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Prozess gegen Tate-Brüder
Andrew Tate will bald Grossbritannien regieren. Doch in Rumänien steht er unter Hausarrest

Andrew Tate gestikuliert neben seinem Bruder Tristan ausserhalb des Bukarester Tribunals in Bukarest, Rumänien.
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In Kürze:
  • Die rumänische Staatsanwaltschaft hat den Influencer Andrew Tate wegen Menschenhandels und Vergewaltigung angeklagt. Sein Bruder Tristan und zwei Frauen sollen seine Komplizen gewesen sein.
  • Chatprotokolle zeigen, wie Tate Frauen manipuliert und zu pornografischen Videos gezwungen haben soll.
  • Trotz vieler Beweise droht die Einstellung des Verfahrens.
  • Andrew Tate stellt sich als zu Unrecht verfolgt und zu Höherem berufen dar – er will in die Politik.

Wer sie nicht kennt, könnte die kleine Gruppe vor Saal Nummer 243 im Gericht von Bukarest für Hollywoodstars halten, die auf eine Preisverleihung warten. Zwei Bodyguards lungern herum, die beiden Frauen auf der Bank tragen High Heels und teure Handtaschen, der Mann am Fenster hat ein weisses Tuch in seiner Sakkotasche drapiert.

Der andere Mann trägt auch im Gerichtsgebäude seine Sonnenbrille. Sie gehört zu seiner Ausstattung, genau wie Zigarren, dicke Autos und inzwischen auch Besuche vor Gericht.

Der Mann, der an diesem Januarmorgen den Gang im Gericht zu seinem roten Teppich macht, ist Andrew Tate: britischer Influencer mit mehr als zehn Millionen Followern auf X, 38 Jahre alt, selbst ernannter König toxischer Männlichkeit. Und Angeklagter in einem der meistbeachteten Strafverfahren Europas.

Gut zwei Jahre ist es her, dass rumänische Polizisten Tates Haus stürmten und ihn festnahmen. Im Juni 2023 klagte ihn eine rumänische Staatsanwaltschaft wegen Menschenhandels und Vergewaltigung an, sein Bruder Tristan und zwei Frauen sollen seine Komplizen gewesen sein. Sie alle warten jetzt gemeinsam vor dem Gerichtssaal.

Andrew Tates Fans absolvierten den «Zuhälterabschluss»

Tates Welt ist die der Influencer, eine, in der man mit Kochrezepten, Mode und Reisevideos berühmt werden kann. Oder damit, wie man Frauen möglichst schlecht behandelt, so wie Andrew Tate es lehrte. In Onlinekursen erklärte er, warum Männer Frauen angeblich überlegen seien, warum man schon mal zuschlagen dürfe.

Eines seiner Programme nannte er den «Pimpin’ Hoes Degree», den Zuhälterabschluss. Tate versprach anderen Männern Reichtum und erklärte ihnen, wie er ihn selbst erlangt habe: im Webcam-Business, mit Frauen, die sich für ihn auf Erotikseiten präsentierten.

Andrew Tate und sein Bruder Tristan werden von Polizisten zum Berufungsgericht in Bukarest gebracht, 1. Februar 2023.

Schon 2015 zeigten ihn Frauen in Grossbritannien unter anderem wegen Vergewaltigung an. Der Brite zog daraufhin nach Rumänien. «Ich bin kein Vergewaltiger», erklärte er damals. «Aber ich mag die Idee, zu tun, was ich will.» Die Ermittlungen in seiner Heimat wurden eingestellt, nun haben ihn die Vorwürfe anderer Frauen in Rumänien eingeholt.

Die rumänische Staatsanwaltschaft hat Tate vorgeworfen, Frauen mit der Loverboy-Methode manipuliert zu haben, ihnen Gefühle vorgetäuscht und sie dann zu pornografischen Videos auf Plattformen wie Onlyfans gezwungen zu haben. Die Anklage liegt dieser Redaktion vor.

