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Reaktionen auf AKW-Entscheid
Rösti triumphiert im Bundesrat, Axpo-Chef will über Geld reden

Bundesrat Albert Roesti spricht an einer Medienkonferenz ueber die Richtungsentscheid zur Eidgenoessischen Volksinitiative "Jederzeit Strom fuer alle (Blackout stoppen)", am Mittwoch, 28. August 2024, im Medienzentrum Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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«Paradigmenwechsel!» – Es ist ein grosses Wort, das Albert Rösti wählt. Kurz hintersinnt er sich selbst, er verwende es nicht gerne, sagt er. Aber Rösti weiss: Es braucht einen Hauch Pathos, um den Entscheid zu begründen, den er an diesem Mittwochnachmittag verkündet. Die Regierung will den Bau von Atomkraftwerken wieder erlauben. Und damit einen Volksentscheid kippen.

Für Rösti selbst heisst das: Er hat die Mehrheit des Bundesrats auf seine Seite ziehen können. Es ist ein Erfolg auf der ganzen Linie.

Anlass für den epochalen Entscheid ist die sogenannte «Blackout-Initiative». Die Initianten wollen in die Verfassung schreiben, dass «alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig sind». Ihr Ziel: das Verbot des Neubaus von AKW aufzuheben. Der Bundesrat lehnt die Initiative zwar ab. Er will das Ziel der Initianten, die aus SVP- und FDP-Kreisen stammen, aber mit einer Gesetzesänderung erfüllen.

Bundesrat macht Doris Leuthards Entscheid rückgängig

13 Jahre ist es her, dass Doris Leuthard genau dort sass, wo nun Albert Rösti sitzt. Damals verkündete sie einen Richtungswechsel, der «für die kommenden Jahrzehnte» gültig sein sollte. Und den die aktuelle Regierung nun rückgängig machen will.

Themenbild: AKW Gösgen. 
10.03.2017
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)

Der Bundesrat sei überzeugt, sagte Leuthard 2011, dass «ein schrittweiser Ausstieg aus der Kernenergie der richtige Schritt ist für die Zukunft».

2017 kam die Abstimmung, und die Bevölkerung unterstützte den Vorschlag. Sie hatte verstanden, was Leuthard und den Bundesrat zum mittelfristigen Atomausstieg bewogen hatte:

  • Das Restrisiko eines GAU in der dicht bevölkerten Schweiz.

  • Das klare Signal zugunsten der erneuerbaren Energien.

  • Und die Kosten für Kernenergie, die schon damals stiegen.

Der Wunschzettel der Strombarone

Die hohen Kosten sind der Grund dafür, dass die Stromkonzerne nun auf Röstis Pläne skeptisch reagieren. Die meisten Branchenvertreter fänden es zwar gut, wenn der Bau neuer AKW grundsätzlich wieder möglich wäre. Wenn es konkreter wird, winken sie aber ab.

«Für Alpiq stellt sich die Frage eines Neubaus im Moment nicht», schreibt der Konzern auf Anfrage. «Wir fokussieren auf die Sicherstellung des Langzeitbetriebs der bestehenden Kernkraftwerke.» Zudem habe das Volk mit dem Entscheid zum Stromgesetz einen klaren Auftrag erteilt. Daher wolle Alpiq die Projekte zu Wasserkraft, Fotovoltaik und Windkraft umsetzen. «Um dies möglich zu machen, müssen wir alle am selben Strick und in dieselbe Richtung ziehen.» Die Gelder für den Ausbau der erneuerbaren Energien sollten diesen vorbehalten bleiben.

Christoph Brand, der CEO von Axpo, hatte die Risiken neuer AKW schon im Januar in einem Interview der Branchenplattform «Energate» benannt: Es lohnt sich finanziell nicht. «Die Wirtschaftlichkeit neuer Kernkraftwerke heutiger Generation ist in der Schweiz nicht gegeben», sagt Brand. Weltweit würden nur dort neue Kernkraftwerke gebaut, wo der Staat selbst Bauherr sei oder «in hohem Mass» den Bau fördere. Weiter seien für einen erfolgreichen AKW-Betrieb über lange Zeit hohe und konstante Strompreise erforderlich – auch das sei nicht garantiert. Hinzu kämen auch noch enorme Investitionen, die man vorab in ein Projekt stecken müsste, ohne einen Ertrag zu erwirtschaften.

Christoph Brand, CEO der Axpo, gibt ein Interview in der Wasserstoffanlage des Energieunternehmens Axpo, aufgenommen anlaesslich der Einweihung, am Freitag, 26. April 2024, in Domat/Ems. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Weil die Planungs- und Bauzeit mehrere Jahrzehnte dauert, fürchtet Brand, dass sich der politische Rahmen während des laufenden Projekts wieder verändert. Dass sich zum Beispiel wegen eines erneuten Reaktor-Zwischenfalls im Ausland die Einstellung der Bevölkerung zur Kernenergie wieder verändert. Dass es zu einem erneuten Atomausstieg käme. Oder dass die Sicherheitsregeln während der Planung verschärft werden, was die Kosten weiter hochtreiben würde.

