Debatte um Atomkraft Die Schweiz hat die zweitältesten AKW der Welt – und Beznau Lecks beim Kühlsystem
Politiker wollen die Atomkraftwerke länger laufen lassen. Doch die Anlagen gehören global zu den ältesten, wie neue Zahlen zeigen. Kritiker warnen, die Atomaufsicht Ensi reagiert.
Braucht die Schweiz neue Kernkraftwerke? Diese Frage hat die Atomdebatte in den letzten Monaten geprägt. Doch auch eine andere, freilich weniger diskutierte Frage ist wichtig: Wie lange können die bestehenden Atommeiler noch sicher laufen?
Mit Beznau 1, das seit 54 Jahren in Betrieb ist, stellt die Schweiz einen der ältesten Meiler weltweit. Beznau 2 ist seit 52 Jahren am Netz, jünger sind Gösgen (44 Jahre) und Leibstadt (39 Jahre).
Der Schweizer Atompark ist 47,3 Jahre alt – 16 Jahre älter als im weltweiten Durchschnitt. Das ist Rang 2 hinter den Niederlanden, die allerdings nur ein Kernkraftwerk stellen. Dies zeigt der am Mittwoch veröffentlichte World Nuclear Industry Status Report 2023, ein jährlicher Bericht über die Nuklearindustrie.
Atomgegner warnen, alternde Anlagen würden zum Sicherheitsrisiko. Materialeigenschaften würden sich verschlechtern, etwa eine Versprödung des Reaktordruckbehälters, wo die nukleare Kettenreaktion abläuft.
Indes, es gibt derzeit keine Anzeichen, dass eine der vier Anlagen aus Sicherheitsgründen vom Netz muss. Doch das Thema beschäftigt das Ensi. Die Atomaufsicht des Bundes legt «ein verstärktes Augenmerk» auf Alterungseffekte und insbesondere auf Lecks, die eine Folge von Korrosion sind, also Rostung. Das geht aus ihrem Aufsichtsbericht für das Jahr 2022 hervor.
Im Sommer 2021 hatte das Ensi für die AKW-Betreiber das Meldekriterium für altersbedingte Lecks verschärft. Als ältestes Kernkraftwerk der Schweiz sei Beznau «vermehrt» davon betroffen, schreibt das Ensi im Bericht. 2022 wurden in Beznau insgesamt sechs Leckagen am sogenannten Chemie- und Volumenregelsystem identifiziert. Dieses System ist wichtig: Es regelt die Wassermenge und die chemischen Funktionen im Reaktorkühlsystem. Zum Beispiel lässt sich mit einer Anpassung der Bor-Konzentration die Kettenreaktion im Reaktor steuern.
Axpo findet Urteil «hart»
Auf Geheiss des Ensi musste die Axpo, die Beznau betreibt, «wegen der gehäuften Vorkommnisse» das besagte System überprüfen, namentlich die Programme zur Alterungsüberwachung und Instandhaltung. Zudem musste der Stromkonzern sicherstellen, dass getroffene Verbesserungsmassnahmen tatsächlich wirken. Dieser Aufgabe, so das Ensi, habe die Axpo einen «hohen Stellenwert» zuzuschreiben.
Im weiteren stellte das Ensi fest, die Axpo habe die Vorkommnisse mit den Leckagen nicht richtlinienkonform analysiert. Im Bereich Mensch und Organisation bewertete das Ensi Beznau für das Jahr 2022 nur als «ausreichend» – ein Urteil, das die Axpo als «hart» bezeichnet.
Auf Nachfrage dieser Redaktion schreibt das Ensi, die Axpo sei den Forderungen inzwischen nachgekommen. Das festgestellte Verbesserungspotenzial sei teilweise umgesetzt. Detaillierte Informationen gibt das Ensi nicht, da es den Prüfprozess noch nicht abgeschlossen habe. Weiter hält die Atomaufsicht fest, die Bedeutung der skizzierten Vorkommnisse in Beznau für die nukleare Sicherheit sei gering.
