Mexikos DrogenmafiaDer meistgesuchte Drogenboss der Welt
Nemesio Oseguera Cervantes alias «El Mencho» gilt als intelligent und aussergewöhnlich grausam. Nicht einmal vor Angriffen auf die höchsten Vertreter des Staates schreckt er zurück.
Wahrscheinlich ist er stolz darauf. Nemesio Oseguera Cervantes alias «El Mencho» ist der weltweit meistgesuchte Drogenboss auf der «Most wanted»-Liste der amerikanischen Antidrogenpolizei DEA. Sein Name steht dort, wo vor dessen Verhaftung, Auslieferung und lebenslanger Verurteilung Chapo Guzmán stand, der ehemalige Chefs des Sinaloa-Kartells.
Auf die Ergreifung von El Mencho sind zehn Millionen Dollar ausgesetzt. Einmal haben die US-Behörden in Los Angeles entlang wichtiger Verkehrsachsen riesige Plakate mit seinem Konterfei aufgehängt.
Nemesio Oseguera Cervantes, geboren 1964 oder 1966 im mexikanischen Bundesstaat Michoacán, ist der Anführer des Cártel Jalisco Nueva Generacíon, abgekürzt CJNG. Das ist das mexikanische Drogenkartell, das in den letzten Jahren am meisten Einfluss und Reichtum eroberte – so viel, dass es laut einigen Experten das Sinaloa-Kartell als mächtigste mexikanische Verbrecherorganisation verdrängt hat.
Angriff auf die Staatsmacht
Wie gefährlich das CJNG ist, zeigt sich am 26. Juni in Lomas de Chapultepec, einem von Villen, Residenzen, Botschaften und Luxuslokalen geprägten Viertel der mexikanischen Hauptstadt. Der städtische Polizeichef Omar García Harfuch ist frühmorgens auf dem Weg zu seiner täglichen Sitzung mit der Bürgermeisterin. Nachdem ein quer stehender Lastwagen sein Fahrzeug ausgebremst hat, nimmt ein Killerkommando mit einem Waffenarsenal aus der Hölle den hochrangigen Sicherheitsfunktionär unter Beschuss. Dank der Panzerung seines Wagens wird er nur leicht verletzt, doch zwei seiner Leibwächter kommen ums Leben.
Es stirbt auch die Quesadilla-Verkäuferin Gabriela, die mit ihrem Verkaufswägelchen zufällig am Ort des Attentats steht.
Ein Mordanschlag auf eine Figur vom Profil eines Harfuch in Lomas de Chapultepec – das ist, wie wenn in der Schweiz auf der Zürcher Bahnhofstrasse auf einen Bundesrat geschossen würde. Seit im Dezember 2006 der sogenannte mexikanische Drogenkrieg ausgebrochen ist, hat es kaum jemals einen derart verwegenen Angriff auf die mexikanische Staatsgewalt gegeben. «Eine Deklaration an die Regierung, dass das CJNG zu jeder kriminellen Aktion fähig und bereit ist», schreibt die spanische Zeitung «El País».
El Mencho stammt aus einer armen Familie. Als Kind muss er bei der Avocado-Ernte helfen. Er bricht die Grundschule ab und wandert als Jugendlicher illegal in die USA aus. Dort verurteilt ihn die Justiz mehrmals wegen Drogenhandels und anderer Delikte, er sitzt im Gefängnis, wird nach Mexiko abgeschoben. Eine Zeit lang ist er Gemeindepolizist im Örtchen Tomatlán, dann wechselt er definitiv die Seiten.
Laut mexikanischen Medien schildert ein Ermittler der DEA den mexikanischen Capo als intelligent und geschäftstüchtig. Sein Kartell sei auch deshalb so schnell aufgestiegen, weil El Mencho früher und entschlossener als andere synthetische Drogen und Heroin in den Norden schmuggelte. Im Unterschied zu Chapo Guzmán bleibe er immer in seinen Bergverstecken, auf Abstecher in eine Stadt und die Besuche von Restaurants und Discos verzichte er konsequent.
So gelingt es ihm seit Jahren, dem Schicksal seiner Kinder zu entgehen: Sein Sohn «El Menchito» wurde im Februar verhaftet und in die USA ausgeliefert. Im Glauben, gegen sie liege bei der US-Justiz nichts vor, reiste später seine Tochter Johanna Oseguera zu einem Gerichtstermin ihres Bruders. Und wurde ebenfalls verhaftet.
Wie früher Chapo Guzmán, umgeben auch El Mencho Gerüchte und Legenden. Auf sozialen Netzwerken für tot erklärt, wird er anderntags angeblich in diesem oder jenem Dorf gesehen. Es heisst, er sei schwer nierenkrank, brauche täglich eine Dialyse und fürchte sich vor dem Coronavirus mehr als vor den Ermittlern.
Aus der Ferne mag El Mencho ein Netflix-Lustgruseln provozieren, für Mexiko bedeutet er nichts als Unheil. Denn zu den Gründen für den Erfolg des CJNG gehört auch aussergewöhnliche Brutalität, selbst für die Verhältnisse des mexikanischen Drogenkriegs. El Menchos Killer verschonen nicht einmal Frauen und Kinder, und einmal, als ihn eine Eliteeinheit der Armee beinahe verhaftet hätte, schossen seine Männer mit einer Rakete deren Helikopter ab. Sieben Soldaten und eine Polizistin starben.
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