Nach dem Walliser Solar-Nein Rösti warnt vor vorzeitigem AKW-Aus
Nach dem Nein im Wallis wähnen sich die Atombefürworter im Aufwind. Der Sieg der Grünen wird von Misstönen begleitet – auch aus dem ökologischen Lager.
«Bravo»: Balthasar Glättli hat am Sonntag den Walliser Grünen auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, erfreut gratuliert – für deren erfolgreichen Widerstand gegen schnellere Bewilligungen für alpine Solarkraftwerke. Das Walliser Stimmvolk hat die kantonale Vorlage zur Umsetzung der nationalen Solaroffensive mit 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Projekte wie Grengiols-Solar im Oberwalliser Saflischtal können damit nicht von einem beschleunigten Verfahren profitieren.
Als Präsident einer Partei, welche die Energiewende vehement einfordert, die Umsetzung dann aber torpediert, will sich Glättli nicht tituliert sehen: Ein schneller und intelligenter Ausbau der Solarenergie, auch in den Bergen, funktioniere nur dann, wenn man auf und neben bereits bestehenden Infrastrukturen vorwärtsmache, so Glättli. Nicht alle Projekte würde diese Anforderung erfüllen, kritisieren die Grünen – Grengiols-Solar zum Beispiel. Sie fordern eine Solarpflicht auf allen Gebäuden.
«Die Grünen haben sich selber ein Ei gelegt.»
Der Sieg der Grünen wird von Misstönen begleitet – und diese kommen just aus dem ökologischen Lager. «Die Grünen haben sich selber ein Ei gelegt», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen. Sie hätten jenen Kräften, die auf alte Technologien wie die Atomkraft vertrauten, einen Steilpass zugespielt.
Gewinnt der Ausbau der erneuerbaren Energien mit hohem Winteranteil nicht weiter an Tempo, wird es laut Grossen «unumgänglich», die bestehenden Meiler länger laufen zu lassen, als es den Grünen lieb ist. Es sei unverantwortlich, alpine Solaranlagen gegen solche auf den Gebäuden auszuspielen, wie es die Grünen täten, sagt Grossen. «Es braucht beides, ohne alpine Anlagen kommen wir zu langsam vorwärts.» Auch trügen die Grünen der für die Versorgungssicherheit so wichtigen Winterstromproduktion nicht Rechnung.
Die Atombefürworter fühlen sich, wie von Grossen vermutet, im Aufwind. Das Volksverdikt zeige, dass es nicht so einfach sei, die erneuerbaren Energien rasch auszubauen, sagt Vanessa Meury, Präsidentin des Energie-Clubs Schweiz. «Umso wichtiger wird es, den fehlenden Teil mit Kernenergie zu produzieren.» Auch brauche es nun umso dringender eine Diskussion über neue Kernkraftwerke.
Meury ist im Komitee der Volksinitiative «Blackout stoppen», für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Die Initiative verlangt, dass jede «klimaschonende Technologie» für die Stromversorgung eingesetzt werden kann. Die Initianten wollen also das 2017 vom Stimmvolk beschlossene Bauverbot für Kernkraftwerke aufheben.
«An der Energiewende hat sich nichts geändert.»
Die Grünen widersprechen Meury und Grossen. «An der Energiewende hat sich nichts geändert», sagt die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone. Alpinsolaranlagen seien nach wie vor möglich. «Das Abstimmungsergebnis im Wallis zeigt aber, dass eine Anbauschlacht ohne Rücksicht auf Verluste keine Chance hat.» Mazzone kritisiert, die AKW-Befürworter würden jede Gelegenheit nutzen, neue Meiler wieder auf die politische Agenda zu setzen, obwohl es einen Volksentscheid gegen den AKW-Neubau gebe.
Sicher ist: Die Schweiz braucht wegen der Dekarbonisierung von Verkehr und Gebäuden in Zukunft mehr Strom, Fachleute rechnen mit etwa 80 Terawattstunden pro Jahr, rund 20 mehr als heute. Die Lücke, die es mit neuen Energiequellen zu füllen gilt, wird aber etwa 40 Terawattstunden betragen. Der Grund: Die vier Kernkraftwerke, die pro Jahr gut 20 Terawattstunden Strom produzieren, gehen mittelfristig vom Netz.
Wann genau dies der Fall sein wird, ist für die Versorgungssicherheit der Schweiz von eminenter Bedeutung. Das hat am Montag Albert Rösti in Bern einmal mehr unterstrichen, als die Internationale Energie-Agentur (IEA) ihren neuen Bericht zur Schweizer Energiepolitik vorstellte. Mit Blick auf die Walliser Solar-Abstimmung sagte der Energieminister, der Urnengang zeige, wie gross die Herausforderung sei, Schutz und Nutzung unter einen Hut zu bringen. Es gelte sicherzustellen, dass die Kernkraftwerke – natürlich unter der Prämisse eines sicheren Betriebs – nicht unnötig früh abgestellt würden, etwa wegen Rentabilitätsgründen, so Rösti. «Das wäre fatal.»
Die AKW-Betreiber gehen mittlerweile von circa 60 Jahren Laufzeit aus. Der jüngste Meiler, Leibstadt, ginge so 2044 vom Netz, Gösgen (2039) sowie Beznau 1 und 2 (2029 und 2031) wesentlich früher. Es gibt aber bereits Diskussionen, dass sie noch länger laufen könnten, wie Rösti anmerkte.
Bund will Risiko abklären
Ein solcher Langzeitbetrieb birgt freilich Risiken. Nicht nur, weil – zumindest nach Einschätzung von Atomkritikern – alternde Reaktoren mit der Zeit immer unzuverlässiger w¨ürden und das Unfallrisiko stark steige. Eine andere Unwägbarkeit ist das Personal. Die IEA warnt in ihrem neuen Bericht vor dem Verlust von Know-how, weil das Berufsfeld durch den schrittweisen Atomausstieg der Schweiz für junge Fachkräfte wenig attraktiv sei. Rösti betonte denn auch, die IEA habe einen für die Stromversorgungssicherheit «enorm wichtigen» Punkt aufgegriffen. Die Schweizer Kernkraftwerke beschäftigen rund 2200 Mitarbeitende. «Es besteht die Gefahr, dass wir wenig Fachkräfte für die Instandhaltung haben», so Rösti.
Bereits letztes Jahr hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) den langfristigen Kompetenzerhalt für die nukleare Sicherheit als grösste Herausforderung bezeichnet. Die Atomaufsicht des Bundes (Ensi) teilt diese Analyse. Röstis Departement will deshalb handeln, wie das Bundesamt für Energie (BFE) auf Anfrage bestätigt: «Geplant ist, dass der Bund in den nächsten Monaten eine Evaluation der längerfristigen Entwicklungen bezüglich Kompetenzerhalt starten wird.»
Die Nuklearbranche sieht sich jedoch gut aufgestellt. Swissnuclear, der Verband der Schweizer Kernkraftwerksbetreiber, hält fest, die Branche sei aufgrund der vielfältigen Berufs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sehr attraktiv für neue Mitarbeitende. Die Betreiber würden über eine langfristig ausgelegte Personalplanung verfügen, wodurch Erhalt und Transfer von Know-how gewährleistet seien. Auch böten die Kernkraftwerke über den Leistungsbetrieb hinaus attraktive Stellen an. «Schliesslich ist der Rückbau einer Grossanlage ein interessantes und herausforderndes Projekt.»
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