Freihandel und MenschenrechteDer Westen wendet sich von China ab – die Schweiz macht das Gegenteil
Das Parlament gibt dem Bundesrat grünes Licht für die Verhandlung eines erweiterten Freihandelsabkommens. Auflagen knüpft es kaum daran.
Anfang Juli stand der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin in einem Konferenzhotel in Peking auf einer Bühne und hielt eine Rede. Unter den Hunderten Gästen des Sino-Swiss Economic Forum sass neben 50 Angehörigen einer Schweizer Delegation aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft auch der chinesische Handelsminister Wang Wentao. Kellnerinnen servierten chinesische Gerichte, die Atmosphäre war heiter, der Ton der Rede freundschaftlich.
Die Feierlichkeiten galten dem zehnjährigen Bestehen des Freihandelsabkommens zwischen den beiden Ländern. Wang und Parmelin hatten zudem vor dem Diner schriftlich erklärt, bald Verhandlungen über eine Erweiterung aufnehmen zu wollen.
Ein kritischer Aspekt in Parmelins Rede dürfte Wang trotzdem aufgefallen sein. Direkte Subventionen für einzelne Firmen oder Industrien verzerrten Märkte und setzten falsche Anreize, sagte der Schweizer. «Man muss sich hierfür bloss den globalen Subventionswettlauf anschauen, der sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Schweiz wird und kann sich daran nicht beteiligen.»
Parmelin erwähnte China nicht direkt. Dass er das Gastgeberland meinte, war aber klar. Die chinesische Regierung verbilligt Produkte von Schlüsselindustrien wie E-Autos oder Solarpanels seit Jahren künstlich mit Staatsgeld, um die heimische Industrie zu stützen. Die Billigexporte zerstören in den USA und insbesondere in Europa ganze Branchen.
USA und EU verhängen Strafzölle
Die USA, die EU und am vergangenen Montag Kanada haben darum in den vergangenen Monaten Strafzölle auf verschiedene chinesische Waren eingeführt. Sie treffen damit die kriselnde chinesische Volkswirtschaft empfindlich.
Es ist das jüngste Kapitel einer wirtschaftlichen und politischen Abkehr des Westens von China. Zur Entfremdung beigetragen hatte zuvor, dass China mit seinem Verhalten in der Pandemie die Weltwirtschaft empfindlich gestört hatte und seit Russlands Überfall auf die Ukraine nicht von der Seite des Aggressors weicht.
Strafzölle der Schweiz gegenüber China scheinen im Moment hingegen undenkbar. Vielen Schweizer Amtsträgern fällt es schwer, China zu kritisieren. Falls sie es doch tun, ist es ein Balanceakt. Die Botschaft soll sowohl beim chinesischen Gegenüber als auch beim Publikum in der Schweiz Wirkung zeigen, Ersteres aber nicht nachhaltig verärgern.
Die Diskussion über die richtige Art der Kritik an China hat am vergangenen Dienstag neue Nahrung erhalten: Die aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat Verhandlungen über eine Erweiterung des Freihandelsabkommens zugestimmt. Jetzt können Parmelins Unterhändler die Arbeit aufnehmen.
Muss Cassis China weiterhin gesondert behandeln?
Sie haben dafür kaum Auflagen erhalten. Eine Reihe von Anträgen der Linken mit dem Ziel, Umwelt- und Menschenrechtsstandards im Verhandlungsmandat zu verankern, scheiterte in der Kommission.
Konfliktpotenzial birgt jedoch die Diskussion über eine neue sogenannte China-Strategie der Schweiz. Bei solchen Strategien handelt es sich um öffentliche Dokumente, die Akteuren des Bundes eine Orientierungshilfe im Umgang mit dem jeweiligen Gegenüber bieten.
Üblicherweise wird das in Regionenstrategien zusammengefasst. 2021 jedoch veröffentlichte das Aussendepartement unter Ignazio Cassis zum ersten Mal eine Strategie für ein einzelnes Land, nämlich China. Diese Behandlung, und dass das Papier kritische Aspekte bezüglich der Menschen- und Arbeitsrechte beinhaltete, kam in Peking nicht gut an.
