Gastbeitrag zur Schweizer DiplomatieChina-Politik des Bundesrats ist schwer nachvollziehbar
Es wäre unverantwortlich von der Schweiz, die Handelsbeziehungen zu China zu intensivieren. Ein Gastbeitrag der Präsidentin des Uigurischen Vereins Schweiz.
Die Schweiz will mit China Verhandlungen über eine Weiterentwicklung des bilateralen Freihandelsabkommens aufnehmen. Dazu haben die beiden Staaten am 1. Juli, anlässlich des 10-Jahr-Jubiläums des bilateralen Freihandelsabkommens, feierlich eine Absichtserklärung unterzeichnet.
Im Gegensatz dazu war der 1. Juli für mich kein Tag zum Feiern. Ich war mit meinen uigurischen Freundinnen und Unterstützern auf dem Bundesplatz und habe gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen in meiner uigurischen Heimat demonstriert. Ich selbst musste mit meiner Familie vor dieser Gewalt fliehen und bin heute dankbar, dass ich mir ein Leben in der Schweiz aufbauen konnte. Aber ich bin ständig in Sorge um meine Verwandten, die noch in der Heimat in Ostturkestan leben. Kontakt mit ihnen habe ich nicht, so wie alle Uigurinnen und Uiguren im Ausland. Wenn Uiguren aus der Heimat mit Verwandten im Ausland kommunizieren, droht ihnen Repression durch den chinesischen Staat. Das kann lebensbedrohliche Folgen haben. Auch uns Uigurinnen im Exil droht Verfolgung durch den chinesischen Staat.
Es fällt mir schwer, zu verstehen, wie die Schweiz vor zehn Jahren ein Freihandelsabkommen mit einem Regime abschliessen konnte, das für so viel Leid verantwortlich ist. Und dass dabei von der Hoffnung auf «Wandel durch Handel» gesprochen wurde. Denn für jede Uigurin, für jeden Uiguren war bereits damals klar: Die Kommunistische Partei Chinas wird sich keinen Millimeter demokratisieren.
Repressionskampagne gegen 10 Millionen Menschen
Wenn es bereits vor zehn Jahren schwer nachvollziehbar war, sich Hoffnung auf eine humanere chinesische Regierung zu machen, wirkt diese Vorstellung heute nur noch zynisch. Es ist für mich und meine uigurischen Freunde in der Diaspora schwer fassbar, wie sich die Schweizer Regierung nun um eine Vertiefung des bestehenden Abkommens bemühen kann. Hat sie die massive Repressionskampagne gegen mein Volk in den letzten Jahren denn nicht wahrgenommen? Hat der Bundesrat die wissenschaftlichen Belege über das Netz an staatlichen sogenannten Umerziehungslagern nicht gelesen? Und was sagt der Bundesrat zu der gut dokumentierten staatlich organisierten Zwangsarbeit? Um es in Zahlen auszudrücken: Es geht hier um die Unterdrückung eines Volkes, dem in China rund 10 Millionen Menschen angehören.
Bereits 2018 warnte eine Petition der Gesellschaft für bedrohte Völker und tibetischen Organisationen vor den Auswirkungen der zunehmend engeren wirtschaftlichen Beziehung mit China auf die Rechte der Tibeter und Uiguren in der Schweiz. Daraufhin verlangte die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats 2020 vom Bundesrat einen detaillierten Bericht, dessen Publikation leider bis heute nicht erfolgt ist. Diesen Bericht abzuwarten, bevor sich die Schweiz erneut in Verhandlungen mit China begibt, ist das Mindeste, was der Bundesrat tun muss. Auch gehört dazu, dass der Bundesrat vor Verhandlungsbeginn eine externe Prüfung zu den Auswirkungen des Freihandelsabkommens und der geplanten Erweiterung auf die Menschenrechtslage in China sowie der Diaspora durchführen lässt. Alles andere wäre komplett unverständlich.
Rizwana Ilham ist Präsidentin des Uigurischen Vereins Schweiz.
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