Um all diese Risiken unter Kontrolle zu bekommen, formuliert Axpo-CEO Brand einen langen Wunschzettel an die Politik – für den Fall, dass diese es ernst meint mit neuen AKW. Das Ziel: Der Staat soll den Stromherstellern die Risiken abnehmen. Christoph Brand zählt unter anderem auf: staatliche Kostenbeteiligung und Kreditbürgschaften, Zusicherung einer Rendite während der Bauphase, Steuergutschriften für Investitionen, Ausfallversicherung, Übernahme der Beiträge für einen Stilllegungsfonds.

Rösti will nicht über Geld sprechen

Rösti hingegen will gegenwärtig nicht über Subventionen oder das Umleiten von Geldströmen sprechen. Sein Ziel ist es, vorerst nur das Verbot aus dem Gesetz zu streichen. Es liege noch kein konkretes Projekt für einen AKW-Neubau vor. Daher sei es unmöglich, abzuschätzen, ob es Subventionen brauche – und falls ja, wie hoch diese ausfallen müssten.

Diese Haltung löst harsche Reaktionen aus. Die SP findet es «verantwortungslos», Mitte-Präsident Gerhard Pfister nennt es «unredlich». «Redlich wäre es, die Initiative vors Volk zu bringen», sagt Pfister im Interview mit dieser Redaktion.

Schon das Vorgehen stösst also auf Kritik. Weshalb will der Bundesrat das Neubauverbot überhaupt aufheben? Rösti sagt, dass sich die Ausgangslage verändert habe. «Die Schweiz will netto null Treibhausgasemissionen erreichen.» Das heisse, dass sie auf CO₂-arme Energien setzen müsse – eine solche sei auch die Kernkraft. Das Land, so Rösti, brauche mehr Strom, als man noch 2017 gedacht habe. Die Bevölkerung wachse, und der Ausbau der erneuerbaren Energien gehe langsamer voran als erhofft.

Und schliesslich: der Ukraine-Krieg. Der Krieg habe gezeigt, wie schnell es zu einer Energiemangellage kommen könne. Die verschärfte Energieversorgungslage in Europa seit 2022 bedeute, dass Ersatz für fehlenden Strom nicht zu jeder Zeit in passender Menge importiert werden könne.

«Atomkraft? Immer noch nein, danke»

Die Gegnerinnen und Gegner argumentieren ihrerseits, neue AKW kämen zu spät, seien sehr teuer, stellten ein grosses Sicherheitsrisiko dar, hinterliessen radioaktiven Abfall und machten die Schweiz abhängig vom Ausland. Atomenergie sei nicht nachhaltig. «Atomkraft? Immer noch nein, danke», sagt die SP.

Mitte-Präsident Gerhard Pfister sieht keinen Grund dafür, das AKW-Verbot aus dem Gesetz zu streichen. Die Grünen und die Grünliberalen kritisieren den Entscheid des Bundesrates ebenfalls. Zu reden gibt auch, dass der Bundesrat sich für einen indirekten Gegenvorschlag entschieden hat. Beamtendeutsch für: eine Gesetzesänderung, über welche die Bevölkerung nicht automatisch abstimmt, sondern nur im Falle eines Referendums.

Zufrieden mit dem Bundesratsentscheid sind hingegen die FDP und die SVP. «Das ist ein Schritt in die richtige Richtung», sagt SVP-Energiepolitiker Christian Imark. Vor allem im Winter brauche man die Grundversorgung mittels Kernkraft.

Auch die Initiative «Blackout stoppen» würde den Neubau von AKW erlauben. Trotzdem lehnt sie der Bundesrat ab. Er argumentiert, es reiche aus, das Gesetz anzupassen. Eine Verfassungsänderung sei nicht nötig. Zudem sieht er kritisch, dass den Kantonen Kompetenzen entzogen werden sollen bei der Stromversorgung. Und: Er will weiterhin Gaskraftwerke betreiben können. Die Initiative will vorschreiben, dass die Stromversorgung klimaschonend sein muss.

Der Bundesrat will seinen Vorschlag Ende des Jahres in die Vernehmlassung schicken. Danach wird das Parlament die Initiative und den Gegenvorschlag beraten. Dort wird entscheidend sein, wie sich die Mitte positioniert.

Das Stimmvolk dürfte entscheiden

Parteipräsident Pfister sagt, seine Partei halte am Atomausstieg fest. In allen Befragungen habe die Basis der Mitte den Bau neuer AKW klar abgelehnt. Allerdings dürften einige Mitte-Vertreter mit der FDP und der SVP für eine Aufhebung des Verbots stimmen. Folgt das Parlament dem Bundesrat, ist ein Referendum so gut wie sicher. Das Stimmvolk hätte also das letzte Wort.

Rösti rechnet schon heute damit. Er sagt, er würde einen Volksentscheid als «absolut richtig erachten». Nach einer kurzen Pause schiebt er nach: «Richtig und wichtig.»