Für manche wirkte der rumänische Prozess wie ein Versprechen: «Andrew Tate dachte, er stehe über dem Gesetz. Rumänien hat ihn eines Besseren belehrt», schrieb die «New York Times» im Frühjahr 2023.

Jetzt droht die Einstellung des Verfahrens

Aber ob das Verfahren dieses Versprechen einlösen kann, ist offener denn je: Im Dezember gab ein rumänisches Berufungsgericht die Anklage an die Staatsanwaltschaft zurück, wegen «Unregelmässigkeiten». Kann sie diese nicht ausräumen, muss sie das Verfahren einstellen.

An diesem Tag im Januar, im Saal 243 des Bukarester Gerichts, soll es aber gar nicht um die Frauen gehen. Der Termin ist – wie so viele in dem Fall – nur wegen der Dinge angesetzt, die den Tates gehörten und bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt wurden.

Mit den beiden Frauen auf der Bank wechseln die Brüder kein Wort. Dabei sollen sie früher viel Kontakt gehabt haben: Die Staatsanwaltschaft hält die beiden für Komplizinnen der Tates. So ähnlich erklärt Andrew Tate es im März 2022 auch einer Frau, um die er wirbt.

Die Nachricht ist eine von vielen transkribierten Chats aus der Anklage. «Ich habe gehört, du bist derjenige, der das Mädchengeschäft leitet. Onlyfans und Tiktok», schreibt ihm die Frau, die deutlich jünger ist als er. Andrew Tate antwortet: «Tristan und G sind es.» Tristan ist Tates Bruder, G steht für die Mitangeklagte Georgiana N. «Aber ich führe sie.»

Chats zeigen, wie Tates Masche funktioniert haben soll

An den Chats lässt sich nachzeichnen, wie Tates Masche funktioniert haben soll. Er und die Frau hatten sich demnach wenige Wochen vorher kennen gelernt. Tate fragt, ob sie schon mal in Dubai gewesen sei. «Ich bringe dich hin», verspricht er. «Ich habe dort ein Haus.» Über Wochen schreiben sie ständig, bald sogar über Heirat, darüber, ob sie sich so schnell vertrauen können.

Tate fragt: «Kannst du genug lieben, um eine Ehefrau zu sein? An meiner Seite zu bleiben, wohin ich auch gehe?» Er schreibt, er wolle, dass sie den Sommer mit ihm in Rumänien verbringe. «Dass du mir hilfst. Auf viele Arten.» In der Anklage ist ihre Antwort in Grossbuchstaben festgehalten: «Ich will keinen Videochat machen.» Sie habe im Internet von seinen Geschäften gelesen. Er verspricht, darum werde er sie niemals bitten.

Es kommt offenbar anders. Die Frau fliegt nach Rumänien, doch statt in seinem Anwesen soll Tate sie in einem Haus mit anderen Frauen untergebracht haben, die laut Anklage für besagte Georgiana N. im Webcam-Geschäft arbeiten.

Bald darauf habe N. die junge Frau gefragt, ob sie nicht einen Tiktok-Account erstellen wolle. Wieder schreibt diese Frau an Andrew Tate: «Ich will nicht für sie arbeiten.» Er antwortet, er habe oft Geschäftsprobleme, könne ihr nicht immer aushelfen: «Besser, du machst 10’000 im Monat für dich selbst.» Es sei ihre Entscheidung. Nur einige Minuten später schreibt er: «Du kannst alles für Geld tun, solange du mich zuerst fragst.» Und: «Besser, du gehorchst mir.»

Ermittlern sagt diese Frau später, Andrew Tate habe sie kurz danach vergewaltigt. Am Ende habe sie für die Tates vor der Kamera gestanden. Laut Anklage machten manche der Frauen in 12-Stunden-Schichten nur fünf Minuten Pause.

