Trotz VerbotBundesrat unterstützt bürgerliche Pläne zum Bau neuer AKW
Allein mit Solarstrom sei die Energiewende nicht zu schaffen, glauben immer mehr bürgerliche Politiker. Jetzt bricht der Bundesrat ein Tabu: Er unterstützt einen Vorstoss, der die Aufhebung des AKW-Verbots thematisiert.
Eigentlich wäre der Fall ja klar: Neue Atommeiler sind in der Schweiz verboten. Das Stimmvolk hat das vor erst sechs Jahren mit einer satten Mehrheit von 58 Prozent beschlossen. Die Zuversicht war gross, dass dank Sonne und Wind der Ausstieg aus Erdöl und Kernenergie problemlos gelingt. Selbst die FDP war für die Energiestrategie und das AKW-Verbot.
Heute ist bei vielen der Optimismus weg. Stattdessen grassiert die Angst vor Energie-Mangellagen und Blackouts. Der Ruf nach neuen Atomkraftwerken wird im bürgerlichen Lager von Tag zu Tag lauter.
Nun zweifelt plötzlich auch der Bundesrat am eingeschlagenen Weg einer atomfreien Zukunft: Er empfiehlt dem Parlament, ein Postulat von FDP-Präsident Thierry Burkart anzunehmen, in welchem es unter anderem um den Bau neuer Kernkraftwerke geht.
Konkret fordert der Vorstoss einen Bericht, der aufzeigt, was notwendig ist, damit die alten Kernkraftwerke «ohne Risiko für die Versorgungssicherheit» ausser Betrieb genommen werden können. Oder unter welchen Bedingungen ein Langzeitbetrieb der bestehenden AKW möglich wäre. Dabei soll die Regierung explizit das «Szenario Neubau» ins Auge fassen.
Besonders brisant ist ein weiterer Punkt: Der Bundesrat soll auch klären, welche Gesetzesänderung es braucht, damit in alten AKW neue Reaktoren eingebaut werden dürfen. Das käme faktisch ebenfalls einem Neubau gleich. In dieser Variante steckt die Hoffnung vieler AKW-Befürworter, dass mit dem Bau eines neuen Reaktors an einem alten Standort die Realisierung viel schneller möglich wäre.
Umweltminister Rösti ebnet den Weg für neue AKW
Der Bundesrat stellt zwar klar, dass die Annahme von Burkarts Vorstoss kein Vorentscheid zur Aufhebung des AKW-Neubauverbots sei. Die Berücksichtigung dieses Szenarios ermögliche aber, «dass in voller Kenntnis der Sachlage Entscheide getroffen werden können».
Mit anderen Worten: Die Regierung will mit dem von Burkart geforderten Bericht die Grundlage für eine Debatte zur Aufhebung des Verbots schaffen.
Formal stammt die Antwort vom Gesamtbundesrat. Es ist indessen klar, dass Umweltminister und AKW-Befürworter Albert Rösti eine Mehrheit im Bundesrat überzeugt hat, der Forderung nachzukommen. Für Röstis Vorgängerin Simonetta Sommaruga wäre das Thematisieren neuer AKW Tabu gewesen.
Burkart: «Falsche Annahmen»
Der FDP-Chef zeigt sich erfreut. Das Anliegen sei wichtig, denn die offizielle Energiestrategie sei «unter falschen Annahmen» erstellt worden. Sie gehe davon aus, dass es künftig nicht mehr Strom brauche. Die ETH habe das längst widerlegt. Richtig sei: Bis 2050 benötige die Schweiz rund 50 Prozent mehr Strom als heute wegen der massiven Zunahme von Elektroautos und Wärmepumpen. Man müsse die erneuerbaren Energien ausbauen und ein Stromabkommen mit der EU abschliessen. «Doch das reicht bei weitem nicht», sagt Burkart. Das zeige sich nur schon daran, dass der Bund nun drei grosse Gaskraftwerke bauen wolle, die im Widerspruch zu den Klimazielen stünden. «Ohne Kernenergie geht es deshalb auf lange Sicht nicht», sagt Burkart.
Was tatsächlich notwendig ist, um innert 25 Jahren Öl und Gas sowie Atomkraft zu ersetzen, und wie viel Strom das braucht, ist hoch umstritten. Tatsache ist: Aktuelle Kalkulationen zur Energiewende rechnen mit heute noch nicht marktreifen Technologien. So sehen die Szenarien riesige Saisonspeicher vor, die Sommerstrom in Form von Gas oder Flüssigkeit für den Winter lagern. Ob diese Technologien effizient genug für die Praxis sind, ist ungewiss.
Neues Parlament: Gegner und Befürworter fast gleichauf
Burkarts Vorstoss wird in der morgen beginnenden Session für heftige Kontroversen sorgen. Denn für Linke, Grüne und einen Teil der Mitte-Politiker ist längst klar: Neue AKW kommen nicht infrage, unter keinen Umständen. Sie argumentieren, es fehle eine Lösung für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle, Katastrophen wie in Fukushima seien nicht ausgeschlossen. Zudem sei Atomstrom zu teuer.
Der grüne Nationalrat Bastien Girod bringt ein weiteres Argument: «Ein neues AKW wäre frühstens in 20 Jahren gebaut, und das ist deutlich zu spät für die Energiewende.»
Selbst von einem Aufrüsten alter AKW hält er nichts: Das sei noch problematischer als ein Neubau, «weil dann die Laufzeit einer Generation von AKW aus den 70er-Jahren verlängert» werde, die «noch unsicherer» seien als neuere.
Nils Epprecht, AKW-Gegner und Geschäftsführer der Energiestiftung Schweiz, sieht im Vorstoss des FDP-Chefs Burkart gar einen Widerspruch zu den Grundwerten des Freisinns: «Ausgerechnet ein Liberaler will mit Staatsmilliarden alte AKW am Leben erhalten, obwohl diese unweigerlich an ihr technisches Lebensende kommen.»
Der Ausgang der Debatte im Parlament ist aber offen: Laut der Politplattform Smartvote haben die AKW-Gegner im Nationalrat zwar noch eine knappe Mehrheit von 105 zu 95 Stimmen. Eine Handvoll Politiker, die ihre Meinung wechseln oder sich der Stimme enthalten, könnten einen Sieg der Befürworter bringen. Und im Ständerat dürften die Befürworter ohnehin dominieren.
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