Und sie versichert: «Die Sicherheitsanforderungen sind in der Schweiz auch im internationalen Vergleich auf einem hohen Stand.» Der Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb sei Bestandteil der periodischen Sicherheitsüberprüfung, die alle zehn Jahre durchgeführt werde.
«AKW-Laufzeiten sind kein Wunschkonzert.»
Atomkritiker beruhigt das nicht. Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) warnt davor, die vom Ensi festgestellten «Altersschwächen» in Beznau auf die leichte Schulter zu nehmen. Fabian Lüscher, bei der SES Leiter Fachbereich Atomenergie, verweist auf vergleichbare Reaktoren in Slowenien und den USA, die unlängst vorübergehend vom Netz mussten, als Ursache vermutet würden unter anderem Alterungseffekte. «AKW-Laufzeiten sind kein Wunschkonzert», sagt Lüscher.
Bundesrat will Klarheit schaffen
Der Bundesrat will vor diesem Hintergrund Klarheit schaffen. Er empfiehlt ein Postulat von Thierry Burkart zur Annahme. Der FDP-Präsident fordert einen Bericht, der nebst dem Szenario Neubau die nötigen Rahmenbedingungen für einen Langzeitbetrieb der Atomanlagen aufzeigen soll. Am Donnerstag berät der Ständerat den Vorstoss – sechs Jahre nachdem das Schweizer Stimmvolk den Neubau von Kernkraftwerken verboten hat.
Die bestehenden Anlagen dagegen dürfen am Netz bleiben, solange das Ensi sie als sicher einstuft. Kernkraftwerke in Europa wurden ursprünglich für eine Laufzeit von etwa 40 Jahren konzipiert. Mittlerweile ist an vielen Orten aber die Rede von 60 Jahren und mehr.
Die Energie-Stiftung empfiehlt der Politik, statt nun über mögliche Finanzhilfen für die Atomanlagen zu diskutieren, deren Ende rechtzeitig zu planen – und in der Zwischenzeit die erneuerbaren Energien stark auszubauen. Nur so sei man dann vorbereitet, wenn aus den vielen kleinen Alterungsschäden plötzlich zu viele würden oder wenn Anlagenteile betroffen seien, die sich nicht mehr ersetzen liessen.
«Ein längerer ungeplanter Ausfall von Beznau im falschen Moment könnte für die Schweizer Versorgung zum Problem werden», sagt SES-Experte Lüscher. Zur Einordnung: Die Kernkraftwerke Beznau, Gösgen und Leibstadt liefern heute etwa ein Drittel des in der Schweiz produzierten Stroms, insbesondere im Winter leisten sie einen zentralen Beitrag zur Versorgungssicherheit.
«Wir nehmen die Verantwortung für die Sicherheit in Beznau wahr.»
Die Axpo dagegen sagt, Beznau gehöre nachweislich zu den sichersten Kernkraftwerken der Welt. Sie verweist auf die regelmässigen Überprüfungen unter anderem des Ensi und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA). «Als Betreiber sind wir für die Sicherheit verantwortlich, und diese Verantwortung nehmen wir wahr», sagt Sprecher Noël Graber. Die Mitarbeitenden hätten eine «herausragende Sicherheitskultur» und würden Tag für Tag daran arbeiten, dieses hohe Niveau zu halten und weiter zu verbessern.
Weiter erklärt die Axpo, sie nehme die Inputs des Ensi ernst, sie habe im Bereich Alterungsmanagement Massnahmen getroffen. «Komponenten werden verstärkt mit Blick auf Alterung und Verschleiss kontrolliert, überwacht und bei Bedarf ausgetauscht», sagt Graber. Die Axpo denkt nicht daran, Beznau umgehend stillzulegen, wie dies Atomgegner seit Jahren fordern. «Wir planen weiterhin mit rund 60 Jahren Leistungsbetrieb», sagt Sprecher Graber. Damit wäre um 2030 Schluss.
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