Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neue Schweizer Atomtechnologie
Dieses sichere Kernkraftwerk vernichtet sogar den Atommüll

Verbrennt langlebigen und hoch radioaktiven Atommüll: Darstellung des Transmutex-Reaktors.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Das Schweizer Unternehmen Transmutex tüftelt an einem Reaktor, der das schlechte Image der Kernenergie aufpolieren könnte. Den hochgiftigen Müll heutiger Kernkraftwerke soll diese Maschine unter Energiegewinnung zu einem guten Teil in kurzlebige Isotope verwandeln, die nicht Hunderttausende von Jahren, sondern überschaubare 500 Jahre in einem geologischen Tiefenlager vergraben werden müssten.

Anstelle von Uran, das mit aktuellen Reaktortechnologien vielleicht schon in rund 100 Jahren aufgebraucht wäre, käme das auf menschlichen Zeitskalen unerschöpfliche Thorium als Kernbrennstoff zum Einsatz. Und schwere Unfälle wie in Tschernobyl oder Fukushima wären konstruktionsbedingt ausgeschlossen.

Bei der Entwicklung dieses neuartigen Kernkraftwerks sei man schon sehr weit fortgeschritten, die essenziellen technologischen Aspekte hätten bereits verschiedene Institute demonstriert, heisst es auf der Website der Firma. «Es bleibt nur noch, die verschiedenen Technologien zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzufügen.»

Von Transmutex geplanter Kernreaktor gewinnt an Bedeutung

Laut Franklin Servan-Schreiber, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Transmutex, könnte eine einzelne solche Anlage eine Stadt wie Basel mit Strom versorgen. Um Dunkelflauten auszugleichen und Strommangellagen zu vermeiden, wäre das eine sichere Ergänzung zu erneuerbaren Energien. «Wichtiger ist vielleicht aber, dass dabei gleichzeitig der bereits vorhandene, hoch radioaktive Atommüll vernichtet und Krebsmedikamente hergestellt werden könnten», sagt Servan-Schreiber.

Portrait of Franklin Servan-Schreiber (Servan Schreiber) devant devant un instrument de mesure du synchrotron SLS (Swiss Light Source) de L'Institut Paul Scherrer PSI 19/10/2021 ©Julien Faure/Leextra via opale.photo

Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte, ob der Neubau von Kernkraftwerken in der Schweiz wieder erlaubt werden sollte, gewinnt der von Transmutex geplante Kernreaktor an Bedeutung. Könnte er Teil der Energiestrategie der Schweiz werden? Und kann er die grossen Versprechen einlösen?

Wie funktioniert der neue Kernreaktor?

Das Besondere an diesem Kernreaktor ist, dass er für sich genommen gar nicht funktioniert. Denn der Kernbrennstoff, vorwiegend Thorium-232, lässt sich nicht direkt spalten. Das gelingt erst mithilfe eines Teilchenbeschleunigers. Dieser schiesst Protonen auf einen Behälter mit flüssigem Blei, um den herum die Thorium-Brennstäbe angeordnet sind. Dabei werden aus dem Blei Neutronen freigesetzt, die das Thorium-232 sukzessive in das leicht spaltbare Uran-233 verwandeln. Die Fachwelt spricht von Transmutation, wovon sich der Name Transmutex ableitet.

Transmutex tüftelt auch an der «Abfalltrennung», also am Design einer Wiederaufbereitungsanlage, in der verschiedene radioaktive Elemente aus alten Brennstäben extrahiert werden, darunter Uran, Plutonium, Neptunium und Americium. Dann werden diese Elemente den Thorium-Brennstäben beigemischt und im Reaktor unter Energiegewinnung verbrannt.

Ursprünglich arbeitete Transmutex mit russischen Firmen zusammen. Das ist Geschichte: «Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 gibt es keine Kollaboration mehr mit Russland», sagt Servan-Schreiber.

Welches sind die grössten Hürden?

«Eine grosse Herausforderung ist der Bau des Protonenbeschleunigers», sagt Andreas Pautz, Leiter des Zentrums für nukleare Technologien und Wissenschaften am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villigen und Professor für Nuklearingenieurwesen an der ETH Lausanne. «Bis heute gibt es keinen Beschleuniger mit der nötigen Strahlintensität.» Pautz hält dessen Entwicklung aber für technisch machbar.

1988. Das Herzstück der Grossanlagenforschung am PSI: Der grosse Protonen-Ringbeschleuniger.

«Relevanter als die Strahlintensität ist ohnehin der ununterbrochene Betrieb des Beschleunigers», sagt Pautz, der nicht an Transmutex beteiligt ist. Der Beschleuniger darf gemäss Transmutex maximal einmal pro Jahr für mehr als 20 Sekunden ausfallen. «Es ist sicherlich nicht einfach, das zu erreichen», sagt Pautz. Die Fachwelt sei aber «einigermassen zuversichtlich, dass man das innerhalb von fünf bis zehn Jahren Entwicklungszeit in den Griff bekommen kann.»

Alles in allem sieht Pautz bei der Entwicklung der Transmutex-Technologie «keine unüberwindbare Hürde, die zu unkalkulierbaren Verzögerungen führen könnte».

Wird die Menge an Atommüll wirklich reduziert?

