Maulkorb für NGOsFDP will Hilfswerke politisch disziplinieren – und trifft Tausende Organisationen
Gemeinnützige Stiftungen und Vereine sollen künftig eine Steuererklärung einreichen und für politisches Engagement zahlen müssen. Sie wehren sich dagegen.

- Die FDP fordert ein strengeres Steuerregime für gemeinnützige Organisationen.
- Die Partei stört sich am politischen Engagement mancher NGOs.
- Tausende Organisationen müssen mit administrativem Aufwand rechnen.
- Der Bundesrat warnt vor mehr Bürokratie.
«Trinkwasser verseucht, Kind vergiftet, Rohstoffkonzern haftet»: So lautete der Slogan auf einem Plakat im Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative. Das Plakat war Teil einer Kampagne, die von Hilfswerken und Umweltorganisationen finanziert wurde.
Die Initiative wurde abgelehnt, doch der Abstimmungskampf hatte ein Nachspiel: Bürgerliche Politiker nahmen die Hilfswerke ins Visier. Es entbrannte ein Streit um deren politisches Engagement. Der damalige FDP-Ständerat Ruedi Noser forderte mit einem parlamentarischen Vorstoss, dass die Steuerbefreiung der Organisationen überprüft wird. Der Vorstoss scheiterte knapp.
Nun nimmt die FDP-Fraktion einen neuen Anlauf. Sie hat Ende letzten Jahres eine Motion mit dem harmlos klingenden Titel «Stärkung der Gemeinnützigkeit steuerbefreiter Organisationen» eingereicht – eine Neuauflage von Nosers Vorstoss, der bisher unter dem öffentlichen Radar blieb. Anfang dieser Woche entscheidet die Wirtschaftskommission des Nationalrats darüber.
FDP will Gemeinnützigkeit enger definieren
Das Ziel des Vorstosses: Steuerbefreite gemeinnützige Organisationen sollen teilweise von der Steuerbefreiung ausgenommen werden, wenn sie sich politisch betätigen. Die Gemeinnützigkeit soll also enger gefasst werden.

Konkret müssten die Organisationen künftig jährlich eine Steuererklärung einreichen. Und sie müssten eine Spartenrechnung führen, die aufzeigt, welche Mittel für gemeinnützige Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit verwendet werden und welche für andere Tätigkeiten. Steuerbefreit wäre nur noch der erste Teil. Organisationen, die regelmässig Beiträge von über 50’000 Franken an politische Kampagnen leisten, wären zudem nicht mehr steuerbefreit.
Schon heute sind Institutionen nicht steuerbefreit, wenn sie politische Ziele verfolgen. Sie sind es aber, wenn sie für die Erreichung eines gemeinnützigen Zwecks politische Mittel einsetzen. So erklärt es der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu einem anderen Vorstoss.
Bundesrat warnt vor Bürokratie und lehnt FDP-Vorschlag ab
Eine Änderung der Regeln gemäss dem FDP-Vorschlag lehnt der Bundesrat ab. Federführend für das Dossier: FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die bestehenden Vorschriften genügten, heisst es in der von ihrem Departement verfassten Stellungnahme. Eine Pflicht zur jährlichen Einreichung einer Steuererklärung und Spartenrechnung würde einen hohen administrativen Aufwand verursachen – vor allem bei den Steuerbehörden, aber auch bei den steuerbefreiten Organisationen.
Mehr Bürokratie auf Wunsch der Freisinnigen? FDP-Nationalrat Beat Walti sagt, der Bürokratievorwurf sei ein «Ablenkungsmanöver». Der Zusatzaufwand wäre nicht gross, denn die Organisationen würden die Verwendung der Mittel ohnehin in ihrer Jahresrechnung ausweisen. Was die FDP fordere, gelte im Kanton Waadt bereits. Dies gewährleiste einen korrekten Vollzug der Steuerregeln. Der Partei gehe es um Organisationen, die sich stark in Kampagnen engagierten, während auf ihrer Verpackung etwas anderes stehe.
Von Offizieren bis zu Landfrauen
Im Visier hat die FDP eine Handvoll NGOs, die ihre Ziele auch mit politischen Mitteln verfolgen. Betroffen wären allerdings Tausende Organisationen – etwa auch die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, die Paraplegiker-Stiftung, die Offiziersgesellschaft oder der Landfrauenverband. Allein die Zahl der steuerbefreiten Stiftungen liegt laut dem Dachverband Profonds bei fast 14’000.
In einem Brief an die Mitglieder des Nationalrats, der dieser Redaktion vorliegt, schreibt Profonds: «In Wirklichkeit sollen gemeinnützige Organisationen vom politischen Diskurs ausgeschlossen werden.» Das würde zu einer Verarmung des demokratischen Diskurses führen und sich in Zeiten der Unsicherheit und der Polarisierung negativ auf die Gesellschaft auswirken.
Wegen des administrativen Mehraufwands würden gemeinnützigen Organisationen die Ressourcen fehlen, ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen. Bei manchen Stiftungen sei auch kaum vorstellbar, wie sie ihren effektiven Zweck erfüllen könnten, wenn sie nicht mehr am demokratischen Diskurs teilnehmen dürften.
Christoph Degen, der Geschäftsführer des Dachverbands Profonds, nennt als Beispiel die Krebsliga. Diese dürfte sich künftig etwa nicht mehr gegen Tabakwerbung einsetzen – oder sie würde besteuert. Ein «politischer Maulkorb» für gemeinnützige Organisationen passe nicht zu einem freiheitlich demokratischen Staat, sagt Degen. «Der Vorstoss ist unfreiheitlich.»
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