Narco-Influencer in LateinamerikaAuf Tiktok feiern Drogenkartelle das schöne Leben
Kriminelle Gruppierungen zeigen in sozialen Netzwerken eine heile Welt mit Goldschmuck, Luxusautos, Waffen und Rauschgift. Ein «Riesenproblem», sagt ein Experte.
Wenige Stunden vor ihrem Tod warb Sabrina Durán Montero noch zu Hause für ein Haarstyling-Produkt. Das Video dazu stellte die Chilenin auf Tiktok, wo es bis heute 15,5 Millionen Mal angeschaut wurde. Die Influencerin, goldene Finger- und Ohrringe, den rechten Arm volltätowiert, präsentierte in kurzen Videos Mode und Beautyprodukte, tanzte zu Latinomusik, zeigte die schönen Seiten des Lebens.
Durán, das muss man wissen, war nicht nur eine Influencerin, sondern auch eine rechtskräftig verurteilte Drogendealerin, die schon in Jugendjahren kriminell wurde. Sie sass ein Jahr lang im Gefängnis, aus dem sie ebenfalls fleissig Videos postete und erst im Mai des letzten Jahres entlassen wurde.
Auf Tiktok verwendete die 24-Jährige den Profilnamen «Juakina Gusman», eine offensichtliche Anspielung auf den mexikanischen Drogenbaron Joaquin «El Chapo» Guzman, den früheren Chef des Sinaloa-Kartells (Schauen Sie hier im Video, wie Chapo so mächtig wurde). Bekannt ist sie bei ihren Fans auch als «Narco-Königin Ina».
Am helllichten Tag erschossen
Wenige Stunden nach dem Haargel-Video wurde Durán Montero auf offener Strasse ermordet. Ein von lokalen Medien publiziertes Video zeigt, wie zwei bewaffnete Männer am helllichten Tag aus dem Auto steigen und mehrfach auf die junge Frau schiessen. Sehr wahrscheinlich handelte es sich um eine Abrechnung im kriminellen Milieu.
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Auf den sozialen Medien erlaubte Sabrina Durán Montero einen kleinen Einblick in die Welt der Drogenkartelle. Die meisten Narco-Influencer stammen aus Mexiko, wo die mächtigsten Drogenkartelle ihren Ursprung haben. Sie zeigen eine heile Welt mit Goldschmuck, Luxusautos, Waffen und Mohnfeldern.
Es begann mit dem brutalen «Blog del Narco»
«Die Social-Media-Videos der Kartelle sind ein riesiges Problem», sagt Falko Ernst vom Thinktank Crisis Group in Mexiko-Stadt. Den Kartellen gelinge es so, Nachwuchs zu rekrutieren und die Narco-Kultur in Mexikos Gesellschaft festzusetzen, so der Experte.
Ausführlich studiert hat die Videos die mexikanische Anthropologin Alejandra León Olvera. Die Kartelle würden ihre Aktivitäten online bewerben, wie das Unternehmen weltweit auch machen, sagt sie im Gespräch. Sie bezeichnet das Phänomen als «Narco-Marketing».
Den Ursprung des Phänomens verortet sie im mexikanischen «Blog del Narco», in dem anonyme Verfasser seit 2010 brutale Kartellvideos online stellen. In den oft verwackelten und kruden Videos sind ungefiltert brutalste Darstellungen von Morden und Folterungen zu sehen. Im Vergleich dazu wirken die heutigen Videos poliert. León Olvera unterteilt sie in ihrer Forschung in drei Kategorien: Hedonismus, Schrecken und soziale Verantwortung.
In der ersten Kategorie geht es darum, das kriminelle Leben möglichst glamourös darzustellen. Da bewässern Narcos Mohnfelder, heben kiloweise Kokain in Transportflugzeuge und zeigen stolz Waffen, Helikopter und Boote. Musikalisch untermalt werden die Videos durch harten Hip-Hop, Reggaeton oder sogenannte Narcocorridos: mit Akkordeon und Gitarre gespielte Drogenballaden, in denen die angeblichen Heldentaten der Kartellchefs verherrlicht werden.
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Diese Videos dienen vor allem der Rekrutierung. Mit ihnen soll der Lebensstil der Kriminellen normalisiert werden. Junge Menschen aus ärmeren Gebieten werden angestiftet, sich kriminellen Gruppierungen anzuschliessen.
