Debatte um AKW-NeubauverbotDieser Vorschlag soll den Atomstreit entschärfen
Ein neuer Kriterienkatalog soll auf objektive Weise die Chancen und Risiken neuer AKW in der Schweiz aufzeigen. Der Wirtschaftsverband Swisscleantech will so die Atomdebatte entkrampfen. Doch sein Vorschlag polarisiert.
Soll es in der Schweiz wieder erlaubt sein, Atomkraftwerke zu bauen? Ja, findet der Bundesrat. Seit seinem Entscheid von Ende August scheint die Frontlinie zwischen Atombefürwortern und -gegnern so scharf gezeichnet wie zuletzt 2017, als die Schweizer Bevölkerung über die Energiestrategie 2050 des Bundes und damit über das Neubauverbot entscheiden musste.
Christian Zeyer will das ändern: «Wir haben einen Vorschlag, wie man die Diskussion entkrampfen könnte.»
Zeyer ist Co-Geschäftsführer von Swisscleantech. Der Wirtschaftsverband hat die Energiestrategie 2050 vor sieben Jahren als «pragmatische Entscheidung» bezeichnet. Noch heute plädiert er dafür, die erneuerbaren Energien rasch und massiv auszubauen. Unbesehen davon hält er es für ein «mögliches und sinnvolles» Szenario, die bestehenden Kernkraftwerke bis zum Alter von sechzig Jahren laufen zu lassen, wie es aktuell zur Debatte steht.
Mit Blick auf mögliche neue AKW in der Schweiz hat Swisscleantech nun einen Anforderungskatalog entwickelt. Er soll es ermöglichen, Chancen und Risiken abzuwägen und so «vernünftige» Entscheide zu treffen. Der Katalog umfasst acht Punkte, dazu gehören unter anderem die Wirtschaftlichkeit, die Gefährdung der Umwelt und die Betriebssicherheit.
Zeyer betont, es gehe nicht nur um neue Kernkraftwerke, sondern darum, in Zukunft jedwede Technologien in der Energieproduktion auf ihr Potenzial zu untersuchen und zuzulassen.
Welche Kriterien sollen für neue AKW gelten?
Die Idee einer objektiven Technologiebewertung mag bestechend klingen. Allerdings gibt es einen Haken: Welche Kriterien werden für die Bewertung herangezogen und wie gewichtet? Kernkraftwerke der aktuellen dritten Generation kämen nach dem vorgeschlagenen Kriterienkatalog nicht infrage, so Swisscleantech, ebenso wenig ein Ersatz der bestehenden Anlagen durch weiter entwickelte, aber typenähnliche Kernkraftwerke.
Hingegen gebe es in der Forschung aktuell Konzepte, die mit dem Versprechen anträten, die acht Kriterien zu erfüllen, sagt Zeyer. «Wäre dies der Fall, wäre deren Einsatz aus unserer Sicht legitim.» Gemeint sind Kernkraftwerke der vierten Generation. Sie sollen effizienter und zugleich sicherer sein und nicht für die Herstellung von Atomwaffen missbraucht werden können.
Kritik an Swisscleantech aus der FDP
Wie nun aber erste Reaktionen zeigen, «entkrampft» der Vorschlag die Debatte nicht, sondern heizt sie vielmehr an. «Swisscleantech hat diese Kriterien bewusst so angelegt, dass keine neuen AKW gebaut werden können», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, der für die Aufhebung des Neubauverbots kämpft. «Das ist ideologisch und wenig hilfreich.»
Für Wasserfallen sind andere Kriterien bei einem Neubauprojekt entscheidend: Versorgungssicherheit, insbesondere im Winterhalbjahr, Vereinbarkeit mit den Klimazielen des Bundes, Offenheit gegenüber allen Technologien. Fragen wie jene nach Sicherheit, Entsorgung oder Rohstoffbeschaffung gehören nach Wasserfallens Dafürhalten auch sauber geklärt, allerdings erst nach dem Grundsatzentscheid für ein neues Kernkraftwerk im Zuge der Rahmen- und Baubewilligung.
Kritik übt auch Nicolo Paganini. «Die gewählten Kriterien greifen zu kurz», sagt der Mitte-Nationalrat. Als Beispiel nennt er die geforderte Wirtschaftlichkeit: Es sei ja so, dass zurzeit keine einzige Technologie wirtschaftlich sei.
Zeyer von Swisscleantech entgegnet, die nun präsentierten Kriterien seien als Diskussionsgrundlage für Politik und Gesellschaft zu verstehen. «Idealerweise werden sie breit diskutiert, unterschiedlich gewichtet und dann politisch verabschiedet.»
Bastien Girod hält diesen Ansatz für richtig. Allerdings sieht auch er Schwierigkeiten. Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit etwa, so der Grünen-Nationalrat, sei eine Knacknuss. «Es ist nicht so einfach, hier ein sauberes Resultat zu erhalten.» Dies, weil mit Blick auf die Technologiekosten und die Entwicklung des Strommarktes viele Unsicherheiten bestünden.
EU-Taxonomie als Vorbild?
Als mögliche Grundlage für die Festlegung der Kriterien nennt Girod die EU-Taxonomie, mit der die EU nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten klassifiziert. Die Taxonomie soll so mehr Geld in entsprechende Technologien und Unternehmen lenken und der EU auf diese Weise helfen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Seit vergangenem Jahr stuft die EU auch Kernkraft als nachhaltig ein. Allerdings nur dann, wenn die Anlagen hohen Sicherheitsstandards entsprechen und es ein Konzept für die Endlagerung des Atommülls spätestens ab 2050 gibt.
Auch Jürg Grossen äussert sich positiv. Der GLP-Chef selber will zwar keine neuen AKW in der Schweiz, er lehnt daher sowohl die Blackout-Initiative als auch den Gegenvorschlag des Bundesrats ab. Sollte sich das Parlament aber für einen Gegenvorschlag entscheiden, «könnte der Vorschlag von Swisscleantech einen interessanten Weg darstellen».
Das sieht Nicolo Paganini anders. Die Atomfrage sei hochpolitisch. «Man wird die Diskussion nicht mit dem Ausfüllen eines Excel-Sheets mit hinterlegten Kriterien erschlagen können», sagt der Mitte-Politiker. Sollte es zu einer erneuten Volksabstimmung kommen, werde die Stimmbevölkerung zu entscheiden haben, welche Aspekte sie bei der Sicherung der künftigen Energieversorgung in welcher Art gewichten wolle.
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