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Boom beim Öl
Der Ölverbrauch wächst – auch wegen des Klimaschutzes

Aerial View of a Oil Refinery and Fuel Storage, Hong Kong, China
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Klimaschutz, Energiewende, netto null: Fossile Energieträger sollen durch erneuerbare ersetzt werden. Vor einem Jahr meldete die Internationale Energieagentur (IEA), «Peak Oil», der erwartete Höhepunkt der Ölnachfrage, sei schon in Sichtweite. Die Nachfrage nach Öl aus fossilen Brennstoffen – ohne Biokraftstoffe, petrochemische Rohstoffe und andere nicht energetische Verwendungen – werde im Jahr 2028 ihren Höhepunkt erreichen – «eine historische Wende».

Schon 2023 überschreite die Benzinnachfrage und 2026 die gesamte Treibstoffnachfrage des Transportsektors ihren Höhepunkt. Diese Trends seien das Ergebnis der Energiewende, der Klimaschutzmassnahmen und des raschen Aufstiegs der Elektrofahrzeuge.

Doch nur ein Jahr später gilt Öl nicht mehr als Auslaufmodell, im Gegenteil. Während grüne Anlagen Abflüsse verzeichnen, sind die Aktien der grossen Ölkonzerne wieder gefragt.

An der Generalversammlung schmetterten die Aktionäre von Exxon Mobil alle Anträge für mehr Klimaschutz ab. So werden zum Beispiel die Boni der Manager nicht an die CO₂-Emissions-Reduktion geknüpft.

Die US-Ölmultis investieren verstärkt in fossile Energieträger. Chevron kann den Konkurrenten Hess übernehmen, nachdem dessen Aktionäre letzte Woche dem 53-Milliarden-Dollar-Angebot zugestimmt haben. Exxon Mobil hat für fast 60 Milliarden Dollar den Schieferölproduzenten Natural gekauft.

A view of an Exxon gas station in Glen Burnie, Maryland on May 29, 2024. ExxonMobil investors will have a chance to weigh in at Wednesday's annual meeting on the company's hardball approach to the latest shareholder challenge from environmentalists over climate change. (Photo by Jim WATSON / AFP)

Die europäischen Ölkonzerne Shell und BP haben in den letzten Jahren stärker auf Nachhaltigkeit gesetzt. Ihre Aktienkurse blieben jedoch deutlich hinter den US-Konkurrenten zurück.

Jetzt wollen sie ihre Investitionen in grüne Energien reduzieren und wieder mehr auf Öl setzen. Die Shell-Aktionäre haben einer Abschwächung der Klimaziele zugestimmt und einen Antrag einer Aktionärsgruppe deutlich abgelehnt, mehr CO₂ einzusparen als bisher geplant.

Der Shell-Chef Wael Sawan liebäugelt mit einem Wechsel der Aktie von London nach New York, weil die US-Investoren den fossilen Energien freundlicher gesinnt sind als die Europäer. Der französische Konzern Total Energies prüft ebenfalls den Wechsel von Paris an die US-Börse.

Experten korrigieren die Ölverbrauchs-Prognosen nach oben

Während die Internationale Energieagentur ihre Prognosen für das Wachstum der Ölnachfrage leicht gesenkt hat, korrigieren andere Experten ihre Prognosen nach oben.

Die Investmentbank Goldman Sachs rechnet nicht mehr mit einem Höhepunkt in diesem Jahrzehnt. Die Ölnachfrage werde bis 2034 auf 110 Millionen Fass pro Tag weiter steigen und bis 2040 auf diesem hohen Niveau verbleiben, so die letzte Woche veröffentlichte Prognose.

Vor allem China, Indien und andere asiatische Länder würden den grössten Teil der Nachfrage ausmachen. Die Einführung von Elektrofahrzeugen werde langsamer vorankommen als erwartet.

Auch die Prognose der Opec, der Organisation erdölexportierender Länder, weicht stark von jener der IEA ab. Die Opec rechnet mit einem deutlich stärkeren Nachfragewachstum in den nächsten Jahren – und sieht den «Peak Oil» noch in weiter Ferne. Gemäss Opec-Prognose steigt der weltweite Ölbedarf bis 2035 um mehr als 12 Prozent im Vergleich zum Jahr 2023.

Das auf Energiedaten und -analysen spezialisierte US-Unternehmen Enverus sieht den Höhepunkt des Ölverbrauchs ebenfalls nicht mehr in diesem Jahrzehnt. «Sowohl die globalen Ölnachfrage-Schätzungen der Opec als auch der IEA erfordern eine signifikante Veränderung im Konsumverhalten oder eine Umkehrung von Massnahmen zur Reduzierung des Ölverbrauchs über einen kurzen Zeitraum. Die Geschichte spricht nicht für sie», sagt der Autor des Berichts, Al Salazar. «Stattdessen glauben wir, dass das Wachstum der Nachfrage allmählich abnehmen, aber nicht den Höhepunkt erreichen wird.»

Obwohl viele wünschten, die CO₂-Emissionen zu senken, «scheint es nur begrenzten Willen zu geben, die Kosten zu tragen oder Gewohnheiten zu ändern», so die Analyse.

Der Klimaschutz beschleunigt den Ölverbrauch

Erschwerend kommt hinzu, dass auch der Klimaschutz selbst zum Anstieg des Ölverbrauchs beiträgt. Eine Verschärfung der Klimapolitik wirke wie eine Art angedrohte Enteignung der Ölproduzenten. Sie beschleunigten deshalb ihre Ölförderung, was den Preis senke und den Verbrauch erhöhe. Dieses vom deutschen Ökonomen Hans-Werner Sinn als «grünes Paradoxon» beschriebene Phänomen war bisher bloss eine interessante Theorie.

Nun bestätigt eine im Mai publizierte Studie von Maya A. Norman und Wolfram Schlenker von der Columbia University das grüne Paradoxon auch empirisch. Sie untersuchten die Reaktionen des Ölpreises auf die Wahrscheinlichkeit von neuen Vorschriften oder Gerichtsurteilen, welche die Ölnutzung begrenzen oder die Klimapolitik verschärfen würden.

Sie stellen fest, dass die Erwartung einer strengeren zukünftigen Klimapolitik die Preise für fossile Brennstoffe sinken lässt und so den Ölverbrauch von der Zukunft in die Gegenwart verlagert. «Wir liefern neue Beweise für das grüne Paradoxon in Bezug auf die Klimaschutzgesetzgebung», schreiben Norman und Schlenker.