Ausstieg aus dem AtomausstiegSo wollen Bürgerliche neue AKW subventionieren
Die Befürworter der Atomenergie wollen Milliardensummen aus einem Fördertopf nehmen, der bis jetzt für erneuerbare Energien reserviert war. Was hat das Volk dazu zu sagen?
Schafft Albert Rösti schon in der Bundesratssitzung vom nächsten Mittwoch seinen Coup? Oder lässt er sich noch ein paar Wochen Zeit?
Der Zeitplan ist Röstis Geheimnis, doch inhaltlich ist sein Plan bekannt: Der Energieminister will das Bauverbot für neue Atomkraftwerke (AKW), das das Volk 2017 beschlossen hat, aus dem Gesetz streichen.
Bereits am 14. August unterbreitete Rösti im Bundesrat einen entsprechenden Antrag, wie diese Redaktion publik machte. Damals kam Rösti zwar noch nicht durch, doch im Umfeld des Bundesrats gibt es wenig Zweifel, dass er im zweiten Anlauf Erfolg haben dürfte. Das Comeback der Atomenergie ist in der Landesregierung voraussichtlich mehrheitsfähig.
Im Parlament sind sich die Atombefürworter ihrer Sache derart sicher, dass sie bereits die nächste politische Stufe zünden: Sie wollen den Neubau neuer AKW staatlich subventionieren. Das erklärten mehrere führende Parlamentarier von SVP und FDP in der «NZZ am Sonntag».
Atomenergie werde «klar benachteiligt»
Konkret möchten sie einen Fördertopf anzapfen, den es bereits gibt: den Netzzuschlagsfonds. Gespeist wird dieser Fonds mit dem Netzzuschlag von 2,3 Rappen, den die Stromkonsumenten auf jede Kilowattstunde bezahlen müssen. Pro Jahr kommen so rund 1,3 Milliarden Franken zusammen. Eingesetzt wird dieses Geld heute zur Förderung erneuerbarer Energiequellen wie Fotovoltaik, Wind- und Wasserkraft. Aber nicht für Atomenergie.
Genau das wollen die AKW-Befürworter ändern. Etwa Christian Wasserfallen, der den Atomausstieg immer für falsch hielt. Der Berner FDP-Nationalrat kritisiert, dass heute aus dem Netzzuschlagsfonds «unbesehen und ausschliesslich erneuerbare Energien gefördert werden – ganz egal, ob sie zur Versorgungssicherheit beitragen oder nicht».
Sonnen- und Windenergie flössen zu unzuverlässig, sagt Wasserfallen. Wenn man die Versorgungssicherheit zum Kriterium mache, sei auch in Kernkraftwerke zu investieren. In der «NZZ am Sonntag» plädiert auch SVP-Präsident Marcel Dettling für eine «Gleichstellung» der Atomenergie. Heute werde Kernenergie bei der Förderung «klar benachteiligt».
Der Grund für das Nachdenken über Subventionen liegt auf der Hand: Die Schweizer Stromkonzerne sagen seit Jahren, dass sich ein neues AKW nicht mehr rentabel betreiben lasse. «Es gibt keine Energieform, die ohne klare Rahmenbedingungen und Investitionsbeiträge auskommt», sagt Wasserfallen.
Vereinfacht gesagt geht Wasserfallens Vorschlag so: Der Bund führt für den Bau und den Betrieb neuer AKW beispielsweise eine Auktion durch. Den Auftrag bekommt jene Energiefirma, welche die tiefsten Preise für eine gewisse Kraftwerksleistung anbietet. Parallel dazu wäre die Auftragsvergabe an Sanktionen geknüpft für den Fall, dass der Gewinner der Auktion sein Angebot nicht einhält. Solche Auktionsmodelle seien bereits erprobt, beispielsweise für Gaskraftwerke in Deutschland, sagt Wasserfallen.
Opfert die Mitte Leuthards Vermächtnis?
Widerstand kündigt die Linke an. SP-Nationalrat Roger Nordmann, der beim Atomausstieg eine wichtige Rolle spielte, findet die neuen Vorschläge «unfreiwillig ironisch», wie er sagt: «Der Ruf nach staatlichen AKW-Subventionen kommt ausgerechnet von jenen Kreisen, die bis jetzt alle Fördermassnahmen im Energiebereich vehement bekämpft haben.»
Laut Nordmann benötigt die Schweiz für ihre Versorgungssicherheit gar kein neues AKW. Der Ausbau der erneuerbaren Energien komme gut voran. Allein 2023 seien Solaranlagen mit einer Jahresproduktion von total 1,5 Terawattstunden zugebaut worden. Das bedeute eine Steigerung der schweizerischen Stromerzeugung um zwei Prozent.
Bis ein neues AKW ans Netz gehen würde, dauere es mindestens 30 Jahre. Und es brauche Subventionen in Multimilliardenhöhe – Gelder, die dem Zubau erneuerbarer Energien entzogen würden, sagt Nordmann. «Und ob das AKW am Ende tatsächlich zum Laufen kommt, ist trotzdem extrem unsicher.»
Sicher ist bereits heute: Der Kampf um die Atomenergie ist wieder voll lanciert. Sollte der Bundesrat – wie von Rösti beantragt – das Neubauverbot aufheben, wird das Parlament am Zug sein. Dort dürften SVP und FDP für einen Neubau stimmen.
Für eine Mehrheit braucht es aber die Mitte-Partei – und diese steckt in der Atomfrage in der Bredouille. Es war ihre Bundesrätin, Doris Leuthard, die den Atomausstieg seinerzeit durchdrückte. Heute plädieren jedoch auch einzelne Mitte-Parlamentarier, etwa der Zuger Ständerat Peter Hegglin, für die Aufhebung des AKW-Bauverbots. Die grosse Frage ist: Will – und kann! – die Mitte-Fraktion das politische Vermächtnis ihrer Partei-Ikone Doris Leuthard opfern?
Das Volk kann dreimal abstimmen
Am Ende wird das Volk das letzte Wort haben – nicht nur einmal. Auf dem Weg zu einem subventionierten Neubau eines AKW dürfte es voraussichtlich drei Volksabstimmungen geben:
Erstens kann gegen die Aufhebung des Neubauverbots das Referendum ergriffen werden.
Zweitens bräuchte es auch für die geplanten AKW-Subventionen eine Gesetzesänderung; auch dagegen könnte das Referendum ergriffen werden.
Drittens ist auch gegen die Rahmenbewilligung, die für ein konkretes AKW-Projekt nötig wäre, das Referendum möglich.
Das heisst: Atomkritische Kreise haben voraussichtlich drei Chancen, um neue AKW mit Volkes Hilfe zu verhindern. Die Atomfrage wird die Schweiz über Jahre absorbieren.
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