Wo in Rumänien «heikle Verfahren verschimmeln»

Im April 2024 liess eine erste Instanz der rumänischen Gerichtsbarkeit diese und weitere Aussagen und Beweise der Staatsanwaltschaft zu, das Hauptverfahren sollte beginnen. Doch die Anwälte der Tates legten Einspruch ein. In Rumänien durchlaufen Anklagen zuerst eine gesonderte Kammer, die Beweise auf ihre Rechtmässigkeit prüft. In der Regel hat sie dafür 60 Tage Zeit – doch es gibt Ausnahmen.

Die NGO eLiberare berichtet von Fällen, die so fünf Jahre lang festhängen. Ein rumänisches Medium beschrieb die Kammer kürzlich als «Ort, an dem heikle Verfahren verschimmeln». Juristen kritisieren, dass Strafverteidiger Prozesse mit Anfechtungen absichtlich verzögern.

Solange nicht klar ist, ob die zentralen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft überhaupt verhandelt werden – der Menschenhandel, die sexuellen Übergriffe –, kreisen die Gerichtstermine darum, ob Tate seine Autos zurückbekommt und ob er Rumänien verlassen darf. Aktuell steht er unter Hausarrest, gegen ihn laufen noch weitere Ermittlungen.

«Natürlich fragen sich die Frauen bei jedem Schritt, warum passiert das, warum dauert es so lange», sagt Daniela Zaharia-Manescu, Anwältin von zwei der mutmasslichen Opfer. Unter EU-Staaten gilt Rumänien noch immer als Drehscheibe für Menschenhändler. Das Vorverfahren kreise dagegen ständig um die Rechte der Angeklagten, meint Zaharia-Manescu: «Jedes Mal, wenn du eine Akte aufmachst, dieselben Worte: das Recht des Angeklagten, das Recht auf Verteidigung … Okay. Aber wo sind die Rechte der Opfer?»

Im Dezember schloss ein Berufungsgericht zwei Aussagen mutmasslicher Opfer aus – darunter auch eine Aussage jener Frau, die Tate vergewaltigt haben soll.

Wie die Tates ist Daniela Zaharia-Manescu Anfang Januar im Gericht erschienen. Die Sitzung dauert genau 14 Minuten und wird dann vertagt. Noch ist unklar, ob und wann die Staatsanwaltschaft eine überarbeitete Anklage einreicht. Aber wenn sich Zaharia-Manescu Sorgen macht, verbirgt sie es gut: «Ich weiss, was in der Akte ist. Und da ist immer noch sehr viel.»

Jetzt will Andrew Tate auch noch Premierminister werden

Inzwischen versucht Andrew Tate es mit einem anderen Geschäftsmodell. Auf seiner Onlineplattform «The Real World» verkauft er Kurse zu künstlicher Intelligenz und Krypto-Geschäften. Anfang Januar postete er auf seinem X-Profil ein Video, der Inhalt klingt fast wie eine Parodie auf Donald Trump: zu Unrecht von der Justiz verfolgt, zu Höherem berufen: «Ich bin hier, um mich als einzige Hoffnung und Chance vorzustellen.»

Er habe in Grossbritannien eine neue Partei gegründet, sagt er, Bruv, Slang für Bruder, sie werde dem Niedergang Grossbritanniens ein Ende setzen. Man fragt sich, wie: Tate soll in seine Heimat ausgeliefert werden, sobald der Prozess in Rumänien abgeschlossen ist. Im Vereinigten Königreich warten dann weitere Verfahren.

Nach dem Ende des 14-minütigen Verhandlungstags tritt Andrew Tate ins Freie, wo Kamerateams warten. Er steigt in ein schwarzes Auto, lässt die Scheibe herunter: «Von jetzt an», sagt er, «möchte ich, dass Sie mich als ‹Herr zukünftiger Premierminister› ansprechen.» Sein Bodyguard lacht. Aber viele nehmen ihn ernst.

Mitarbeit: Lea Weinmann, Livia Hofmann