In der zweiten Kategorie sollen der Staat oder rivalisierende Drogenbanden abgeschreckt werden. Das wahrscheinlich bekannteste Video des Genres wurde im Juli 2020 veröffentlicht. Es zeigt Männer in Uniform mit hochkalibrigen Waffen und gepanzerten Autos. Man könnte meinen, es handle sich um eine Spezialeinheit des mexikanischen Staates.
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Tatsächlich zeigt das Video Mitglieder des brutalen Cártel Jalisco Nueva Generación, abgekürzt CJNG. Das Video erschien, als Mexikos Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador CJNG-Hochburgen im Westen des Landes besuchte. Es war eine Machtdemonstration der Kriminellen und eine offene Kriegserklärung an den Staat (lesen Sie hier einen Text zu CJNG-Anführer Mencho).
Verbrecher inszenieren sich als Sozialarbeiter
In der dritten Kategorie zeigen die Narcos gemäss León Olvera, wie sie die ärmliche Bevölkerung bei Naturkatastrophen oder Hungersnöten unterstützen. Hier inszenieren sich kriminelle Gruppierungen sozusagen als Sozialarbeiter, die Menschen in Regionen unterstützen, die von der Regierung vernachlässigt werden.
Oft zeigen diese Videos auch den Heiland der Drogenmafia, Jésus Malverde. Er war eine Art Robin Hood in Mexikos Nordwesten, der 1909 je nach Version erschossen oder gehängt wurde. Porträts, Büsten und Figürchen des Mannes mit Schnauzbart und Cowboyhut haben in der Szene ikonischen Status.
Eigentlich könnte man erwarten, dass Drogenkartelle ihren Geschäften im Verborgenen nachgehen. Denn natürlich sind auch die Ermittlungsbehörden auf Social Media unterwegs und erhalten Anhaltspunkte, um Drogendealer zu verhaften. Doch wer mit einschlägigen Suchbegriffen auf sozialen Netzwerken wie Tiktok oder Instagram sucht, findet haufenweise Videos, in denen sich die organisierte Kriminalität darstellt.
Vom Staat haben die Kartelle wenig zu befürchten
«In Mexiko herrscht leider eine Kultur der Straffreiheit. Weniger als fünf Prozent der Morde werden vom Staat aufgeklärt», sagt Experte Falko Ernst. Aus diesem Grund hätten auch die Kartelle wenig zu befürchten, wenn sie ihre Aktivitäten auf sozialen Medien dokumentierten, oft mit Ortsangaben und unverpixelten Gesichtern. Wesentlich höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass verfeindete Kartelle die Videos ihrer Kontrahenten studieren und Todeslisten erstellen.
Die sozialen Netzwerke tun eher wenig gegen die wuchernde Narco-Subkultur auf ihren Kanälen. Einige Videos werden gelöscht, auf Instagram sind auch gewisse Suchbegriffe gesperrt. Der Instagram-Konzern Meta und Tiktok liessen eine Medienanfrage unbeantwortet.
Ohnehin schaffen es die Kartelle relativ leicht, Sperren und Filter der Netzwerke zu umgehen. Ein Beispiel: Die «Chapizas», die Arbeiter des Sinaloa-Kartells, schreiben auf sozialen Netzwerken nur die ersten zwei Buchstaben ihres Eigennamens aus und ergänzen ihn mit dem Pizza-Emoji. Ein kleiner Trick, der die sozialen Netzwerke offensichtlich überfordert.
Nächstes Ziel: Videospiele
Kommt dazu, dass die Kartelle immer einen Schritt voraus sind. Forscherin León Olvera zufolge haben sie bereits einen neuen Kanal gefunden, um Teenager für ihre Geschäfte anzuwerben. In Kriegs- und Strategie-Games, die online gespielt werden, tummeln sich vermehrt auch Kriminelle. Über die Chat-Funktion schreiben sie Mitspieler an und bieten ihnen finanziell lukrative Jobs in der organisierten Kriminalität an.
Betrachtet man ausschliesslich die sozialen Medien, scheint die Welt der Narcos ganz attraktiv, die Faszination nachvollziehbar. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Ende der Kartell-Karriere oft ein früher und gewaltsamer Tod steht. Die Beerdigung der selbst ernannten Narco-Königin Ina musste aus Sicherheitsgründen von 90 Polizisten bewacht werden. «Gott wird dich mit offenen Armen empfangen», schrieb eine Anhängerin auf Tiktok.
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