preisdämpfend.
Einen grossen Einfluss auf den Preis haben Produktionskürzungen oder -ausweitungen der Ölförderländer. Der Aufstieg der USA zum grössten Ölproduzenten der Welt wirkt eher preisdämpfend. Steigt der Ölpreis auf ein gewisses Niveau, fördern US-Firmen mit der Fracking-Methode mehr Öl.
Im Golf von Mexiko ist Wirbelsturmsaison. Treffen Hurrikane die Öl- und Gasplattformen, kann es zu Lieferengpässen und in der Folge zu Preissteigerungen kommen. So hat beispielsweise der Ölkonzern Chevron die Produktion auf ihrer Plattform vor dem Wirbelsturm Milton eingestellt, der über Florida hinweggefegt ist.
Einen zunehmenden Einfluss auf den Ölpreis hat die Spekulation an den Finanzmärkten. Terminkontrakte auf Öl werden von Händlern genutzt, um sich abzusichern. Sie werden aber auch im grossen Stil zu Spekulations- und Anlagezwecken eingesetzt. Über sie wird viel mehr Öl gehandelt, als aus der Erde gepumpt wird.
Die Terminmärkte sind zunehmend stärker von finanztechnischen Faktoren und Algorithmen abhängig als von der Wirtschaftsentwicklung oder von geopolitischen Entwicklungen. Die wechselhafte Stimmung und das Herdenverhalten führen deshalb zu stark schwankenden Ölpreisen.
Wie mächtig ist das Ölkartell Opec?
Die Opec, das Kartell der Erdöl produzierenden Länder, beeinflusst die Ölpreise hauptsächlich durch die Regulierung ihrer Ölfördermengen. Sie hat in Aussicht gestellt, die Fördermengen im Dezember zu erhöhen. Das drückt auf die Preise.
Das Kartell hat an Einfluss eingebüsst, sein Marktanteil sinkt. Die Förderung ausserhalb der Opec macht mittlerweile etwa zwei Drittel der weltweiten Ölproduktion aus.
Die Opec schafft es deshalb nicht mehr, den Preis hochzuhalten. Die Mitgliedstaaten versuchen vor allem, ihre Einnahmen zu halten. Die Disziplin im Kartell lässt nach, einige überschreiten die vereinbarten Förderquoten.
Könnte der Ölpreis wieder auf 100 Dollar steigen?
Nach dem Angriff des Erdölstaats Russland auf die Ukraine stieg der Ölpreis auf über 100 Dollar. Weil die Ölförderung derzeit auf Hochtouren läuft und die Nachfrage schwächelt, hätte ein Ausfall der iranischen Ölproduktion jedoch keine vergleichbare Wirkung.
Bei einem Ausfall des Iran würden Opec-Mitglieder, deren Einnahmen wegen des Marktanteilsverlustes gesunken sind, in die Bresche springen und ihre Produktion erhöhen, erwarten Analysten.
Dramatischer wären die Folgen, wenn die Schifffahrtstrasse von Hormus blockiert würde, denn durch dieses Nadelöhr gehen täglich rund 21 Millionen Fass Rohöl in die Welt hinaus – etwa 20 Prozent des weltweiten Verbrauchs. Das würde sowohl die USA wie auch China auf den Plan rufen, ein Risiko, das wohl keine der Konfliktparteien eingehen wird.
Was heisst das für Heizöl und Benzin?
Der Preis für 100 Liter Heizöl ist in den letzten zwölf Monaten von über 130 auf etwa 100 Franken gesunken. So günstig war es zuletzt vor knapp drei Jahren.
Entsprechend haben sich viele Hausbesitzer für die Heizperiode eingedeckt. Die Mitgliedsfirmen von Swissoil, dem Dachverband der Brennstoffhändler, vermelden «schon seit einigen Monaten gut gefüllte Auftragsbücher wegen des vergleichsweise tiefen Preisniveaus», sagt Geschäftsführer Ueli Bamert.
Auch die Preise für Benzin und Diesel befinden sich derzeit auf einem Dreijahrestief.
Der vergleichsweise tiefe Ölpreis und der starke Franken sorgten für eine spürbare Entlastung der Konsumenten. Tiefere Energiepreise bremsen die Teuerung auch bei anderen Gütern. Daran hat die Eskalation im Nahen Osten bisher nichts geändert.
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