«Einen Transmutex-Reaktor darf man sich nicht wie eine Kehrichtverbrennungsanlage vorstellen», sagt Pautz. «Da bleibt am Ende schon noch etwas mehr zurück als nur Asche.»

andreas pautz

Im Idealfall einer langfristigen, europaweiten Transmutationsstrategie liesse sich das Volumen der langlebigen, hoch radioaktiven Abfälle wie Plutonium und Americium laut Pautz gegenüber heute um rund einen Faktor 100 verkleinern. «Bei der Transmutation entstehen aber mehr kurzlebige Spaltprodukte, die auch hoch radioaktiv sind und zumindest für einige Jahrhunderte in ein Endlager müssen.»

Da diese kurzlebigen Spaltprodukte stark strahlen und somit sehr heiss sind, benötigen sie zum Schutz des Wirtsgesteins in einem Endlager mehr Platz. «Die Verwendung von Transmutationsreaktoren könnte also ein noch grösseres Endlager erfordern», sagt Pautz. «Das liesse sich vermeiden, wenn man die kurzlebigen Abfälle für einige Jahrzehnte in einem oberirdischen Zwischenlager abklingen lässt und erst dann in ein Endlager einbringt.»

Liefert der Transmutex-Reaktor waffenfähiges Uran oder Plutonium?

Grundsätzlich besteht beim Handling von Atommüll ein Risiko, dass waffenfähiges Uran oder Plutonium abgezweigt wird. Dieses «Proliferationsrisiko» ist laut Servan-Schreiber höher, «wenn der Müll wie bei Transmutex in seine Bestandteile getrennt wird, was nötig ist, um ihn zu transmutieren». Transmutex arbeite deshalb an einem Verfahren, um dieses Risiko zu minimieren. Dabei wird dafür gesorgt, dass die waffenfähigen Isotope von Uran und Plutonium immer mit anderen Elementen verunreinigt sind. «In dieser Mischung ist das Material für Kernwaffen nicht zu gebrauchen», sagt Pautz.

Falls ein Staat kernwaffenfähiges Material in die Hände bekommen möchte, wäre es laut Pautz viel einfacher, in einem eigens dafür ausgelegten Kernreaktor gezielt Plutonium zu erbrüten, als es aus der Wiederaufbereitung abzuzweigen.

Ist eine Transmutex-Anlage sicherer?

«Sobald der Protonenstrahl abgeschaltet oder umgelenkt wird, erlischt die Kettenreaktion», sagt Pautz. Eine schlagartige Steigerung der Reaktorleistung wie in Tschernobyl sei daher ausgeschlossen. Was bleibt, ist die sogenannte Nachzerfallswärme im Reaktorkern, die durch den Zerfall kurzlebiger Spaltprodukte entsteht. «Wenn diese Wärme nicht abgeführt wird, kann sie, wie in Fukushima geschehen, zu einer Kernschmelze und zur Freisetzung von Radioaktivität führen», sagt Pautz. «Daher muss das Nachkühlkonzept bei einer Transmutex-Anlage genauso ausgeklügelt sein wie bei einem herkömmlichen Kernreaktor.»

Ein bleigekühlter Reaktor lässt sich laut Pautz aber leichter nachkühlen. Denn Blei sei ein hervorragendes Kühlmittel. «Man kann diesem Konzept sehr gute Sicherheitseigenschaften attestieren», sagt Pautz. «Die Wärme kann sogar passiv abgeführt werden, ohne äussere Stromzufuhr.»

Ist eine Transmutex-Anlage zu teuer?

Wegen des zusätzlichen Beschleunigers ist eine entsprechende Anlage teurer als ein von der Leistung her vergleichbares herkömmliches Kernkraftwerk. Doch Servan-Schreiber von Transmutex versichert: «Die Zusatzkosten für den Beschleuniger werden durch Einsparungen beim Kauf des Brennstoffs aufgewogen.» Zudem könne die Recyclinganlage von Transmutex den bereits existierenden Atommüll so auftrennen, dass dabei wertvolle Metalle (Ruthenium, Rhodium), Gase (Xenon, Krypton) und Radioisotope (Cäsium, Strontium) gewonnen würden. «Das steigert die Rentabilität der Anlage.»

Würde eine Transmutex-Anlage in die Schweizer Energiestrategie passen?

«Wenn die Weichen jetzt gestellt würden, könnten Transmutex-Anlagen ab Mitte der 2030er-Jahre ans Netz gehen», sagt Servan-Schreiber. «Sie könnten also in der auf 2050 ausgerichteten Energiestrategie durchaus einen relevanten Beitrag zur Versorgungssicherheit und zum Klimaschutz leisten.»

Pautz hält den Zeithorizont für plausibel, aber nur, was die technische Machbarkeit anbelangt. «Die Genehmigung einer solchen Anlage ist ein anderes Thema, vor allem in der Schweiz.» Daher rechnet Pautz nicht damit, dass Transmutex für die Energiestrategie 2050 einen Beitrag leisten wird. «Dafür kommen, wenn überhaupt, eher herkömmliche, wassergekühlte Kernkraftwerke infrage, die heute ebenfalls sicher und bereits fertig entwickelt sind. Im Ausland halte ich einen früheren Einsatz der Transmutation aber für möglich.»

Trotzdem könnte diese Technologie auch in der Schweiz dereinst eine Rolle spielen. «Wenn man den Kernbrennstoff dank Transmutation nachhaltiger nutzen und zugleich die Menge des langlebigen Atommülls reduzieren möchte, würden Transmutationsanlagen oder generell Reaktoren der neuesten, vierten Generation den ökologischen Fussabdruck der Kernenergie deutlich reduzieren», sagt Pautz. «Aber um ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle kommt man so oder so nicht herum.»

Newsletter
Celsius
Erhalten Sie die wichtigsten Hintergründe und Analysen rund um Klima und Wetter.

Weitere Newsletter