Unter anderem deswegen entschied sich Aussenminister Cassis im Frühsommer, die China-Strategie nach drei Jahren wieder zu beenden und sie in eine Asien-Strategie einzubetten. Eine Mitte-links-Mehrheit in der Parlamentskommission hat ihn vergangenen Dienstag gestoppt: Sie beantragt dem Parlament, Cassis dazu zu verpflichten, die Strategie weiterzuführen. FDP und SVP befürchten, dass das die Verhandlungen mit China erschweren würde.
«Die China-Strategie ausgerechnet in diesem Moment zu beerdigen, wo die bürgerliche Mehrheit sich wirtschaftlich noch näher an diese Autokratie binden will, ist heuchlerisch», sagt SP-Vertreter Fabian Molina, der den Antrag eingereicht hat. «Zudem ist es politisch dumm. Die Schweizer Bevölkerung wird ein neues Freihandelsabkommen nicht annehmen, wenn sie spürt, dass der Bundesrat die Menschenrechtssituation in China nicht kritisch genug würdigt.»
China wird vor allem vorgeworfen, in der nordwestlichen Provinz Xinjiang Exportprodukte durch Zwangsarbeit herstellen zu lassen. SP und Grüne haben schon angekündigt, das Referendum gegen ein neues Abkommen ergreifen zu wollen, sollte dieses keine griffigen Klauseln betreffend Menschenrechte und Umwelt beinhalten.
Dass sie gute Chancen auf Erfolg hätten, zeigt ein Blick auf die Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien von 2021, das die Bevölkerung nur knapp angenommen hat. Und das, obwohl die SP sich dafür ausgesprochen hatte.
China kommt sonst niemandem so weit entgegen
Dem Bundesrat ist darum klar, dass er in diesem Bereich etwas von China herausschlagen muss. Die chinesische Seite hat bereits ihr Entgegenkommen signalisiert. Die Frage ist, wie weit China bereit ist zu gehen. Beinhaltet das entsprechende Kapitel nur Arbeitsrechtsfragen oder Menschenrechte im breiteren Sinn? Letzteres scheint ausgeschlossen.
Eine weitere Frage ist, ob Kontroll- oder gar Sanktionsmechanismen vorgesehen sind. Im Moment läuft es auf die Einrichtung von Expertenpanels hinaus, die Vorschläge für die chinesische Regierung erarbeiten würden. Die Kritik von links, diese Gremien seien zahnlos, wäre garantiert.
Die Haltung in Guy Parmelins Wirtschaftsdepartement und der meisten Bürgerlichen im Parlament ist dagegen, dass China in solchen Fragen keinem anderen Land so weit entgegenkommt wie der Schweiz. Die Schweiz solle das für sich nutzen.
Die gleiche Begründung existiert für den Menschenrechtsdialog, den die Schweiz seit Jahren – mit Unterbrüchen wegen Missstimmungen – mit China führt. Wie viel dieser tatsächlich bringt, ist umstritten. Doch immerhin, so die Haltung, spricht die offizielle Schweiz gegenüber chinesischen Amtsträgern Kritik und Bedenken offen an.
«Wenn wir auf engere wirtschaftliche Beziehungen zu China verzichten, verbessert das die Menschenrechte in China nicht», sagte Helene Budliger Artieda, Parmelins zuständige Staatssekretärin, auf Anfrage. «Für die Schweizer Volkswirtschaft hätte eine solche Entscheidung jedoch negative Folgen.» China ist nach den USA, Deutschland, Italien und Slowenien der fünftwichtigste Exportmarkt der Schweiz.
«Gegen diese Bemühungen kann man an sich nicht sein», schätzt Ralph Weber, China-Experte an der Universität Basel, die Lage ein. «Doch der Status, den die Schweizer Politik ihnen beimisst, steht im groben Missverhältnis zur Wirkung in China. Für viele, die vor allem wirtschaftliche Interessen in China haben, dient der Dialog als Feigenblatt.»
Eine ähnliche Wirkung habe die Wiederaufnahme der Verhandlungen für China, sagt Weber. «Eine enge Beziehung zur Schweiz verhilft China in erster Linie zu mehr Legitimation auf der Weltbühne, was es gerade dringend nötig hat.» Für die Schweiz stellt sich hingegen angesichts der wichtigen Verhandlungen über die bilateralen Beziehungen mit der EU die Frage, ob Chinas negatives Image im ungünstigsten Fall auf sie abfärben könnte.
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